piwik no script img

Koalitionsverhandlungen GesundheitspolitikDas Milliardenloch

Union und FDP streiten, ob der Gesundheitsfonds abgeschafft werden soll und wer für die Mehrkosten aufkommt. Verantwortlich für den Kostenzuwachs wären höhere Ärzte-Honorare.

Einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen, sagt Schwarz-Gelb - und streitet über den Gesundheitsfonds. : dpa

Immer mehr graue Wolken zogen über den Himmel, als Ursula von der Leyen am Mittwochvormittag die niedersächsische Landesvertretung in Berlin betrat. Ganz so, als wolle die Natur den wartenden Kameraleuten den perfekten Hintergrund für das aufziehende Drama liefern. Denn die Nochfamilienministerin, die für die Union die Koalitionsverhandlungen zum Großthema Gesundheit leitet, begann ihren ersten Verhandlungstag mit einer schlechten Nachricht: Im kommenden Jahr fehlen den gesetzlichen Kassen laut Schätzerkreis fast 7,5 Milliarden Euro.

Am Abend vor der ersten Sitzung der Arbeitsgruppe von Union und FDP hatte der Schätzerkreis von Gesundheitsministerium und Kassen verkündet: Die Einnahmen des Gesundheitsfonds, im kommenden Jahr voraussichtlich insgesamt 174,2 Milliarden Euro, werden nicht reichen. Selbst der Bundeszuschuss, der 2010 auf 11,7 Milliarden Euro anwachsen soll, wird die Milliardenlücke nicht füllen. Nun stehen die Koalitionäre vor der Frage: Woher soll das fehlende Geld kommen? Spart man bei Krankenkassen, Medikamenten oder Ärzten? Die wahrscheinlichste Antwort lautet jedoch: bei den Kassenmitgliedern.

Beim Spitzenverband der Krankenkassen gibt man sich pragmatisch: "Entweder wird der Steuerzuschuss ausreichend erhöht oder der Beitragssatz wird entsprechend angehoben", erklärt GKV-Chefin Doris Pfeiffer. "Wenn beides nicht passiert, werden zahlreiche Krankenkassen im kommenden Jahr Zusatzbeiträge erheben müssen."

Insbesondere die FDP hält nichts davon, noch mehr Steuergeld ins System zu pumpen. Im Gegenteil: Die Freidemokraten wollen den Gesundheitsfonds abschaffen. Allein ein gesetzlich festgelegter Basistarif soll von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam gezahlt werden. Für alles Weitere gebe es ja private Zusatzversicherungen. Doch die Abschaffung des Fonds will die Union verhindern.

Das weiß auch der FDP-Gesundheitsexperte Daniel Bahr, der Ursula von der Leyen bei den Verhandlungen gegenübersitzt. Bahr will deshalb auf anderem Wege das Ziel seiner Partei erreichen, indem medizinische Kosten immer weniger solidarisch finanziert werden: "Hätten die Krankenkassen Beitragsautonomie, dann hätten sie einen Anreiz gehabt, die Ausgaben mit den Einnahmen zu decken", sagt Bahr. Das bedeutet: Die FDP will den zentralen Beitragssatz - seit vergangenem Juli sind das 14,9 Prozent - abschaffen. Dies würde zu Beitragserhöhungen für Millionen Kassenmitglieder führen.

Schon jetzt dürfen Kassen von ihren Mitgliedern Beiträge zusätzlich zum zentral festgelegten Beitragssatz verlangen. Und das geht so: Ohne Prüfung des Einkommens können Kassen pauschal 8 Euro pro Monat erheben. Will die Kasse mehr, muss sie einen Prozentsatz des Bruttoeinkommens festlegen, derzeit jedoch höchstens ein Prozent des monatlichen Bruttoeinkommens (siehe Kasten). Weil so ein Zusatzbeitrag aber die Wettbewerbssituation schwächt, hat sich von den insgesamt 186 Kassen bislang nur die kleine Gemeinsame Betriebskrankenkasse Köln notgedrungen dazu entschlossen. Das könnte sich durch die Koalitionsverhandlungen bald ändern. Auch die Ein-Prozent-Regel könnte fallen, Zusatzbeiträge also deutlich höher ausfallen als bislang möglich.

Davor warnt der AOK-Bundesverband, der die mitgliederstärksten Ortskrankenkassen vertritt. Zusatzbeiträge nach den gängigen Regeln machten "fairen Wettbewerb unmöglich, weil Krankenkassen, die viele Mitglieder mit niedrigeren Einkommen haben, dadurch stark benachteiligt werden", erklärt AOK-Vizevorstand Jürgen Graalmann.

Welche Kasse künftig welche Zusatzbeiträge erhebt, ist bislang schwer einzuschätzen. Wenn eine Kasse viele Kranke zu versorgen hat, bedeutet dies nicht mehr automatisch, dass sie von ihren Mitgliedern hohe Beiträge verlangen muss. Dafür sorgt ein kompliziertes Verfahren, in dem Kassen für die Behandlung von Menschen mit bestimmten Leiden zusätzliches Geld aus dem Fonds erhalten. Klar ist aber: Kleinere Kassen werden unter noch stärkeren Druck geraten, mit größeren zu fusionieren, um Kosten zu sparen.

Warum aber fällt das Milliardenloch der gesetzlichen Kassen überhaupt so groß aus? Dies hat wenig mit der Wirtschaftskrise zu tun - und ist für Union und FDP gar keine Überraschung. Dass im kommenden Jahr eine Finanzierungslücke im Fonds klaffen wird, ist grundsätzlich sogar von seinen schwarz-roten Konstrukteuren gewünscht. So soll der Kostendruck auf die Kassen wachsen. In diesem Jahr fallen der Rückgang bei den Fondseinnahmen sogar um 2,3 Milliarden Euro geringer aus als befürchtet. "Dies ist insbesondere auf den bislang stabilen Arbeitsmarkt zurückzuführen", schreiben die Schätzer.

Verantwortlich für den Kostenzuwachs seien vielmehr die höhere Honorare bei den Ärzten sowie Mehrkosten bei der Klinikbehandlung, sagt Silke Lautenschläger (CDU). Als langjährige hessische Sozialministerin gehört die heutige Landesumweltministerin zur Arbeitsgruppe Gesundheit. "Wer dies dem Fonds anlastet, greift zu kurz und verkennt schlichtweg die Realität."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen