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Reißerische MedienberichterstattungWie kam der Warnschuss in die Welt?

An der deutschen Grenze wird ein Warnschuss gegenüber Flüchtlingen abgegeben. Eine schwerwiegende Nachricht. Aber ist sie echt?

Auch so ein Rambo: Rambo. Foto: dpa

Berlin taz | Die Meldung des Senders RTL am Dienstagmorgen ist so kurz, wie einschneidend. An der deutschen Grenze zu Österreich hätten Polizeibeamte in der Nacht Warnschüsse gegenüber Flüchtlingen abgegeben.

In der Sendung „Guten Morgen Deutschland“ verbreitet der Sender die Meldung ab 6 Uhr in Großbuchstaben (SCHÜSSE AN DER GRENZE) und vor allem – als Tatsachenbehauptung. Die Nachricht hat Potenzial, allein: Sie genügt nicht den Kriterien einer Nachricht. Dennoch behauptet der Nachrichtenableger „RTL Aktuell“ noch Stunden später auf seiner Homepage: „Am Grenzübergang Freilassing-Salzburg gaben Polizisten Warnschüsse ab.“ In der Zwischenzeit fragen sich Fernsehzuschauer und Nutzer bei Twitter: Hat die sogenannte Flüchtlingskrise eine neue Dimension erreicht?

Nein, wohl nicht. Die Nachricht ist vielmehr ein Beispiel für das, was passiert, wenn Hysterie das Nachrichtengeschäft erobert. Was auch die Kollegen von RTL in kurzer Zeit hätten herausfinden können und müssen: Der Ursprung der Nachricht ist äußerst windig.

Es war 1.21 Uhr in der Nacht als eine Agentur an RTL einen Text mit der fraglichen Information versendet. Darin heißt es wörtlich: „In Freilassing mussten Polizisten am Montagabend sogar Warnschüsse abgeben.“ Schon in diesem Text wird keine Quelle für die Tatsachenbehauptung genannt. RTL übernimmt die Information dennoch ungeprüft.

Im Bild bewaffnete Polizisten

Dann greifen zahlreiche weitere Onlineportale die Nachricht auf - darunter Stern.de, das Neue Deutschland oder die österreichische Kronen Zeitung. Immerhin: Viele nutzen das Warnwörtchen „offenbar“ oder verweisen auf die Quelle RTL, wohl in dem Vertrauen, dass die Kollegen die Information schon geprüft haben werden.

Dann beginnen die unterschiedlichen Erzählweisen: Über einem Text auf Vice steht die Schlagzeile „Warnschüsse gegen Flüchtlinge: Die Bundespolizei macht ernst“. Darunter, im Bild, sind bewaffnete Polizisten zu sehen. Im folgenden Text wird dann etwa behauptet, ein RTL-Reporter habe von den Schüssen berichtet. Dies steht allerdings gar nicht im fraglichen RTL-Text. Naja, vielleicht nur ein Missverständnis. Immerhin verzichtete RTL schließlich auch darauf kenntlich zu machen, dass die vermeintliche Information, die der Sender stolz als seine eigene präsentierte, lediglich von einer Agentur stammte.

Nur eines passiert scheinbar nicht im leichtfüßigen Mediengeschäft an diesem Dienstag. Die eigentliche Quelle ruft offenbar niemand an.

„Definitiv kein Schuss“

Ein Polizeisprecher der zuständigen Polizei Oberbayern-Süd sagt der taz: „Es hat definitiv keine Schussabgabe gegeben. Weder von der deutschen Landespolizei, noch von der Bundespolizei, noch von Kollegen in Österreich.“

Die Quelle ist ein Polizeiberichterstatter. Er gehört zu einer journalistischen Spezies, die darauf angewiesen ist, Informationen aus Behörden gesteckt zu bekommen, auch aus Reihen der Polizei. Man erzählt sich, dass in dieser Szene auch gerne mal der Polizeifunk abgehört wird.

Gemeinhin gilt im Journalismus die einfache Regel: Für eine Nachricht braucht es zwei voneinander unabhängige Quellen. Wenn es nur eine gibt, ist das zu kennzeichnen. Am Ende dieses Tages gilt: Für die Information um den vermeintlichen Warnschuss gibt es nur eine Quelle, die wiederum ihre Quelle nicht nennen will. Ergo: Die Nachricht ist keine Nachricht.

Update: Nach einer Anfrage der taz setzte RTL Aktuell die vermeintliche Information um den Warnschuss auf seiner Homepage zunächst in den Konjunktiv. Dann strich RTL sie ganz aus dem Text. Ihre Leser über die Falschinformation zu benachrichtigen, hielt RTL offenbar nicht für nötig. Über dem Text von Vice steht inzwischen: „Wir haben daraus gelernt und werden unsere Quellen in Zukunft genauer prüfen.“

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7 Kommentare

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  • 7G
    7964 (Profil gelöscht)

    Da ich sonst gerne den Abschreibe-Stil kritisiere, (den auch leider die taz allzuleicht mitmacht,) muss ich sagen, hat Herr Kaul hier tatsächlich soweit recherchiert, dass es sich lohnt einen eigenen Artikel daraus zu machen. Und hat ganz nebenbei das Profil der taz geschärft. So stelle ich mir "meine" taz vor. Danke.

  • Durch solchen Boulevardjournalismus fühle ich mich darin bestätigt dass es richtig war und ist die taz zu unterstützen.

    • @Sean David:

      Ganz ehrlich: Ich kann RTL auch nicht leiden. Aber eine "Falschinformation" ist dann doch noch etwas anderes als eine Meldung, deren Quelle (der taz gegenüber) nicht genannt wird. Dass eine "Nachricht […] keine Nachricht [ist]" im Sinne eines journalistischen Ethos, sagt schließlich rein gar nichts aus über ihren Wahrheitsgehalt. Wenn einer etwas nicht belegt, heißt das noch nicht, dass er es nicht belegen könnte, wenn er denn wollte.

       

      Selbst die taz veröffentlicht mitunter Texte, deren Quelle offenbar allein ihr bekannt ist (und bleiben soll). Was ich durchaus verständlich finde angesichts der Berichte, die immer mal wieder veröffentlicht werden über die Zustände in von außen schwer einsehbaren Institutionen. Ein Journalist, der seine Quellen nicht schützt, wäre in kürzester Zeit kein Journalist mehr, sondern nur noch ein Verstärker offizieller Verlautbarungen. Und dass sich das mit einem irgendwie gearteten Berufsethos verträgt, glaube ich auch nicht.

       

      Vielleicht ist ja Herr Kaul nur eingeschnappt. Ferdinand Farthofer hat ihm nicht vertraut. Das nimmt er ihm vermutlich übel. Das Ethos muss nur herhalten, damit er das nicht schreiben braucht. Es wäre schließlich keine Nachricht. Nicht einmal dann, wenn es die Wahrheit wäre und zwei voneinander unabhängige Quellen es bestätigen würden. Dass es mit dem Ethos selber nicht weit her gewesen sein kann, als Herrn Kaul seinen Text verfasst hat, zeigt jedenfalls der Satz: "Man erzählt sich, dass in dieser Szene auch gerne mal der Polizeifunk abgehört wird."

      • @mowgli:

        Jeder Volontär lernt: Eine Nachricht muss auf zwei unabhängige Quellen basieren, bevor sie gebracht werden kann. Journalistischer Quellenschutz ist etwas anderes, als die Jagd nach der Exklusivmeldung zur Quotensteigerung. Die taz hat dagegen öfters das Problem, unhinterfragt Agenturmeldungen abzudrucken - Gegenöffentlichkeit schafft das nicht.

      • Martin Kaul , Autor des Artikels, Reporter
        @mowgli:

        LiebeR Mowgli, nein, es ist ganz einfach: Niemand muss seine Quelle offenlegen, wenn er nicht will, aus Quellenschutzgründen. Das ist gar keine Frage. Wer jedoch nur eine Quelle hat, die er selbst nicht einmal andeuten will ("heißt es aus Polizeikreisen") die er nicht oder nur bedingt verifizieren kann, darf nicht schreiben "es sind Warnschüsse gefallen", sondern muss, mindestens, schreiben: "Es sollen Warnschüsse gefallen sein." Das ist ganz einfaches Handwerk.

        • @Martin Kaul:

          Ich frage mich was denn die Quelle für diesen Artikel ist. Meines Wissens hat der Journalist gar nichts dergleichen geschrieben (auf der Homepage und sonst wo sind und waren keierlei diesbezügliche Worte zu lesen) und wie sie richtig bemerken sind ja zwei Quellen notwendig. Aber eigentlich bemisst sich schon der Wert dieses unprofessionellen Artikels aus der letzten Zeile "Man erzählt sich ..." - das hat definitiv nichts mit Journalismus zu tun sondern lässt die Frage offen ob hinter diesem Artikel nicht persönliche Motive secken - erst recherchieren dann schreiben ist da meine Antwort!!!

  • "Man erzählt sich, daß..." ich liebe diese Formulierung und verwende sie gerne, vor allem bei in beleidigender Absicht getätigten Mutmaßungen über die moralische Integrität eines Elternteils des Gegenübers. Auch schön: "Es wurde (aus gewissen Kreisen) vernommen..."