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Flüchtlingschaos beim LagesoHelfer bekommen Hilfe

Professionelle Hilfsorganisationen übernehmen schrittweise die Arbeit der Freiwilligen von „Moabit hilft“ für die Flüchtlingen in der Moabiter Turmstraße.

Gummihandschuhe müssen sein: Freiwillige der Initiative „Moabit hilft“ geben gleich das Mittagessen an Flüchtlinge aus. Foto: SUM

In Zweierreihen stehen 40 junge Menschen in der Mittagssonne und warten auf das Zeichen zum Abmarsch. Die gelben Kisten in ihren gummibehandschuhten Händen sind gefüllt mit Suppenschalen, es gibt Ratatouille mit Brot, zubereitet von vier Männern in einer mobilen Küche. „André‘s Filmcatering“ steht seit Montag auf dem Gelände des Landesamts für Gesundheit und Soziales (Lageso) in der Moabiter Turmstraße und gibt täglich rund 1.200 Essen für Flüchtlinge aus. Kurz instruiert ein Helfer die Freiwilligen des Nachbarschaftsvereins „Moabit hilft“, das Essen nicht auf dem Weg zu verteilen, sondern erst „vor Ort“ – dann zieht der Trupp los.

Seit Monaten wird das Lageso dem Ansturm der Flüchtlinge nicht mehr Herr, schon im Winter mussten Menschen teilweise tagelang in klirrender Kälte warten. Doch erst seit „Moabit hilft“ vor knapp drei Wochen über soziale Medien einen gigantischen Helfereinsatz startete, ist die breite Öffentlichkeit auf die brisante Lage an der zentralen Aufnahmeeinrichtung aufmerksam geworden. Hunderte HelferInnen sind nun Tag für Tag im Einsatz, verteilen Wasser, Obst, Brote, aber auch Kleidung und Taschen mit Kleinkinderbedarf wie Windeln, Cremes und Zahnbürsten. Sie organisieren eine Kinderbetreuung, private Unterkünfte für obdachlose Flüchtlinge und ziehen abends durch die Parks, um campierenden Menschen Essen und Decken zu bringen.

Nun bekommen die Freiwilligen professionelle Hilfe. „Wir können uns jetzt schrittweise zurückziehen“, stellt Diana Henniges erleichtert fest. Die Gründerin von „Moabit hilft“ sitzt am Freitagvormittag zwischen zwei Interviewterminen auf einer Bank vor Haus G, einem ehemals leer stehenden Gebäude, in und vor dem Spenden aufbewahrt und sortiert werden. Zwar empört sie noch immer, dass es die Politik so weit kommen ließ, doch eigentlich ist Henniges zufrieden: die Johanniter hätten zugesagt, einen „Medi-Point“ zu besorgen, ein Arztbehandlungszelt mit allem Pipapo, die Caritas richte gerade in Haus C einen Ruheraum für Schwangere, Stillende und andere Bedürftige ein, auch die Ärztekammer wolle bald mitmachen. Die Lebensmittelversorgung übernehme für die kommende Woche Andrés Filmcatering. „Wir können uns dann wieder anderen Dingen widmen“, hofft Henniges. „Das hier ist ja nicht unsere Aufgabe.“

Zufriedenheit herrscht auch in Haus C: Neben dem noch spärlich möblierten Ruhe- und Stillraum der Caritas haben die ebenfalls über „Moabit hilft“ organisierten Ärzte seit diesem Morgen einen Behandlungsraum. „Vorher mussten wir die Menschen in einem Zelt verarzten, das waren Verhältnisse wie in der 3. Welt“, erzählt Kinderarzt Harmut Wollmann, der seit einer Woche ehrenamtlich hilft. Zusammen mit sieben, acht Kollegen, ebenso vielen Krankenschwestern und drei, vier Hebammen versorgt er täglich hunderte Menschen: „Viele Leute sind am Ende, haben überall Schmerzen, sind total erschöpft von ihrer langen Flucht.“

So wie Mohammed, Anas und Nezar, drei junge Syrer, die seit Montag täglich zum Lageso kommen müssen. Mit hunderten anderen stehen sie auf dem Hauptplatz vor Haus 1 und warten, dass ihre Namen aufgerufen werden. „Wir sind vor einem Monat aus Syrien weg, sind viel zu Fuß gelaufen“, sagt Anas. Am liebsten würde er nur schlafen, so müde sei er. Stattdessen umtost ihn das Chaos – und macht ihm Angst. „Vielleicht haben sie unsere Akten verloren?“

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5 Kommentare

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  • Die Helfer in diesem Artikel der TAZ sowie Til Schweiger und Campino sind richtige Helden im wirklichen Leben.

     

    Ein Held ist der, der die Schwachen, Kranken, Kleinen, Alten und Geflüchteten beschützt!

     

    Ein Held ist der, der immer hilft, wenn jemand Hilfe braucht!

     

    Ein Held ist der, der seine Meinung ganz offen und direkt sagt - selbst den Politikern, wenn man der Meinung ist, dass jemand etwas Unrechtes oder Ungerechtes tut!

    • @Stefan Mustermann:

      ..absolut korrekt, solche Menschen sind ehrbar!

      Machos dagegen, die schwächere oft sogar zu mehreren verprügeln, sind feige Waschlappen, die zu verachten sind!

  • So fordert Campino: "Bei offenen Bedrohungen gegen Flüchtlinge muss die Staatsmacht mit aller Härte vorgehen." Gleichzeitig erhoffe er sich eine Bevölkerung, die die Probleme der Flüchtlinge besser verstehe - schließlich seien viele Menschen in ihrer Heimat nicht in der Lage, ihre Familie zu ernähren oder zu beschützen: "Wer von uns würde da nicht versuchen, zu fliehen, etwas Lebenswertes zu finden?" Campino fordert Widerstand gegen Fremdenhass: "Gesellschaft muss dagegenhalten"

    http://www.gmx.net/magazine/unterhaltung/musik/campino-widerstand-fremdenhass-gesellschaft-dagegenhalten-30831750

  • Vor Wochen teilte der Schauspieler Till Schweiger auf seiner Facebook-Seite einen Spendenaufruf für Asylsuchende in Deutschland – und erntete teils harsche Kritik. Seitdem legt sich der Schauspieler auf der Plattform mit allen an, die dort mit Schmutz gegen Flüchtlinge werfen, und greift dabei auch selbst zum einen oder anderen Schimpfwort. Seine Ankündigung, ein Flüchtlingsheim bauen zu wollen, weckte indes die Aufmerksamkeit der Politik. So kam es sogar zu einem Treffen mit Vize-Kanzler Sigmar Gabriel, bei dem laut Gabriel, die "Planungen für Flüchtlinge und gegen rechtsradikale Hetze" besprochen wurde. Doch auch die Resonanz auf dieses Treffen fiel auf Twitter nicht uneingeschränkt positiv aus.

    http://www.gmx.net/magazine/unterhaltung/stars/pressekompass-halten-til-schweigers-engagement-30819966

  • Seit 3 Jahren entsteht eine große Bewegung für Menschenrechte in Deutschland. Immer mehr Menschen mit unterschiedlichem sozialen Status machen dabei mit. Netzwerke vergrößern sich und Initiativen arbeiten vermehrt zusammen. Selbst die Stars werden aktiv.

     

    So setzen sich selbst der Fernsehstar Till Schweiger und der Rockstar Campino (Andreas Frege) für die Verbesserung der Situation rundum Flüchtlinge ein.