Contergan-Film: Ohne Rührseligkeit
Nach langem Rechtsstreit zeigt die ARD nun den Zweiteiler "Contergan" - einen der umstrittensten Filme, die in Deutschland je entstanden sind.
Mit so einem Krüppel müsse sich doch heute niemand mehr belasten, sagen ihr die Ärzte im Krankenhaus nach der Geburt ihres Contergan-geschädigten Kindes. Für so etwas gäbe es immerhin Heime. Und jetzt solle sie die Schwestern bitte nicht weiter mit dem Anblick dieser Missgeburt belästigen. Da hat Vera Wegener gerade entbunden.
Diese Szene am Anfang von "Eine einzige Tablette", dem ersten Teil von "Contergan", trifft heutige Ohren so hart, dass Katharina Wackernagel, die die Vera spielt, bei ihrem Vater nachfragte, ob das nicht übertrieben sei. Nein, sagte der, so habe man vor 50 Jahren tatsächlich über Behinderte gesprochen.
Der Zweiteiler von Regisseur Adolf Winkelmann versetzt den Zuschauer in diese Zeit zurück, nicht nur dank der herrlichen Requisite und einer Kameraführung im Stile der 60er. Denn es geht um ein Medikament, das 1961, vier Jahre nach seiner Markteinführung, wieder zurückgezogen wurde. Contergan steht für den größten Medizinskandal der Nachkriegsgeschichte; der Wirkstoff, Thalidomid, führte bei Neugeborenen zu Missbildungen. 50 Jahre nach der Markteinführung von Contergan wird nun der Film über den Skandal gezeigt - nach fast zwei Jahren des erbitterten Streits vor Gericht. Sowohl die Firma Grünenthal, damals Hersteller des Mittels, als auch der einstige Anwalt der Opfer, Karl-Hermann Schulte-Hillen, hatten gegen die Ausstrahlung geklagt (siehe Seite 13).
Und so können sich nun endlich die Zuschauer selbst ein Bild machen über einen der umstrittensten Filme, die in Deutschland je entstanden sind. Die Figur des Anwalts Paul Wegener (gespielt von Benjamin Sadler) ist der Held des Films. Während sein Partner Angst um die gemeinsame Kanzlei hat, ist Wegener der Einzige, der für seine geschädigte Tocher (toll gespielt von der 13-jährigen Denise Marko, die wegen eines genetischen Defekts ohne Arme und mit nur einem Bein geboren wurde) und die übrigen Opfer kämpft. Seine Ehe mit Vera (Katharina Wackernagel) droht daran zu zerbrechen. Währenddessen versucht Grünenthals Anwalt, den Prozess in die Länge zu ziehen, um sich durch Verjährung um ein Urteil zu drücken. Bei alldem ist das Publikum auf der Seite Wegeners. Doch es ist kein grobes Schwarz-Weiß-Muster, in das der Film fällt.
So mancher hätte aus so dankbarem Material eine schmalzige Posse gemacht, bei der, um es mit Regisseur Adolf Winkelmanns Worten zu sagen, "ein spektakulärer historischer Hintergrund für eine seichte Dreiecks-Liebesgeschichte verwurstet wird". Aber anders als die TV-Events der letzten Monate, in denen Ferres und Furtwängler abwechselnd die Tränendrüse malträtierten, ist "Eine einzige Tablette" ein bewegender Film. Kein rührseliger. Ein Film, der durchaus in der Lage ist, die Vergangenheit für die Zukunft nutzbar zu machen.
Dennoch fragt man sich am Ende, warum Regisseur Winkelmann die Geschichte aufmotzen musste. Wieso etwa braucht es im Film einen Detektiv, der die Opfer in der Presse verunglimpft? Fiktionalität, schon gut. Aber wäre die wahre Geschichte nicht stark genug gewesen?
"
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen