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Kommentar Flüchtlinge im WestbalkanWerte verteidigen statt Grenzen

Daniél Kretschmar
Kommentar von Daniél Kretschmar

Kroatien und Slowenien versuchen ihr Bestes, um Flüchtlinge kontrolliert aufzunehmen. Das kann nur mit Hilfe der EU gelingen.

Sie menschenwürdig aufzunehmen ist die Pflicht ganz Europas und nicht nur der Staaten an der Peripherie. Foto: ap

4 Stunden brauchte Kroatiens Premier Milanovic, um seine Haltung gegenüber den Flüchtlingen, die sich von der ungarisch-serbischen Grenze auf den Weg in sein Land machen, um 180 Grad zu drehen. Aus christlicher Verantwortung und humanitärer Aufnahmebereitschaft am Mittwoch wurde am Donnerstag die Mitteilung, dass Kroatien erwägt, seine Grenze zu Serbien komplett zu schließen. Bereits die ersten paar Tausend Flüchtlinge würden das Land überfordern, nur noch ein Grenzübergang ist am Freitagmorgen geöffnet.

Gleichzeitig kündigt die kroatische Regierung an, die Flüchtlinge weiter „nach Europa“ reisen zu lassen. Dass heißt, dass als nächstes Slowenien mit Tausenden, wenn nicht Zehntausenden Menschen an seiner Grenze konfrontiert ist.

Auch in diesem ersten Schengenstaat auf der Westbalkanroute werden die Stimmen laut, die harte Grenzkontrollen fordern. An der Grenze zu Ungarn sind die Kontrollen bereits eingeführt. Der Zugverkehr zwischen Slowenien und Kroatien ist eingestellt.

Dabei wollten die beiden Länder doch alles richtig machen. Eng miteinander abgestimmt sollten die Flüchtlinge empfangen werden, wie es einem Mitgliedsstaat der EU würdig ist: rechtskonform, vor allem aber human. Slowenien und Kroatien wollten sich von Ungarn abheben. Sie wollten Europa zeigen, dass sie zum zivilisierten und demokratischen Teil des Kontinents gehören.

Disziplinierung durch Österreich

Was es ihnen in den nächsten Tagen jedoch nahezu unmöglich machen wird, dieses Bild aufrechtzuerhalten, sind nicht die Flüchtlinge die an ihren Grenzen stehen. Denn schwerwiegender als deren Ankunft im kroatischen Tovarnik und bald dem slowenischen Lendava war am Donnerstag der Besuch des österreichischen Bundeskanzlers Werner Faymann bei seinen Amtskollegen Milanovic in Zagreb und Cerar in Ljubljana.

Die unterkühlten Pressekonferenzen nach den Treffen der Regierungschefs, bei denen außer den vorbereiteten Statements keine weiteren Äußerungen getätigt wurden, machten deutlich, dass dort keine Goodwill-Besuche stattgefunden hatten. Faymann war zu den südlichen Nachbarn geflogen, um sie zu disziplinieren.

Dabei ist die paradoxe Pflicht, gleichzeitig die durch Schengen garantierte Freizügigkeit und die Dublin-Regeln umsetzen zu müssen, längst aufgekündigt worden: von Ungarn und nicht zuletzt von Österreich. Auf der einen Seite ist da Ungarn, das bei Röszke entlang eines Stacheldrahtzaunes jedes Ideal des offenen Europa niederknüppelt. Auf der anderen Seite liegt Österreich, das mit seiner von Deutschland gebilligten Durchleitung Zehntausender Flüchtlinge Dublin de facto ausgehebelt hat.

Weder die einen noch die anderen werden von der EU dafür gemaßregelt. Das brutale Grenzregime Ungarns wird vom UN-Generalsekretär Ban Ki Moon angeprangert, aber ernsthafte Sanktionen braucht Viktor Orbán, dessen Fidesz wie die deutsche CDU/CSU Mitglied der EVP im Europäischen Parlament ist, anscheinend nicht zu fürchten.

Von Europa verlassen

Die Botschaft an Slowenien und Kroatien könnte eindeutiger nicht sein: Die Verteidigung der europäischen Grenzen vor Kriegs- und Armutsflüchtlingen hat höhere Priorität als die Verteidigung zumindest vorgeblich europäischer Werte wie Demokratie, Freizügigkeit und Humanität. Wer sich naiverweise auf letzteres beruft, ist offenbar von Europa verlassen.

Von Kroatien und Slowenien kann natürlich erwartet werden, dass sie selbst einer noch deutlich höheren Zahl von Flüchtlingen gewachsen sind, als jetzt vor ihrer Tür stehen. Anfang der 1990er nahm Slowenien mit seinen rund zwei Millionen Einwohnern mindestens 45.000 Kriegsflüchtlinge aus Bosnien auf, Kroatien bot Hunderttausenden Schutz.

Was jedoch nicht von diesen beiden, im europäischen Vergleich kleinen Ländern erwartet werden kann, ist, dass sie das politische Versagen der Europäischen Union ausbaden. Was Kroatien und Slowenien jetzt brauchen, ist ein klares Signal aus Europa, dass sie nicht alleine gelassen werden, dass sie mehr sind, als Pufferstaaten an der südöstlichen Peripherie – ein Signal, dass sie sehr viel mehr Europa sind, als das von Stacheldraht umzäunte Ungarn Viktor Orbáns.

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Daniél Kretschmar
Autor
Jahrgang 1976, Redakteur für die tageszeitung 2006-2020, unter anderem im Berlinteil, dem Onlineressort und bei taz zwei. Newsletter unter: https://buttondown.email/abgelegt
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4 Kommentare

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  • "Links"- Stratege, soso... Die Strategie ist tatsächlich nicht ganz unklug, aber doch eindeutig von rechts. Blöd gelaufen!

    Man muss weder abschieben, noch Leistungen kürzen oder in den Krieg ziehen um Engpässe zu vermeiden. Es gibt keine.

    Kennste den? "Sitzen ein Deutscher, ein Banker und ein Flüchtling an einem Tisch mit 20 Euromünzen. Der Banker schnappt sich 19 davon und sagt zum Deutschen -pass auf, der Flüchtling nimmt dir deinen Euro weg-"

    Die Bankenrettung war uns immerhin über 200 Milliarden Euro wert, während die Flüchtlingskrise bisher nur lächerliche 7 Milliarden Kosten verursacht. Also wenn man ohne dass es Schwierigkeiten gibt 200 Milliarden locker machen kann, dann sollten ein paar Millionen Menschen, die vermutlich nicht mal halb so viel Kosten verursachen erst recht kein Problem sein. Ich sag's ungern, aber Merkel hat Recht: Wir schaffen das!... und zwar aus der Portokasse, also lockerbleiben.

    Wir hätten, wenn der Wille da wäre, auch hunderte Milliarden übrig für gute Schulen und wollten wir, könnten wir ohne Probleme mit x Milliarden eine menschenwürdige Altenbetreuung ermöglichen. Oder xy. Egal. Der Eurofighter hat auch hunderte Milliarden gekostet, und es gibt noch 1000 Beispiele. Darüber muss man sich sorgen, wenn die Regierung weiter solche Summen rausschmeißt für Rüstungsprogramme (> Krieg > Flüchtlinge), imaginäre Flughäfen, oder Mulitmilliardäre und deren Läden, oder sonstigen sinn- und zwecklosen Müll, der bestenfalls niemanden umbringt. Es ist müßig.

  • Die Pufferzonen-Situation ist doch schon längst eingetreten und zwar in erster Linie für Kroatien und weniger für Slowenien. Denn, im Gegensatz zu Slowenien haben wir es bei Kroatien mit dem prekären Fall zu tun, dass dieses Land zwar EU-Mitgliedsstaat ist und gerne auf die damit verbundenen Pflichten erinnert wird es aber NICHT vollwertig zum Schengenraum gehört. Diese Rahmensituation wird nun weidlich dazu genutzt, einseitig Druck auf Kroatien auszuüben und einen sog. „Hotspot“ außerhalb des Schengenraums zu errichten. Ob das für Kroatien zu schaffen ist, bleibt dabei sichtbar irrelevant. Der Autor Daniel Kretschmar möge doch bitte, die ökonomischen und geographischen (Stichwort: Landfläche) Verhältnisse der Staaten Slowenien und Kroatien präziser nachrecherchieren, bevor er sich zu derart kühnen Behauptungen hinreißen lässt, dass diese beiden Staaten „einer noch deutlich höheren Zahl von Flüchtlingen gewachsen“ seien „als jetzt vor ihrer Tür stehen“. Wie wäre es vielmehr das mehrheitliche Bestreben der Flüchtlinge nach Deutschland gelangen zu wollen, als eine ausgleichende Gerechtigkeit für die Belohnung Deutschlands mit 70 Jahre Wirtschaftswunder zu werten?

  • Was am meisten Angst macht ist das sich die momentane Lage wie ein Countdown anfühlt. Alle wissen das das was zur Zeit passiert nicht ewig weitergehen kann. Es ist wie im einem Thriller, der langsam dem Klimax entgegengeht. Wenn nichts passiert wir es in spätenstens im Winter in Deutschland eine Explosion geben - entweder von denen die wie Ölsardinen in den Zelten sitzen oder von den Einheimischen - schlimmstenfalls von Beiden. Noch ist Zeit z.B. durch konsequente Abschiebungen/Leistungskürzungen/Hotspots/Bodentruppen in Syrien die Lage zu entschärfen. Wenn ich die Sonntagsreden von Göring-Eckhard höre bekomme ich wirklich Angst. ich habe selten so ein verantwortungslose Politikerin gesehen. Selbst wenn sie theoretisch Recht hätte - wer so die Fakten (keine Wohnungen, keine Arbeit) ignoriert zündelt mit an einem sich anbahnenden gesellschaftlichen Drama.

    • @Links-Stratege:

      Die Panik verstehe ich jetzt nicht ganz. Selbst wenn ausnahmslos alle im Durchschnitt anerkannten Asylbewerber, also 37% von 800.000 arbeitslos blieben, würde das unsere Arbeitslosenquote von zuletzt im August 6,4% lediglich auf 7,1% anheben. Deswegen durchwache ich nun nicht schlaflos die Nächte. Eher machen mir Panikmache und der unterschwellige Fremdenangst große Sorge. Das aktuelle Asylgesetz geht schon wieder in die gleiche Richtung wie 1994, als das Asylrecht in Windeseile praktisch komplett (Anerkennungsquote noch 1 - 1,5%) abgeschafft wurde und nur noch die Genfer Flüchtlingskovention übrig blieb, die man damals nicht einfach aushebeln konnte. Man muss sich jetzt einfach mal in Ruhe begeben. Bislang haben wir nicht einmal die Zahlen von 1994 erreicht. Und wenn es weitaus mehr werden, bringt uns das auch nicht an den Bettelstab. Was uns wirklich gefährlich werden könnte ist, wenn sich auf Dauer von Wohnung und Grundsicherung ausgeschlossene hungrige aber kriegserfahrene syrische junge Männer in Banden organisieren, um ihren Lebensunterhalt auf andere Weise zu organisieren. Denn einen Weg zurück gibt es für sie ja nicht! Die Rechten sind in ihrem Hass so blauäugig und kurzsichtig, sie allein machen mir richtiggehend Angst.