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Kommentar FlüchtlingspolitikFliehen Sie bitte woanders!

Katharina Schipkowski
Kommentar von Katharina Schipkowski

In Hamburg-Harvestehude darf kein Flüchtlingsheim entstehen. Das Viertel sei „besonders schützenswertes Wohngebiet“.

Das ehemalige Kreiswehrersatzamt (links) wird nun doch nicht umgebaut Foto: dpa

D ass AnwohnerInnen im Hamburger Nobelviertel Harvestehude gegen den Bau eines Flüchtlingsheims in ihrer Nachbarschaft protestieren, ist eine Sache. Hässlich genug, aber gegen Flüchtlingsheime in der Nachbarschaft wird immer und überall protestiert. Der Widerstand unterscheidet sich häufig nur in seiner Form: Während in Berlin-Marzahn auf der Baustelle randaliert wird, werfen Menschen in Brandenburg, Rheinland-Pfalz oder Sachsen-Anhalt lieber Brandsätze in entstehende Gemeinschaftsunterkünfte oder kippen Benzin durch die Fenster.

Im Hamburger Reichenviertel macht man das anders. Hier zieht man dagegen vor Gericht. Die geplante Unterkunft sei mit dem geltenden Bebauungsplan nicht vereinbar, so die Argumentation. Der stammt aus dem Jahr 1955 und stuft die Gegend als „besonders schützenswertes Wohngebiet“ ein.

Ich erinnere noch mal kurz daran, worum es hier geht: um eine Unterkunft für Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, weil sie verfolgt werden oder aufgrund von Krieg oder Armut nicht länger da bleiben können, wo sie vorher gelebt haben. Also, wer ist hier besonders schützenswert?

Das Wohngebiet!, urteilte das Hamburger Oberverwaltungsgericht nun am Montag. Dort dürfe eben nur Wohnnutzung stattfinden – und eine Flüchtlingsunterkunft entspräche keiner Wohnnutzung im engeren Sinne, sondern wäre eher als „soziale Einrichtung“ zu verstehen.

Denn: Für eine Wohnnutzung sei erstens das Kriterium der Freiwilligkeit Voraussetzung und zweitens die Dauerhaftigkeit des Wohnens. Und außerdem eine „gewisse Privatsphäre“, die in einer Gemeinschaftsunterkunft nicht gegeben sei. So sorry!

Und so bleiben die besonders schützenswerten Harvestehuderinnen und Harvestehuder weiterhin unter sich, frei nach dem Motto „Not in my posh backyard“. Und die Justiz liefert den Rechtsschutz für das Biotop für ganz besonders schützenswerte Weißbrote. Ich glaube, ich habe eine Glutenallergie.

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Katharina Schipkowski
Redakteurin | taz Nord
Jahrgang 1986, hat Kulturwissenschaften in Lüneburg und Buenos Aires studiert und wohnt auf St. Pauli. Schreibt meistens über Innenpolitik, soziale Bewegungen und Klimaproteste, Geflüchtete und Asylpolitik, Gender und Gentrification.
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5 Kommentare

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  • sowohl den Bericht/Kommentar als auch den Kommentar von "Nutzer" empfinde ich als sehr treffend formuliert. Danke!

  • Der Bericht ist nicht ganz vollständig. Die Kläger haben zwar gesiegt, aber aut einem Interview mit dem zuständigen Stadtbeamten (Titel habe ich vergessen) zeigt die Stadt jetzt Kante und will den B-Plan ändern, also nix mehr mit schützenswertem Wohngebiet.

    Wenn die Stadt das durchzieht, wäre es ein gutes Signal.

    • @nutzer:

      Ein gutes Signal ? Ich denke eher ein weiteres Beispiel, wie sich die Politik über den Willen der Bürger hinwegsetzt.

      • @Jom:

        achso? weil 5 Personen (oder lassen wir es 200 sein) gegen das Heim demonstrieren und vor Gericht ziehen sind sie jetzt also die 17.000 Einwohner von Harvesterhude?

        nur weil die Dagegenstimmen immer am lautesten sind sprechen sie wohl kaum für die Mehrheit, und in diesem fall schon garnicht. PEGIDA = Die Mehrheitsmeinung in Dresden? Nein: Und in harvesterhude sind nicht 10.000 Menschen auf die straße gegen die Unterkunft gegangen.

        mfG die Demokratie

      • @Jom:

        @jo In anderen Landesteilen will das "Volk" gern auch mal ein paar Flüchtlingsheime brennen sehen. Soll sich die Politik darum kümmern und die Streichhölzer liefern? "Volkswille" - ich glaub ich kotz gleich.