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Kommentar SchlepperDas letzte Glied der Kette

Es gäbe eine lächerlich einfache Lösung, um das Milieu der Schlepper auszutrocknen: Züge und Fähren in die EU. Aber der politische Wille fehlt.

Der Lastwagen, in dem an einer österreichischen Autobahn 71 erstickte Geflüchtete gefunden worden waren Foto: dpa

Tausende Menschen quälen sich jeden Tag von Griechenland quer durch Mazedonien und Serbien in das EU-Mitglied Ungarn und von dort aus weiter nach Österreich, Deutschland und weiteren Staaten Mittel- und Nordeuropas. Diese Flüchtlinge, darunter schwangere Frauen und Kinder, müssen im Freien bei Wind und Wetter übernachten, werden in übervolle Regionalzüge gequetscht und von Schleppern zu Wucherpreisen in Lastwagen und Kleinbussen über die Grenze nach Ungarn, Österreich und Deutschland gebracht. Niemand hat bisher die Toten gezählt, die auf diesem Weg nach Europa zurückblieben. Allein in der letzten Woche erstickten 71 Menschen in einem Lastwagen.

Nun ist der Aufschrei groß über die kriminellen Schlepper, die ohne Gewissen den Tod von Menschen in Kauf nehmen, ihnen den letzten Cent abnehmen und sie im Zweifel auf irgendeinem Autobahnstandstreifen aussetzen. „Wir haben gemeinsam die Pflicht, jene, die an diesem Leid auch noch verdienen, in die Schranken zu weisen“, rief Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) die Europäer auf.

Das ist schön gesagt. Tatsächlich handeln viele der Fluchthelfer menschenverachtend und nur auf den schnellen Profit bedacht. Sie haben offenbar kriminelle Netzwerke aufgebaut mit millionenreichen Paten an der Spitze, die irgendwo im Libanon, in Ungarn oder Bulgarien ein sorgenfreies Leben führen. Die Fahrer der mit Flüchtlingen gefüllten Lastwagen, die inzwischen zu Hunderten in Gefängnissen sitzen, sind nur das letzte Glied einer Kette und angesichts der Notlage vieler Menschen auf dem Balkan jederzeit ersetzbar.

Dabei gäbe es eine lächerlich einfache Lösung, um dieses kriminelle Milieu auszutrocknen. Noch bis 1991 verkehrte der Hellas-Express zwischen Athen und Dortmund. Er wurde eingestellt, weil die Fahrgäste lieber das Flugzeug nehmen, doch die Gleise sind weiter vorhanden. Ein Zug, der die Flüchtlinge sicher nach Mitteleuropa brächte, würde Leben retten, Schlepper verarmen lassen und den Flüchtlingen viele Gefahren ersparen. Analog könnten Fähren die Flüchtlinge in Libyen abholen und ihnen so die Reise in seeuntauglichen Nussschalen über das Mittelmeer ersparen.

Doch dieser Zug und dieses Schiff werden nicht fahren. Denn beide hätten eine Endstation, an der all die Flüchtlinge aussteigen würden. Und diese könnte dazu führen, dass sich noch mehr Menschen auf den Weg nach Europa machen, weil dieser Weg gefahrloser werden würde. Solange die EU sich nicht auf eine Aufteilung dieser Menschen einigen kann, so lange wird kein Mitgliedstaat freiwillig dazu beitragen, dass die Flüchtlinge alle beim ihm eintreffen werden.

So sind all die menschelnden Sprüche gegen böse Schlepper nichts weiter als politische Dekoration fürs Publikum. Europa wird weiter dafür sorgen, dass die Flüchtlinge ausgepresst werden. Die Schlepper werden weiter mit überladenen Lkws unterwegs sein. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis dabei erneut verzweifelte Menschen ums Leben kommen.

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15 Kommentare

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  • "Lächerlich einfach" die Fahrt nach Europa zu bezahlen und die Fahrt der Meisten, Abgelehnten wieder zurück. ! .

  • VISA statt Ersticken.

    Mit der Ausstellung von Visa für an den Grenzen Europas Eingetroffene wäre kein Mensch in einem LKW erstickt!

     

    Wer macht mit bei der Petition?

    • @nzuli sana:

      Ich.

       

      Und ich schicke sie an alle Bekannten weiter und schlage jedem, der sie nicht unterstützt, höchstpersönlich die Zähne ein! (Kleiner Scherz, um die Bitterkeit der derzeitigen Ereignisse etwas zu verdrängen...)

  • Auch wenn diese Sichtweise hier nicht sehr beliebt ist:

     

    REALISTISCH betrachtet könnte man natürlich Fähren und Züge fahren lassen. Im Vergleich zu dem, was die Schlepper verlangen, sind auch die legalen Transportmittel, die es heute schon gibt, durchaus erschwinglich.

     

    Aber die würden in zwei Richtungen fahren und wären, wenn man nicht gleich am Ausgangspunkt filtert, im Zweifel auch auf der Rückfahrt gut beladen - mit abgewiesenen Flüchtlingen. Genau das befürchten doch Flüchtlinge, die sich Schleppern anvertrauen. Deshalb kommen so viele von ihnen ohne Pässe und mit Transportmitteln, die ein unmittelbares Zurückschicken unzumutbar oder gar unmöglich machen.

     

    Will sagen: Der reine Transport ist nicht das Problem. Nur wenn mit ihm auch die Möglichkeit gegeben wäre, dass Alle, die wollten, auch bleiben dürften - ein Ding der Unmöglichkeit -, könnte der Markt für Schlepper austrocknen, die Jene nach Europa bringen, die vor allem Angst haben, NICHT bleiben zu dürfen.

    • @Normalo:

      Netter Versuch. Aber verlassen Sie sich drauf: Deportationen organisieren, das können wir im Schland ohnehin perfekt - egal, ob die Flüchtlinge illegal im LKW oder legal im Reisebus ankommen.

       

      Ziel muß natürlich sein, die Leute legal zu holen und auch so lange wie nötig hier zu lassen. Das heißt: Es gibt keine sicheren Herkunftsländer. Jeder einzelne Fall muß individuell betrachtet werden und natürlich: Im Zweifel für den Flüchtling!

      • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        Blöder Seitenhieb - zumal es eben NICHT um Viehwaggongs sondern um menschwürdigen Transport geht. Der ist soo einfach auch nicht zu organisieren, genauso wie ein Asylantrag klaum stringent zu prüfen ist, wenn der Antragsteller "dummerweise" seinen Pass verloren hat.

         

        Aber das war gar nicht mein Punkt. Bei dem geht es darum,. dass selbst bei einem, das Asylrecht optimal umsetzenden Prozess ein Großteil der Anträge abzulehnen wäre. Die Menschen müssten also weiter befürchten, auf offiziellem Weg nicht in die EU reinzukommen oder postwendend wieder zurückgeschickt zu werden. Das und nichts Anderes ist die Geschäftsgrundlage der Schlepper.

  • Danke! So isses.

  • zitat: "„Wir haben gemeinsam die Pflicht, jene, die an diesem Leid auch noch verdienen, in die Schranken zu weisen“, rief Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) die Europäer auf."...

    wie wäre es denn damit:

    hegemoniale kriegsführung beenden, waffenexporte stoppen, korruption für diktatoren den hahn abdrehen, neoliberal-einseitige handelsabkommen einstampfen und nachweisbare umweltschäden vor ort kompensieren ... dann gäbe es absehbar weniger zwangsmigration und die flugzeuge, fähren und züge wären ein rentables geschäft mit freiwilligen migrant*innen...

    das hieße allerdings auch, nicht über "das letzte glied in der kette" zu philosophieren, sondern die kette an ihren anfangsgliedern zu lösen...

    die einfachste und effektivste form der problemlösung ist immer noch die, anderen keine zu machen - dann klappt's auch wieder mit den menschlichen nachbarn von anderen kontinenten!

    aber wenn die problemwahrnehmung eben erst an den frontex-grenzen beginnt, sind die grenzen des europäischen horizonts teil des problems statt dessen lösung!

    prost!

    • @blinde kuh:

      Da hätte ich aber einige Fragen dazu.

      Wer bitte hat denn die größten Massenmorde durch Giftgas nach dem 1. WK durchgeführt und dann die Umweltkatastrophe ausgelöst indem er die kuwaitischen Erdölfelder in brand gesetzt hat (mit den bekannten Ergebnissen wie massenweisen Fehl/Totgeburten in der Region)? Und wer hat diese Diktator dann verjagt und welche Seite hat diesen Eingriff kritisiert?

      Wer bitte hat die Sanktionen gegen die Mullahdiktatur im Iran eingeführt und welche Seite, die sonst IMMER gegen Nukleartechnologie ist spricht dem Iran ein Recht auf nukleare Einrichtungen jeder Art zu. Welche Seite begrüßt die neuen Abmachungen mit dem Iran, die mindestens zu einem Rüstungswettlauf im Nahen Osten wenn nicht sogar zum Atomwaffenbesitz MINDESTENS des Iran führen wird?

       

      Analog Libyen dessen komplette atomare Abrüstung unter Bush durchgesetzt wurde.

      Und es gibt noch Dutzende von Beispielen, daß es eben nicht die von Ihnen vermuteten sind die "Diktatoren den Hahn abdrehen" wollen.

       

      Natürlich ist es falsch Mitarbeiter von Reiseagenturen als Schlepper und Schleuser zu denunzieren und diese völlig unschuldigen Menschen zu verknasten. Aber die Schuld für Zustände wie sie in http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/das-schnelle-geld-auf-der-balkanroute-wie-kam-es-zum-fluechtlingsdrama-in-oesterreich-13774117.html

      gezeigt werden sind nicht da zu suchen wo Sie meinen sie zu finden.

       

      Praktisch jeder kann per Bahn, Flugzeug oder Fähre legal nach Europa einreisen und so gut wie jeder der Reisenden hat die Finanzmittel um das auch zu tun. Einziger Nachteil: Mit der legalen Einreise ist die Stellung eines Asylantrages nicht mehr möglich.

       

      Das von Klaus Hillenbrand genannte Problem gibt es gar nicht.

      • @Werner W.:

        über die modalitäten eines schengen visums sind sie sich doch hoffentlich im klaren oder?

        ich möchte mal einen deutschen botschafter sehen der bei einer syrischen familie, die ~5000€ pro kopf an barmitteln, eine hinreichende kv, und (bei antrag auf touristenvisum) durchgebuchte hotels für 3 monate, an eine rückreise glaubt. zur erinnerung die kriterien lauten:

        • reservation of or return or round ticket

        • proof of financial means in the country of residence

        • proof of employment: bank statements

        • proof of real estate property

        • proof of integration into the country of residence: family ties, professional status

        • @bernd konfuzius:

          Mir ging es zunächst ja nur um die Ausführungen von @Blinde Kuh.

           

          Den entscheidenden Nachteil eines legalen Schengen-Visums habe ich ja genannt. Er ist mir also bekannt.

           

          Und damit ist auch klar was von der Forderung von Klaus Hillenbrand zu halten ist.

           

          Wobei es ja eigentlich völlig egal ist ob jemand Geld an die Schlepper zahlt (illegal einreist) oder etwa gleich viel Geld an die reguläre Tourismusindustrie und dann erst nach 3 Monaten illegal ist. Es ist aber sehr viel komfortabler und sicherer.

  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    Würde die Öffentlichkeit ausreichend Druck machen, selbst wenn nur diejenigen, die sich überhaupt interessieren, hätten wir diese sicheren Transportrouten bereits. Weder aber beteiligt sich Supidupi-Hellundheller-Deutschland an den Petitionen, noch versuchen die (linken) Medien ausreichend Aufmerksamkeit und gemeinsame Initiative zu erreichen. Politischer Wille wächst nicht in den Grenzen des Systems, sondern muss erzwungen werden. Und wenn das nicht einmal versucht wird, dann gibt es überhaupt keinen Willen. Und dieser Mangel an solidarischer Aktion ist auch ein Versagen der kritischen Medien.

  • "Das Einzige, was wir zu fürchten haben", soll Franklin D. Roosevelt zu seinem Amtsantritt 1933 gesagt haben, "[ist] die Furcht selbst [...]." Unter Furcht wollte er dabei "die namenlose, blinde, sinnlose Angst" verstanden wissen, "die die Anstrengungen lähmt, deren es bedarf, um den Rückzug in einen Vormarsch umzuwandeln".

     

    Roosevelt hat sich damals auf die Große Depression bezogen, eine schwere Wirtschaftskrise, die unter anderem durch die sehr ungleiche Vermögensverteilung und die dadurch bedingte Absatzschwäche der zuvor stark gewachsenen US-Wirtschaft ausgelöst worden war und weltweit böse Auswirkungen hatte, unter anderem auch in Deutschland.

     

    Derzeit erleben wir eher eine humanitäre Krise. Die Mechanismen allerdings, die diese Krise ausgelöst haben, sind ganz ähnliche. Wieso Roosevelts Behauptung, das einzige, was zu fürchten sei, sei die "namenlose, blinde, sinnlose Angst, ...", heute nicht zutreffen sollte, müsste man mir also erst erklären.

     

    Europäische Politiker fürchten sich ganz offensichtlich. Und zwar weniger vor den Kriegs- und Elensflüchtlingen, als vielmehr vor dem eigenen Volk, vor denen also, über die sie angeblich herrschen. Im Grunde haben sie Angst um eine Macht, die sie gar nicht besitzen. Und all das nur, weil in der Demokratie alle vier Jahre gewählt wird.

     

    Die (eventuelle) Angst der Wähler bedingt die (erkennbare) Angst der Politiker. Ob zu Recht oder zu Unrecht, wollen weder die einen noch die anderen herausfinden. Kein Risiko eingehen zu wollen, ist allerdings das größte Risiko von allen. Wer nämlich nichts erhofft, der hat bereits verloren, bevor er überhaupt aktiv geworden ist. Leider bekommen das mal wieder in erster Linie die zu spüren, die in ihrer eigenen Angst die Angst der angeblich besonders Mächtigen nicht sehen konnten oder wollten. Alle Anderen haben noch zu viel zu verlieren um schon frei zu sein in ihren Entscheidungen.

  • Ich gebe dem Auto recht, dass die Verdammung der Schlepper sehr plakativ und wenig seriös ist in Gesamtschau der Problematik. Aber hier fehlt, wie in jedem sehr durch Solidarität und Mitmenschlichkeit getriebenem Artikel die letzte Konsequenz: Was passiert mit den Menschen, die "in Europa" ankommen? Wie geht man hiermit um? Welche Zahl von Zuziehenden hält man für gangbar? Denn dann wird es schnell unangenehm und man müsste sich realpolitischen Folgen widmen, die mit dem zunächst sehr wohlklingenden "everybody is welcome" kollidieren. Die taz hat recht, dass das Thema hier anders aufbereitet wird als in vielen anderen Zeitung - aber solange hier keine Lösungen und, ja, auch bittere Wahrheiten stehen, ist es ähnlich wie das Schlepper-Bashing: nicht grundehrlich und nicht konsequent.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    "Züge und Fähren in die EU."

    Und Flüge ab TR.