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Gastro-Kurator über Esswerkzeuge„Löffel sind perfekt für Fast-Food“

Stäbchen verleiten zum Teilen, sagt Martin Kullik. Und erklärt, warum man Tiramisu mal mit den Händen essen sollte.

Gabel einfach neu denken: Maki Okamoto hat es getan. Foto: Steinbeisser
Jörn Kabisch
Interview von Jörn Kabisch

taz: Herr Kullik, warum soll ich mit Schraubenschlüsseln essen?

Martin Kullik: Weil die Wahrnehmung des Essens sich sehr verändert, wenn es in einem anderen Setting stattfindet. Wir beschäftigen uns damit seit einigen Jahren und haben 2009 Steinbeisser gegründet als ein Projekt für experimentelle Gastronomie. Denn wir sehen, dass sich viele Köche, vor allem im Bereich Fine Dining, große Gedanken um Besteck, Geschirr, Gläser und das ganze Drumherum in ihren Restaurants machen.

Aber dabei geht es doch vor allem darum, dass das Ambiente stimmt.

Nicht nur. Über das Besteck haben Sie Einfluss, wie der Gast isst. Soll er langsam essen, nur kleine Bissen essen? Kommt der Geschmack noch idealer rüber, wenn er einen Löffel benutzt? Darüber machen sich inzwischen auch Köche Gedanken.

Das Besteck, das Sie einsetzen, erinnert dagegen an ein Multifunktionswerkzeug.

Die Besteckstücke stammen von Nils Hint, einem Eisenschmied in Estland. Dort wie auch in vielen anderen Ländern der ehemaligen Sowjetunion existieren noch immer riesige Lager mit Restmetallen: Helikopterflügel, Teile von U-Booten, alte Maschinengewehre oder Pistolen bis hin zu Besteck und Werkzeugen. Nils kauft jedes Jahr ein paar Tonnen von diesem Material und verarbeitet es zu Installationen. Und für uns hat er Werkzeuge mit Besteck verschmolzen. Nun hat man ein Stück, bei dem man selbst wählen kann, mit was man isst, was mir vertraut ist, also mit einem Löffel, einer Gabel und einem Messer: Oder ess ich mit der Kneifzange, dem Schraubenzieher oder auch dem Hammer.

Haben Sie ein Beispiel, wie Besteck die Wahrnehmung beeinflusst?

Es gibt ein ganz einfaches. Viele Leute können sich gar nicht mehr vorstellen, mit ihren Fingern zu essen. Wenigstens gilt das für die Niederlande, wo ich lebe. Aber benutzen Sie doch einfach mal nur die Hände, um ein Tiramisu zu essen. Wahrscheinlich führt die Konsistenz dazu, dass sie sich erst große Stücke in den Mund schieben und anschließend die Finger ablecken. Ein völlig anderes Erlebnis, als mit dem Löffel zu essen. Da hat man immer den fast gleichen Bissen im Mund.

Leonor Hipolito
Im Interview: Martin Kullik

29, ist Kurator für experimentelle Gastronomie. Seit 2009 betreut er von Amsterdam aus „Steinbeisser“ – avantgardistische Tafeln an wechselnden Orten, im Juli in Berlin.

Vielleicht mögen Menschen die Wiederholung?

Ich will das gar nicht kritisieren. Messer, Gabel und Löffel sind Gewohnheit geworden. Solche Traditionen sind sehr wichtig, aber Innovation sollte dabei nicht unterschätzt werden. Das Faszinierende ist ja: Weil die Menschen schon so lange Erfahrung damit besitzen, haben sich sehr gebrauchsfähige Instrumente entwickelt. Sie sind ausbalanciert, sie unterscheiden sich kaum in Gewicht und Länge. Ein Suppenlöffel wiegt im Durchschnitt 25 Gramm, die meisten zwischen 15 und 30 Gramm. Und trotzdem beschäftigen sich Designer mit dem Besteck: nicht nur, um es an die Mode der Zeit anzupassen. Es geht auch um Funktionalität. Es gibt beispielsweise ein Besteck aus Italien, das hat eine viel kantigere Schneide. Es eignet sich viel besser als Schiebewerkzeug. Und schneidet immer noch genauso gut.

Wie ist es mit dem Löffel? Lässt der sich auch verbessern?

Der Löffel ist ein Universalschlüssel, er ist das Abbild der hohlen Hand. Bei unseren Veranstaltungen liegt er immer mit auf dem Tisch. Aber wir hatten bei einer Veranstaltung eine südkoreanische Künstlerin, die versucht hat, den Löffel zu verbessern. Das Gerät war nicht so spitz zulaufend. Sie orientierte sich an einer Muschel. Es war aus elastischem Material. Man konnte damit das Essen aufnehmen und zum Mund führen, ähnlich wie man es in Indien mit Brotfladen macht, die man durch gekochte Linsen zieht. Ich sage Ihnen: Mit so einem Löffel kann man sehr schnell essen. Er ist eigentlich das perfekte Besteck für Fast Food. Also warum soll sich das Besteck nicht mitentwickeln, je mehr sich unsere Essgewohnheiten differenzieren.

Dann müsste es auch Besteck geben für jemanden, der langsam essen will.

Ja, Löffel beispielsweise, die beinah ein Meter lang sind oder Besteck, das so schwer ist, das man es zwischendurch able gen muss. Die hatten wir auch schon mal. Sie sind so unpraktisch, da kaut man unweigerlich länger. Das würde eigentlich gut zur ayurvedischen oder makrobiotischen Küche passen, die genau das verlangt.

Ich hätte mit einem so langen Löffel versucht, mein Gegenüber am Tisch zu füttern. Kann Besteck eine soziale Funktion haben? Ich denke da gerade an den Unterschied zwischen Messer und Gabel und asiatischen Stäbchen.

Absolut. Stäbchen haben viel mehr mit Teilen zu tun. Messer und Gabel haben eine große Ähnlichkeit mit den Werkzeugen in der Küche. Schon ein Schneidwerkzeug am Tisch – da denkt man doch gleich an Abgrenzung. In der Stäbchenküche dagegen kann der Koch keine Arbeit an die Gäste abgeben. Die Werkzeuge sind viel reduzierter, eignen sich aber wegen ihrer Länge besser, gemeinsam vom gleichen Teller zu nehmen. Die Teller dagegen, die jeder vor sich hat, sind viel kleiner als bei uns …

und man hat keine Möglichkeit zu signalisieren: Das ist meins. Über die Form hinaus, was bestimmt unseren Geschmack eigentlich noch?

Farben spielen eine sehr große Rolle. Viele Menschen, die professionell Eis verkosten, benutzen goldene Löffel. Warum? Weil die Farbe die Wahrnehmung von Süße intensiviert. Man hat auch herausgefunden, das Blau die Empfindung von Salzigkeit verstärkt. Das ist eine Erkenntnis, die man in Krankenhäusern oder Kantinen nutzen könnte, überall, wo man aus irgendeinem Grund in der Küche an Salz sparen muss. Bei der Farbe der Wände, der Tische, vielleicht auch bei Geschirr und Besteck.

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1 Kommentar

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  • Auch in der "Stäbchen-Küche" gibt es die Möglichkeit, zu signalisieren: Das ist meins. Allerdings legt man sich mit Stäbchen jeweils nur so viel auf den Reis in der eigenen Schüssel oder auf den kleinen Teller nebenan, wie man auch sofort isst.

     

    In der deutschen Küche können die Augen eines Essers leicht sehr viel größer sein als der dazugehörige Magen. Es gibt da eine seltsame Tendenz zur Vorratswirtschaft bzw. zur Bevormundung, die in Zeiten wie diesen eigentlich unnötig ist. Am Ende werfen Mäkelige den größten Teil des Essens weg, während die Hungrigen nicht richtig satt geworden sind.

     

    Ob Blau tatsächlich die Empfindung von Salzigkeit verstärkt, sollen meinetwegen die herausfinden, denen Phänomene wie die, für die ich mich interessiere, nichts sagen. Das beste an der Asiatischen Küche ist für mich schließlich, dass jeder nehmen kann, was er gern essen möchte. So lang, jedenfalls, wie er die Stäbchen schnell und geschickt genug benutzt.