Universitäten befördern Gentrifizierung: Hilfe, die Hochschulen kommen!
Stadtplaner siedeln Unis in runtergekommenen Stadtteilen an. Damit lancieren sie die Gentrifizierung, generieren aber auch die Gegenbewegungen.
Die Hochschulen erobern die Städte. Sie entdecken innenstadtnahe Gebiete als perfekte Standorte. In Düsseldorf errichtet die Fachhochschule ihren Neubau auf dem ehemaligen Gelände eines Schlachthofs. In Hamburg werden im alten Hafen Universitätsneubauten geplant. In Istanbul zieht die Mimar-Sinan-Universität auf das Gelände einer ehemaligen Bierfabrik.
Die Top-down von Hochschul- und Stadtverwaltungen geplanten Umzüge bleiben nicht folgenlos, Lokalpresse und InvestorInnen jubeln: „Uni-Neubau soll Viertel aufwerten“, titelt die Welt (1. 10. 2013), und ein Istanbuler Immobilienmakler wirbt „Ihre Eigentumswohnung im Boheme-Viertel“.
Ist die Ansiedlung der Hochschulen eine raffinierte Möglichkeit, den Stadtteil aufzuwerten, ohne den mühseligen Weg der klassischen Gentrifizierung zu gehen? Kann das Stadium billiger Wohnungen, kleiner Läden und künstlerischer Projekte mit lästigen Begleiterscheinungen wie soziale Bewegungen, Besetzungen oder Häuserkampf übersprungen werden? Wenn dem so ist, wie können die Hochschulen – ihrem gesellschaftlichen Bildungs-, Forschungs- und Aktionsauftrag folgend – am klebrigen Korsett ihrer Rolle zerren?
Lilo Schmitz und Alexander Flohé lehren am Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften der FH Düsseldorf. Im Projekt „METRO-POL-MOVE-MENT“ erforschen sie gemeinsam mit Studierenden soziale Bewegungen und urbane Veränderungsprozesse
Die klassischen Gentrifizierungsmodelle bescheinigen Studierenden seit den 70er Jahren im Rahmen der Reurbanisierung eine wichtige Rolle bei der Aufwertung von Stadtteilen. Sie gehören zu den „PionierInnen“, also KünstlerInnen, jungen Geschäftsleuten mit ungewöhnlichen Ideen, InitiatorInnen innovativer Wohnformen, die mutig, idealistisch und selbstausbeuterisch mit wenig Startkapital preiswerten Wohn- und Geschäftsraum nutzen und sich Viertel erschließen.
Erst kommen Studierende, dann Investoren
Viele dieser PionierInnen sind Studierende, nicht nur in künstlerischen Studiengängen. Lebensstil und politische Orientierung sind oft getragen von einer politisch und/oder kosmopolitisch motivierten Sympathie für die dort bereits länger wohnende Bevölkerung. PionierInnen engagieren sich oft in Stadtteilinitiativen. Die Durchmischung von Stadtteil und Straßenbild führt dazu, dass ein Viertel bald in der KünstlerInnen- und Studierendenszene als Geheimtipp gilt. Weitere PionierInnen ziehen zu, und finanziell interessierte AnlegerInnen werden auf den Stadtteil aufmerksam.
Wo Hochschulen direkt ins Viertel hineingesetzt werden, werden die Phasen klassischer Gentrifizierungsmodelle beschleunigt oder gar übersprungen: Bereits vor Grundsteinlegung ist potenziellen InvestorInnen klar, dass das Viertel sich wandelt und dass sich die Geldanlage lohnt. Denn die Uni kommt nicht allein.
Die Neubauten der Hochschulen folgen der Wiederentdeckung der Stadt als Wohn-, Freizeit- und Wissensstandort. Mit dem Ausruf der Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft sind die Hochschulen als Leuchttürme einer Wissensökonomie besonders begehrt.
„Studentification“ verändert britische Städte
Analysiert man die „Renaissance der Stadt“, fällt vor allem der Zuzug von Studierenden und Akademikern auf, die als Bildungs- und Wissenswanderer die deutlichste Tendenz zum urbanen Raum aufweisen. Es kommt zu einer räumlichen Konzentration durch Studierende, die spezifische Gentrifizierungsprozesse auslöst.
Nach der Stadtgeografin Doris Schmied ist diese „Studentification“ (Darren Smith) heute einer der wichtigsten Transformationsprozesse in britischen Städten. Probleme entstehen, wo sich das Sozialverhalten und die Raum-Zeit-Muster der alten und neuen BewohnerInnen stark voneinander unterscheiden und es zu vielfältigen Veränderungen kommt.
Vor allem aber führt die Top-down-Setzung der Hochschule viel schneller zu einem Aufwertungssog mit Preissteigerungen und Verdrängungen. Die Hochschule also als perfekte Maschine der Wissensgesellschaft und einer „Instant-Gentrification“?
Hochschulen sind „passagere“ Orte. Studierende wie Lehrende sind so sozialisiert, dass die Hochschule ihnen nicht gehört, dass sie spurlos kommen und gehen. Studierende besitzen in der Regel keine Fächer, tragen ihre Arbeitsmaterialien mit sich und müssen sich verjagen lassen, wenn sie in einem leer stehenden Seminarraum arbeiten wollen.
Selten wagen Studierende die Hochschule selbst zu nutzen, dort Spuren zu hinterlassen, studentische Arbeitsräume zu fordern, Kitas einzurichten, genossenschaftliche Cafés zu betreiben, statt brav Latte macchiato aus Wegwerfbechern zu trinken. Müsste dem „Recht auf Stadt“ nicht ein „Recht auf Hochschule“ folgen?
Das studentische Wohnen passt gut ins Renditekalkül. Vom abgerissenen Altbau bis zur luxussanierten teuren WG-Wohnung akzeptieren Studierende fast alles und verschwinden mit Ablauf ihres befristeten Mietvertrages – ideal für BesitzerInnen und KapitalanlegerInnen.
Was macht Studierende noch nützlich: Wenn es stimmt, dass erfolgreiche und teure innenstadtnahe Stadtteile so restauriert und bebaut sind, dass sie für TouristInnen attraktiv sind, dürfen sie nicht steril daherkommen. Das „posttouristische“ Auge (John Urry) sucht das Authentische, Originelle und Unverstellte eines Ortes. Dies garantieren die Studierenden, die einem Stadtteil Farbe und jugendliches Flair verleihen.
Aber: Einfache Rechnungen jedweder Art gehen mit Hochschulen nicht auf. Hochschulen sind Orte der Ambivalenz. Einerseits stützen und stabilisieren sie das Bestehende, indem sie gerade zu Zeiten des Turbobachelors systemkonform ausbilden. Andererseits ist die Hochschule auch Ort kritischen Denkens.
Ob in der Vergangenheit (Hafenstraße in Hamburg, Stollwerk-Gelände in Köln) oder Gegenwart (Institut für vergleichende Irrelevanz in Frankfurt, Rote Flora in Hamburg, Tarlabasi in Istanbul) – soziale Bewegungen wurden und werden aus Hochschulen heraus unterstützt.
Auch Studierende kämpfen für das „Recht auf Stadt“
Trotzdem bewegen Athen, Madrid, Tel Aviv, Frankfurt, Istanbul, Hamburg – Städte, in denen Menschen als Reaktion auf Finanz- und Politikkrisen oder für ein „Recht auf Stadt“ auf die Straße gingen. Getragen wurden diese Proteste von Studierenden und griffen auch oftmals auf die Hochschule über. Die Gezipark-Bewegung in Istanbul ist das jüngste Beispiel, wie eine Bewegung, die sich an der Frage „Wem gehört die Stadt?“ entzündet, auf die Hochschulen übergreift.
Haben politische Bewegungen und soziale Kämpfe stets in Städten einen zentralen Ort gehabt, so erleben wir derzeit neue Formen und Aktionen zur Durchsetzung von Rechten und Ideen. Diese neuen Praktiken des selbst-verständlichen Lebens in und Be-Lebens von Stadt prägten die Nachrichten des Jahres 2013.
Die Menschen sehen in ihrem urbanen Umfeld wieder einen Möglichkeits- und Handlungsraum, der sich aneignen und gestalten lässt: Sie nutzen den städtischen Raum für ihre Aktionen. So entstehen „temporäre Räume demokratischen Experimentierens“ (Simon Teune).
In den Aktionen spielen kreativ-künstlerische Praktiken eine immer größere Rolle. Ob Performances, Street-Art, Okkupationen, ob Gärten auf Brachen, Häkeln für Laternen oder Frühstücken im öffentlichen Raum – ein „Mitmach-Urbanismus“ greift um sich.
Lehrende – raus aus dem Hörsaal, rein ins Viertel!
Diesen engagiert-kritischen Mitmach-Urbanismus gilt es an der Hochschule einzuüben, zu lernen, zu lehren. Vor allem die Lehrenden sind gefordert. Sie sollten mit ihren Seminarthemen in die Stadt gehen, die Hochschule in den Stadtteil öffnen.
Die Studierenden sollen sehenden Auges und mit kritischem Blick ihren Hochschulstadtteil wahrnehmen und ihn mit seiner Geschichte, seiner Architektur, seiner Bevölkerung, seinem Klima und seinen Verkehrsverbindungen, seinen globalen Verflechtungen und lokalen Szenen als Mikrokosmos der Gesellschaft und einer globalisierten Welt begreifen, der von unterschiedlichen AkteurInnen genutzt wird.
Wer solch eine umgebungs-aufmerksame Haltung an der Hochschule erlernt, wird sich hoffentlich woanders wieder interessieren und es einfordern: das Recht auf Stadt!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Unwetterkatastrophe in Spanien
Vorbote auf Schlimmeres
Schließung der iranischen Konsulate
Die Bundesregierung fängt endlich an zu verstehen
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn
Jaywalking in New York nun legal
Grün heißt gehen, rot auch
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln