Mexikos Nationalheldin: Marigol, die Furchtlose
Vor dem Spiel gegen Japan baut El Tri auf die Ausnahmekönnerin und nationale Ikone Maribel Dominguez. Sie hat sich früher als Junge verkleidet, um Fußball spielen zu können.
BERLIN taz | Maribel Dominguez kennt keine Furcht. Maribel Dominguez legt sich sogar mit dem Boss aller Fußballspieler an, mit Fifa-Chef Joseph Blatter. 2004 wollte der Männer-Zweitligist Atlético Celaya das mexikanische Ausnahmetalent unter Vertrag nehmen. Die zierliche Stürmerin trainierte bereits mit den Männern, verordnete sich ein hartes Spezialtraining, um an Muskelmasse dazuzugewinnen.
Doch dann schritt Blatter ein und verlangte „eine klare Trennung zwischen Männer- und Frauenfußball“. Heute sagt die Stürmerin: „Ich wollte keinen Skandal, ich sah nur die Chance, mit Männern zu spielen und dabei zu lernen.“ Um zu lernen, ging Maribel daraufhin zum FC Barcelona, wenn auch in deren Frauenteam. Noch heute spielt die inzwischen 33-Jährige in der spanischen Liga bei LEstartit de Girona.
Diese Furchtlosigkeit und den Spielwillen muss sie auch beim heutigen Turnier gegen Japan zeigen. Beim ersten Gruppenspiel am Montag gegen England hatte Maribel zwar nur wenige Chancen, ihre Klasse zu zeigen und ihren bisher 68 Länderspieltoren eines hinzuzufügen. In der Schlussphase musste sie sogar wegen eines Muskelkrampfs ausgewechselt werden.
Schier überfallartig startete Japan in diese WM. Yuki Nakasato erzielte im ersten WM-Spiel gegen Neuseeland schon nach sechs Minuten die Führung und auch in der weiteren Folge der Partie stellten die Japanerinnen ihre offensiven Qualitäten unter Beweis. Defensiv konnte man beim Vierten der Weltrangliste allerdings noch Mängel erkennen. Außerdem fehlte: jene Sicherheit beim Kurzpassspiel, die dazu geführt hat, dass Bundestrainerin Silvia Neid nicht müde wird, Japan zum Geheimfavoriten zu erklären. Sollte das japanische Tiki-Taka heute gegen Mexiko (15 Uhr, ZDF) aber ins Laufen kommen, dürfte sich das Team von Trainer Norio Sasaki vorzeitig für das Viertelfinale qualifizieren. Gegen Favoritinnen aber hat sich der Gegner hervorgetan: Mexiko rechnet sich nach dem überraschenden 1:1-Auftakt gegen England allerhand aus. (rm)
Dies soll beim heutigen Spiel gegen Japan anders werden. Denn Mexiko hat mit Japan noch eine Rechnung offen. In den Play-offs zur WM 2007 zog man mit 0:2 und 2:1 den Kürzeren. Nach dem unerwarteten Punktgewinn gegen die favorisierten Engländerinnen geht El Tri, wie Mexikos Mannschaft genannt wird, mit gestärktem Selbstbewusstsein in die Partie. Dass die Kapitänin einsatzbereit ist, hat Mexikos Trainer Leonardo Cuellar bereits zugesichert: „Die Auswechslung war eine reine Vorsichtsmaßnahme. Ich brauche Maribel für das ganze Turnier. Sie wird gegen Japan spielen können.“
Sie wird verglichen mit Marta
Maribels Geschichte klingt wie die feministische Variante des Fußballtraums in Lateinamerika. Mit einem unbändigen Willen kickte sie sich aus einem Dorf in die Stadt und von der Straße bis hinauf in die Nationalmannschaft. Immer wieder kämpfte sie dabei gegen Widerstände: 1978 in Mexiko-Stadt geboren, wuchs Dominguez mit acht Geschwistern in den Slums auf. Als neunjähriges Mädchen spielte sie gegen den Willen ihrer Eltern mit Jungs auf einem Bolzplatz und gab sich als „Mario“ aus. Nur als Junge durfte sie mitspielen.
Ein Talentscout des regionalen Fußballverbandes entdeckte sie trotzdem und holte sie aus den Slums. Heute muss sich Maribel Dominguez nicht mehr verstellen. Allen mexikanischen Mädchen mit Leidenschaft für Fußball rät sie heute: „Sie sollen das tun, zu dem sie sich berufen fühlen, und sie sollen es hundertprozentig tun.“
Während ihres Engagements in Spanien setzte sie zeitweise in der Nationalmannschaft aus, die Doppelbelastung war ihr zu viel geworden. Zur Weltmeisterschaft kehrte sie nun in die Elf zurück, die sie fast im Alleingang zu dieser Endrunde geschossen hat. „Mit der Qualifikation, mit sechs Toren in fünf Spielen, habe ich gezeigt, dass ich immer noch die alte bin“, so Dominguez: „Spanien hat mir gutgetan.“
Sie gilt als Ikone des mexikanischen Fußballs, gern wird sie mit Marta verglichen. Die mexikanischen Medien haben sie „Marigol“ getauft. Gol wie das Tor auf Spanisch. Doch Maribel wehrt sich dagegen, als etwas Besonderes gesehen zu werden: „Ich bin kein Star, ich bin einfach Fußballerin“. Gerade diese Bescheidenheit, gepaart mit Talent, macht sie zur wichtigsten Integrations- und Führungsfigur der Mannschaft.
Nach dem Unentschieden gegen die Engländerinnen können sich die Mexikanerinnen mehr vorstellen: „Natürlich träumen wir vom Viertelfinale, Halbfinale und auch Finale und wollen mit harter Arbeit und Leidenschaft dahin kommen. Ich denke schon, dass eine gute WM die Krönung meiner Karriere und wohl auch eine schöne Erinnerung wäre“, sagt Dominguez. Wenn „Marigol“ heute Nachmittag in Leverkusen furchtlos ihre Torschüsse abfeuert, sollte sich vielleicht auch Joseph Blatter das mal ganz genau ansehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video