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Die neue Stadt in der Ersten BundesligaGrüße aus Ingolstadt

Die Erste Bundesliga hat einen neuen Verein: die „Schanzer“ vom FC Ingolstadt 04. Zu Besuch in Deutschlands jüngster Großstadt.

In Ingolstadt wächst alles: Wirtschaft, Mieten, Migrationshintergrund Foto: imago/McPHOTO

Ingolstadt taz | Am 23. August geht es richtig los: Am Sonntag kommt Borussia Dortmund in den „Audi-Sportpark“ – wenn die Schwarz-Gelben nicht im Stau stecken bleiben. Aber das wird schon werden, beziehungsweise: kommt später.

Eigentlich, sagt Jürgen Siebicke, sei Ingolstadt ja eine Eishockeystadt. Siebicke ist Stadtrat für die Linke in Ingolstadts Neuem Rathaus. Sein Dienstgebäude ist mit der daneben liegenden Sparkassenzentrale das hässlichste am Ort. Eine beliebte Kombination in vielen großen Klein- oder kleinen Großstädten. Was Ingolstadt genau geworden ist oder was es noch werden will – das ist eine Frage, die wir auch nach hinten verschieben.

Erst müssen wir sagen, dass der Ingolstädter Stadtrat Siebicke ein bayerischer Linker ist; mit Valentino-Brille, in den 80er Jahren sozialisiert durch den Atom- und Repressionsirrsinn von Wackersdorf, mit einer guten Anstellung in einem dieser exportorientierten Betriebe, welche die ganze Welt als „the Mittelstand“ kennt. Sein politisches Engagement ist für die Firma kein Problem – „oder meinen Sie jetzt umgekehrt: mein Job für die Partei?“

Ansgar Reiß, Direktor des Bayerischen Armeemuseums, sagt, dass man im Ort erst Audianer sei, dann Ingolstädter. Und das sagen eigentlich alle. Die einzigen, die betonen, wie unabhängig sie von Audi seien, sind die netten jungen Angestellten des FC Ingolstadt 04 (steht für 2004) im „Audi-Sportpark“, der der Audi Immobilien Verwaltung GmbH gehört.

Penetrant präsent

Audi beschäftigt 40.000 Menschen in Ingolstadt. Es gibt die Audi-Krankenkasse und die Audi-Bank. Buslinien der Stadt haben im Sichtfenster einfach nur „Audi“ stehen. Und wenn man Ingolstadt wieder verlässt, passiert man einen Güterzug geladener Audis wie eine chinesische Mauer. „Audi hält am Absatzziel China fest“, heißt das dann in der Lokalzeitung, 600.000 Autos pro Jahr sollen ins „Reich der Mitte“ abgehen. Abends im Biergarten wird ein Lokalpolitiker zitiert, der eine chinesische Delegation bespaßen muss: „Mögen wollen wir nicht, aber müssen tun wir halt.“

Es ist nicht alles schlecht, was Audi mit Ingolstadt macht. Nur ist Audi halt dermaßen penetrant präsent, dass man instinktiv nach dem anderen sucht, dem Abweichenden, dem „Obstinaten“, wie man in Bayern sagt.

Und da kommt man, weil scheinbar widerständiger als die Menschen, auf die Bauten. Ingolstadt war Festungsstadt, ist noch heute romantisch von Wall und Wassergraben umgeben, mit Biber-Manager und allem Drum und Dran. Klenze hat den Stil geprägt, und Klenze hat noch keinem Ort geschadet. Zusammen mit der Donau, die tief grün an der Stadt vorbeistrudelt, ist Ingolstadt schon noch erst einmal das: brutal schön.

Nun ist es aber so, dass „die Stadt“ direkt neben das im „Neuen Schloss“ untergebrachte Armeemuseum – sozusagen in die klassische Ansicht von Ingolstadt hinein – ein scheußliches Kongresszentrum mit angeschlossenem 5-Sterne-Hotel hinsetzen will. Ein Schulungsgebäude der Audi-Akademie sowie die Tiefgarage sind schon mal eröffnet. Das noch zu bauende Ensemble gefällt in der jetzigen Form selbst ehemaligen CSU-Lokalgrößen nicht.

Alles wächst

Die Frage ist in Ingolstadt, wer was entscheidet: Audi oder die Politik, also der Bürger. Und ob der Bürger sich tatsächlich traut, etwas anderes zu entscheiden als das, was Audi will.

Beziehungsweise: ob er das überhaupt will. Mit dem Verkehr zum Beispiel, meinen alle, geht es in Ingolstadt so nicht weiter. Und damit sind nicht die Busfahrer gemeint, die nett und mit polnischem Akzent sagen, dass sie nur ihre eigene Linie kennen und einem keine Auskunft geben können.

In Ingolstadt wächst alles: die Wirtschaft, die Mieten (“Münchner Preise!“), der sogenannte Migrationshintergrund (43 Prozent), der ungenannte, aber deutlich vernehmbare ostdeutsche Hintergrund. Um 1960 hatte die Stadt 50.000 Einwohner, heute es sind 130.000. Und die Tendenz geht steil auf 160.000. In Ingolstadt stirbt Deutschland nicht aus, sagt Direktor Reiß.

2020 soll es gegen das Chaos aber immerhin einen neuen Bahnhalt geben. Der wird voraussichtlich „Ingolstadt Audi“ heißen. Und der Rest, die „verkehrspolitische Revolution“, die Stadtrat Siebicke will? So etwas geht nicht in Ingolstadt, heißt es am Stammtisch. Und wenn es bei der zweiten Maß bayerisch wird, dann wird es eben ein „Ja, mei“ – und dann steht man wieder im Stau oder fährt halt gleich mit dem Radl.

Allsamstägliche Druckbetankung

In Ingolstadt ist es wie so oft in Bayern: Bestimmte Dinge macht man einfach nicht. Beim Kiffen ist es so, da ist No Tolerance. In der Münchner Jugendarrestanstalt, nicht weit vom Starkbiertempel Nockerberg entfernt, landen so viele junge Ingolstädter Drogis, sagt Stadtrat Siebicke, dass man schon angerufen werde: Wann man gedenke, sich eine eigene Arrestanstalt anzuschaffen?

Die allsamstägliche Druckbetankung im innerstädtischen „Bermudadreieck“ kotzt dagegen so richtig nur die Taxifahrerin aus Russland an: Sie hole da nach zwei Uhr nachts niemanden mehr raus, die Leute wüssten ja nicht mehr, wie sie heißen, geschweige denn, wo sie wohnen.

Der Druck ist eben da, in der Stadt: Viel wird über die Arbeit geredet an den Tischen der mittleren Angestellten. Es sei super, dass es die Sonntagsspiele gebe, sagt Vincent „Vince“ Ludwig, Fanbetreuer vom FC Ingolstadt, der selbst aus der Ultraszene kommt. Die Ultras seien eben zum größten Teil Schichtarbeiter bei Audi und da gebe es auch Samstagsschichten: „Sonntags können alle dabei sein!“

Ist das jetzt so ein Satz der zu dem passt, was am Stammtisch der Väter, also von Herren um die 50, beklagt wurde: dass es in Ingolstadt keine (Fan-) Kultur von unten gebe, dass alles ein von oben, also von Audi, bestimmter und aufgestülpter Event sei?

Aller Anfang ist schwer

Die jungen FC-Angestellten, die am Stadion rund um einen Grill Mittag machen, sehen das nicht so. Im Gegenteil: Sie verstehen gar nicht, was da beklagt oder eingefordert wird. Es sei wahnsinnig viel los in Ingolstadt, fast jedes Wochenende werde was Neues geboten.

Der Sportpark liegt 20 Busminuten vom Zentrum im Nirgendwo eines aufgelassenen Raffineriegeländes. Vorne ein Parkplatz, ein zweiter wird gerade als Notunterkunft für Flüchtlinge genutzt. Hinter dem Stadion die Trainingsplätze, sonst Brache und in einiger Entfernung Wald und Weiher, Schlachthof und die „Grabkammer – Exklusives SM-Studio“.

In der neuen Vereinszentrale ist es schön kühl, in der direkt anschließenden Audi-Sportakademie, einem von Audi finanzierten Internat, das der FC und der Ingolstädter Eishockeyclub EHC gemeinsam betreiben (die Fans mögen sich weniger), ist es so warm wie draußen.

Aller Anfang ist eben schwer. Und in Ingolstadt, das muss man sehen, kam der Wohlstand immer von oben: Herzöge, Jesuiten, Universität, Rüstungsindustrie, „Schanzer“ (einst gepresste Bausoldaten) und Pioniere – sie brachten die Stadt zum Leben. Das Audi-Werk im Norden der Stadt steht auf dem ehemaligen Exerzierplatz.

Besinnungslos und fremdbestimmt

Und „die größte Dramatikerin des 20. Jahrhunderts“ (Elfriede Jelinek)? Die Dichterin, die Ingolstadt was geblasen (aus: „Pioniere in Ingolstadt“) und der dann die Stadt was zurück geblasen hat? Die Tage, da Marie-Luise Fleißer – 1901 in Ingolstadt geboren und dort 1974 gestorben – Konjunktur hatte, sind vorbei. Im Hugendubel auf der Einkaufsmeile Theresienstraße muss man erst mal nachschauen lassen, ob überhaupt was da ist von der „Fleißerin“, die nach der Premiere der „Pioniere“ 1929 sogar von der New York Times gerühmt wurde.

Es finden sich dann drei Büchlein, im untersten Regal. Ja, von der „Fleißerin“, sagt die Verkäuferin und schaut zu Boden, auf ihre Füße, da werde nicht mehr so viel aufgelegt.

Was natürlich ein Schmarrn ist – und schade wäre. Denn Marie-Luise Fleißer, die immer dann, wenn ihr Leben richtig hätte abheben können, der Mut verlassen hat, die dann doch (ja mei: lieber?) eine „Schanzerin“ und Nazimitläuferin hat bleiben als eine Großstädterin und Asphaltliteratin hat werden wollen – die ist dem Ingolstadt, das da gerade etwas besinnungslos und fremdbestimmt vor sich hin wuchert, verwandter, als es allen Beteiligten vielleicht lieb ist.

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