piwik no script img

Bergwandern und Blockieren in ElmauEin bisschen Power to the People

An das Schloss kommt niemand ran. Manche sind schon froh, symbolisch an der Kulisse der Mächtigen zu rütteln.

Rund 400 Menschen bewegen am Sonntag in Richtung Elmau. Am Sicherheitszaun ist Schluss. Foto: dpa

GARMISCH-PARTENKIRCHEN taz | Monatelang hatten sie alles geplant, konspirativ, versteht sich. Im Morgengrauen waren Bernhard Stövesandt und seine Freunde gestartet. Acht Stunden Marsch durch die Wiesen, die Pattnachalm hinauf, immer geduckt an Bäumen, die Stimmung irgendwo zwischen gelöst und verwegen, auf der Hut vor den Tausenden Polizisten, die das Treffen der mächtigsten Menschen der Welt bewachen.

„Sie sollen nicht ungestört bleiben“, sagt der Mann mit den braunen Locken, dem pinkfarbenen Rock und der Trommel. Am nächsten Tag wird er 45 Jahre alt - aber feiern will er, wenn er es geschafft hat, eines der größten Polizeiaufgebote auszutricksen, das die Bundesregierung je aufgefahren hat.

Um 15 Uhr, eine gute Stunde nach Merkel und ihren Gästen, erreichen sie das Hochtal von Elmau. Sperrgebiet. Ein Waldweg, ein Zaun, dahinter das Treffen der Herrscher der Welt. Ein kurzes Plenum, dann holen sie die pinke Schminke aus ihren Rucksäcken, malen ihre Gesichter an und laufen los.

Die Machtverhältnisse sind eindeutig. Genau genommen: 1 zu 10. Etwa 2.000 Demonstranten sind am Sonntag in Garmisch-Partenkirchen, der kleinen Gemeinde am Alpenrand, zu zählen. In den Straßen stauen sich die Mannschaftswagen der 20.000 Polizisten, die den Gipfel bewachen.

Jagd nach kleinen, symbolischen Siegen

Sie gehen für ein offenes Europa auf die Straße, für Klimaschutz und gegen den Kapitalismus. Für sie ist der Tag des Treffens von Merkel und Obama, Cameron und Hollande, dem Japaner Abe, dem Italiener Renzi und dem Kanadier Harper vor allem eine Jagd nach kleinen, symbolischen Siegen gegen die Mächtigen.

Die Szene hat es sich schwer gemacht. Auf ein gemeinsames Großbündnis konnte man sich im Vorfeld nicht einigen. So demonstrierten am letzten Donnerstag in München die bürgerlichen Gipfel-Kritiker. In Garmisch-Partenkirchen sind es die eher radikaleren. Zusammen finden sie an diesem Wochenende nur vereinzelt. Auch mit ihrem Camp hatten die Protestler kein Glück: Das mussten sie sich erst juristisch erstreiten. Die Gemeinde hatte es wegen Hochwassergefahr untersagt. Am Samstag brach dann tatsächlich Unwetter herein. Das Camp musste zwischenzeitlich evakuiert werden.

So ist der Protest ein mühsames Geschäft. Am Samstag versuchen die Demonstranten die Straße zu besetzen, über die am nächsten Tag die schwarzen Limousinen mit den getönten Scheiben rollen sollen, eskortiert von Polizeikolonnen und besetzt mit den Trossen der Staatschefs. Tausende werden umzingelt, nach einigen Stunden müssen sie die Straße räumen.

Im Dorf Klais, nahe Elmau, genehmigt der Staat ihnen eine Demo für ganze 40 Meter. Am Ende zogen 50 Demonstranten mit vier Transparenten wie „Für den Profit der Reichen gehen sie über Leichen“ einmal die Auffahrt hoch und wieder runter. Nach fünf Minuten war Schluss.

In der Sicherheitszone um Elmau wird eine Mini-Kundgebung für 50 ausgewählte Demonstranten erlaubt, mit Anfahrt im Polizeishuttle. Das schlagen die Protestler aus: eine „unerträgliche Farce“.

Bernhard Stövesandt hat das alles kommen sehen. „Morgen wird hier nicht viel gehen“, sagt er. Es ist Samstagabend, die große Demo wurde von der Polizei zurück an ihren Ausgangsort eskortiert, es regnet in Strömen. Stövesandt und seine Gruppe haben sich vor dem Regen in eine Bahnunterführung geflüchtet, inmitten von Hunderten nass geregneten Demonstranten. Die Gruppe spielt Samba. Der pink-silberne Block - seit vielen Jahren macht er das. Kein Großprotest des letzten Jahrzehnts, bei dem der Physik-Doktor Stövesandt und seine Trommelgruppe nicht in der ersten Reihe dabei gewesen wären. „Um drei Uhr nachts gehts los“, sagt er, Treffpunkt noch geheim. Kein Handy mitnehmen.

Er will weiter kommen als all die anderen: dahin, wo die sitzen, die Kriege und Kapitalismus, den Tod der Flüchtlinge, die Zerstörung des Klimas zu verantworten haben, so sieht Stövesandt das. Und deswegen wollen sie ihre eigene, kleine, geheime Aktion machen.

Die sollen sich nicht zu sicher fühlen

Die großen Züge mit Hunderten Gipfelgegnern ziehen am Sonntag im Sternmarsch über die Berghänge des Alpenrands, drei „Finger“, so nennen sie ihre Züge, am Ende doch richterlich genehmigt. Um acht Uhr in der Früh haben sie sich am Bahnhof von Garmisch-Partenkirchen versammelt, unter ihnen Christina, eine junge Frau aus München. „Wir wissen ja, dass wir nicht bis nach Elmau kommen“, sagt sie, bevor der Tross überhaupt losgelaufen ist. „Aber die sollen sich halt nicht zu sicher fühlen - und wir müssen die vielen Polizisten ja beschäftigen.“

Sie laufen vorbei an der großen Skischanze, dem Wahrzeichen von Garmisch. Der Weg führt steil in den Wald, an der ersten Alm gibt es Rangeleien mit der Polizei. Eine Einheit will vor den Zug gelangen, sie quetscht sich auf dem engen Bergweg an den Demonstranten vorbei, ein paar aufgebrachte „Haut ab, haut ab“-Rufe, dann hat sich die Lage beruhigt.

Die schweren Helikopter der Bundespolizei dröhnen im Viertelstundentakt über die Baumwipfel und hämmern durch das Tal. Nach drei Stunden erreichen die Demonstranten den Zaun. Umringt von Polizisten sind sie am Ziel und doch ratlos. Allen schwant: Hier ist kein Durchkommen. Die Polizisten scheinen zu spüren, dass hier niemand ernsthaft versuchen wird, über den Zaun zu klettern. Nicht mal die Helme ziehen sie über.

Die Demonstranten machen Rast. Die Bergrettung und das THW verteilen Wasserflaschen. Nach zwei Stunden Rast tröpfeln die Demonstranten zurück ins Tal. Für den Abend ist Gewitter vorhergesagt, und das ist in den Bergen unberechenbarer als das alpine Räuber-und-Gendarme-Spiel mit der Polizei.

Andere haben sich im Fahrradkorso von Garmisch-Partenkirchen auf den Weg Richtung Elmau gemacht. Im Dörfchen Klais, sechs Kilometer vor Elmau, ist für sie Schluss. Keine Minute sind sie bis dahin ohne Polizeibegleitung unterwegs gewesen. Dann treffen sie auf eine Gruppe Sitzblockierer, Gipfelgegner aus Bautzen. Die sind noch früher gestartet, im Morgengrauen, um sechs Uhr. Zogen durch Wälder, überraschten die Polizei.

Das Einzige, was hilft: ziviler Ungehorsam

Helmut Groß, Bad Tölzer, Landschaftsgärtner, Friedensbewegter, springt über das Absperrgitter auf die Bundesstraße 2, rennt auf die kleine Sitzblockade zu. „Hey, stopp“, schreien die Polizisten. Sie drängen Groß ab und zurück auf den Radweg.

Für Groß sind die G 7 die „Kriegsverbrecher da oben“. Von Atomabrüstung sei keine Rede mehr, in Nahost werde wieder interveniert. Unter den meist jüngeren, radikalen Mitprotestlern fühlt er sich wohl. Auch Groß will mehr. „Jugoslawien, Irak, immer wurde demonstriert, und trotzdem haben die ihre Kriege durchgezogen.“ Das Einzige, was helfe, sei ziviler Ungehorsam, sagt Groß. Massenhaft, vielleicht in ein paar Jahren. Heute tun es auch schon mal Sprünge über Absperrgitter.

Bei der Gruppe um Stövesandt wird es dann doch später. Angesichts des schweren Unwetters erscheint ihnen der Aufstieg mitten in der Nacht zu riskant.Doch am frühen Morgen brechen sie auf, mit pink lackierten Fingernägeln und den Trommeln im Rucksack, das Ziel vor Augen, Merkel und ihren Gästen persönlich zu zeigen, was sie von ihnen halten. Stundenlang marschieren sie durch die Wälder, bis selbst die Polizei beginnt, sie zu vermissen. Am frühen Nachmittag fragt sie per Twitter, wo denn die Samba-Gruppe vom Vortag geblieben sei. „Wir vermissen die schöne Stimmung.“

Dazu besteht kein Anlass. Fast zeitgleich mit den Staatschefs kommen Stövesandt und seine Freunde am Schloss Elmau an. Sie stehen oben am Hang, unten machen die Staatschefs ihre Familienfotos, die Hubschrauber dröhnen, am Himmel ziehen Wolken auf. Niemand hält sie auf. Sie stoßen bis zum Zaun vor, heften ein Transparent daran. „G-7-Politics kills. Power to the People“. Sie packen ihre Trommeln aus und beginnen zu spielen, bis die Polizei kommt und sie vertreibt. Power to the People. Wenigstens ein bisschen. Ein kleiner Sieg gegen die Herrscher der Welt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Heißt wohl eher Partnach-(alm/klamm)...