Kommentar Lampedusa-Debatte: Nur Selbstverständlichkeiten
Hamburgs Innensenator Michael Neumann verschanzt sich hinter Paragrafen statt auf die Probleme der Asylgesetzgebung hinzuweisen.
M ichael Neumann hat nichts im Gepäck. Wer erwartet hatte, dass der Hamburger Innensenator in der bürgerschaftlichen Lampedusa-Debatte eine Lösung, zumindest aber ein konkretes Angebot unterbreiten werde, das den zuletzt eskalierten Konflikt besänftigen könne, wurde enttäuscht. Wenn die Flüchtlinge ihre Identität preisgeben und ihre Fluchtgeschichte offenlegen, werde es faire, rechtsstaatliche Verfahren geben, zitierte der SPD-Politiker nur sich selbst. Das aber ist kein Angebot, sondern eine Selbstverständlichkeit.
Neumann verweigerte erneut, sich mit den Gründen auseinanderzusetzen, aus denen die Flüchtlinge sein Angebot bisher ausgeschlagen haben. Sie haben – ausgelöst durch die Politik des SPD-Senats – das Gefühl, an ihrer Abschiebung mitwirken zu sollen. Einmal zu oft hat Neumann betont, dass es für die Flüchtlinge keine Bleibeperspektive in Hamburg gebe. Dass noch einmal rechtsstaatlich und fair mitgeteilt zu bekommen, ist kein Anreiz. Und wenn Neumann nun sagt, „im Einzelfall“ werde sich „vielleicht“ etwas machen lassen, reicht das nicht aus, einen Flüchtling zur Mitarbeit zu bewegen. Ein faires Verfahren auf der Grundlage von Gesetzen, die geschrieben wurden, um Asylsuchende abzuschrecken? Wie kann das Ergebnis aussehen? Eine konkrete Perspektive wäre notwendig, damit der Vorstoß der Bischöfin Kirsten Fehrs, die Flüchtlinge sollten sich auf die Einzelfallprüfungen einlassen, Früchte tragen kann.
Neumann betont, er habe wenig rechtliche Spielräume, doch diese hat er bislang nicht einmal ausgelotet. Sicher ist es umstritten, ob der Paragraph, der Flüchtlingsgruppen ein Bleiberecht aus humanitären Gründen in Aussicht stellt, auf die Lampedusa-Flüchtlinge anwendbar ist. Sicher ist es unwahrscheinlich, dass der Bundesinnenminister, der hier das letzte Wort hätte, einem solchen Ansinnen zustimmt. Doch Neumann ist nicht mal bereit, es zu versuchen. So vertut er die Chance, zu signalisieren, dass er alles tut, um eine Lösung zu finden.
Neumann handelt rechtlich korrekt. Aber er nutzt den Konflikt nicht, um auf die Probleme der Asylgesetzgebung und der europäischen Flüchtlingspolitik hinzuweisen und um Veränderung anzumahnen. Statt sich gerade zu machen, verschanzt sich der Senator hinter Paragraphen. Sein inflationärer Gebrauch des Begriffs „rechtsstaatlich“ belegt das. Es gibt noch andere Vokabeln, mit denen sich ein Zugang zu dem Konflikt suchen ließe. Sie lauten Humanität, politischer Mut und Zivilcourage.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen