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Universitäten befördern GentrifizierungHilfe, die Hochschulen kommen!

Stadtplaner siedeln Unis in runtergekommenen Stadtteilen an. Damit lancieren sie die Gentrifizierung, generieren aber auch die Gegenbewegungen.

Gegen Studenten? Selber Studenten? Mietaktivisten in Berlin. Bild: imago / christian mang

Die Hochschulen erobern die Städte. Sie entdecken innenstadtnahe Gebiete als perfekte Standorte. In Düsseldorf errichtet die Fachhochschule ihren Neubau auf dem ehemaligen Gelände eines Schlachthofs. In Hamburg werden im alten Hafen Universitätsneubauten geplant. In Istanbul zieht die Mimar-Sinan-Universität auf das Gelände einer ehemaligen Bierfabrik.

Die Top-down von Hochschul- und Stadtverwaltungen geplanten Umzüge bleiben nicht folgenlos, Lokalpresse und InvestorInnen jubeln: „Uni-Neubau soll Viertel aufwerten“, titelt die Welt (1. 10. 2013), und ein Istanbuler Immobilienmakler wirbt „Ihre Eigentumswohnung im Boheme-Viertel“.

Ist die Ansiedlung der Hochschulen eine raffinierte Möglichkeit, den Stadtteil aufzuwerten, ohne den mühseligen Weg der klassischen Gentrifizierung zu gehen? Kann das Stadium billiger Wohnungen, kleiner Läden und künstlerischer Projekte mit lästigen Begleiterscheinungen wie soziale Bewegungen, Besetzungen oder Häuserkampf übersprungen werden? Wenn dem so ist, wie können die Hochschulen – ihrem gesellschaftlichen Bildungs-, Forschungs- und Aktionsauftrag folgend – am klebrigen Korsett ihrer Rolle zerren?

Die Autoren

Lilo Schmitz und Alexander Flohé lehren am Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften der FH Düsseldorf. Im Projekt „METRO-POL-MOVE-MENT“ erforschen sie gemeinsam mit Studierenden soziale Bewegungen und urbane Veränderungsprozesse

Die klassischen Gentrifizierungsmodelle bescheinigen Studierenden seit den 70er Jahren im Rahmen der Reurbanisierung eine wichtige Rolle bei der Aufwertung von Stadtteilen. Sie gehören zu den „PionierInnen“, also KünstlerInnen, jungen Geschäftsleuten mit ungewöhnlichen Ideen, InitiatorInnen innovativer Wohnformen, die mutig, idealistisch und selbstausbeuterisch mit wenig Startkapital preiswerten Wohn- und Geschäftsraum nutzen und sich Viertel erschließen.

Erst kommen Studierende, dann Investoren

Viele dieser PionierInnen sind Studierende, nicht nur in künstlerischen Studiengängen. Lebensstil und politische Orientierung sind oft getragen von einer politisch und/oder kosmopolitisch motivierten Sympathie für die dort bereits länger wohnende Bevölkerung. PionierInnen engagieren sich oft in Stadtteilinitiativen. Die Durchmischung von Stadtteil und Straßenbild führt dazu, dass ein Viertel bald in der KünstlerInnen- und Studierendenszene als Geheimtipp gilt. Weitere PionierInnen ziehen zu, und finanziell interessierte AnlegerInnen werden auf den Stadtteil aufmerksam.

Wo Hochschulen direkt ins Viertel hineingesetzt werden, werden die Phasen klassischer Gentrifizierungsmodelle beschleunigt oder gar übersprungen: Bereits vor Grundsteinlegung ist potenziellen InvestorInnen klar, dass das Viertel sich wandelt und dass sich die Geldanlage lohnt. Denn die Uni kommt nicht allein.

Die Neubauten der Hochschulen folgen der Wiederentdeckung der Stadt als Wohn-, Freizeit- und Wissensstandort. Mit dem Ausruf der Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft sind die Hochschulen als Leuchttürme einer Wissensökonomie besonders begehrt.

„Studentification“ verändert britische Städte

Analysiert man die „Renaissance der Stadt“, fällt vor allem der Zuzug von Studierenden und Akademikern auf, die als Bildungs- und Wissenswanderer die deutlichste Tendenz zum urbanen Raum aufweisen. Es kommt zu einer räumlichen Konzentration durch Studierende, die spezifische Gentrifizierungsprozesse auslöst.

Nach der Stadtgeografin Doris Schmied ist diese „Studentification“ (Darren Smith) heute einer der wichtigsten Transformationsprozesse in britischen Städten. Probleme entstehen, wo sich das Sozialverhalten und die Raum-Zeit-Muster der alten und neuen BewohnerInnen stark voneinander unterscheiden und es zu vielfältigen Veränderungen kommt.

Vor allem aber führt die Top-down-Setzung der Hochschule viel schneller zu einem Aufwertungssog mit Preissteigerungen und Verdrängungen. Die Hochschule also als perfekte Maschine der Wissensgesellschaft und einer „Instant-Gentrification“?

Hochschulen sind „passagere“ Orte. Studierende wie Lehrende sind so sozialisiert, dass die Hochschule ihnen nicht gehört, dass sie spurlos kommen und gehen. Studierende besitzen in der Regel keine Fächer, tragen ihre Arbeitsmaterialien mit sich und müssen sich verjagen lassen, wenn sie in einem leer stehenden Seminarraum arbeiten wollen.

Selten wagen Studierende die Hochschule selbst zu nutzen, dort Spuren zu hinterlassen, studentische Arbeitsräume zu fordern, Kitas einzurichten, genossenschaftliche Cafés zu betreiben, statt brav Latte macchiato aus Wegwerfbechern zu trinken. Müsste dem „Recht auf Stadt“ nicht ein „Recht auf Hochschule“ folgen?

Das studentische Wohnen passt gut ins Renditekalkül. Vom abgerissenen Altbau bis zur luxussanierten teuren WG-Wohnung akzeptieren Studierende fast alles und verschwinden mit Ablauf ihres befristeten Mietvertrages – ideal für BesitzerInnen und KapitalanlegerInnen.

Was macht Studierende noch nützlich: Wenn es stimmt, dass erfolgreiche und teure innenstadtnahe Stadtteile so restauriert und bebaut sind, dass sie für TouristInnen attraktiv sind, dürfen sie nicht steril daherkommen. Das „posttouristische“ Auge (John Urry) sucht das Authentische, Originelle und Unverstellte eines Ortes. Dies garantieren die Studierenden, die einem Stadtteil Farbe und jugendliches Flair verleihen.

Aber: Einfache Rechnungen jedweder Art gehen mit Hochschulen nicht auf. Hochschulen sind Orte der Ambivalenz. Einerseits stützen und stabilisieren sie das Bestehende, indem sie gerade zu Zeiten des Turbobachelors systemkonform ausbilden. Andererseits ist die Hochschule auch Ort kritischen Denkens.

Ob in der Vergangenheit (Hafenstraße in Hamburg, Stollwerk-Gelände in Köln) oder Gegenwart (Institut für vergleichende Irrelevanz in Frankfurt, Rote Flora in Hamburg, Tarlabasi in Istanbul) – soziale Bewegungen wurden und werden aus Hochschulen heraus unterstützt.

Auch Studierende kämpfen für das „Recht auf Stadt“

Trotzdem bewegen Athen, Madrid, Tel Aviv, Frankfurt, Istanbul, Hamburg – Städte, in denen Menschen als Reaktion auf Finanz- und Politikkrisen oder für ein „Recht auf Stadt“ auf die Straße gingen. Getragen wurden diese Proteste von Studierenden und griffen auch oftmals auf die Hochschule über. Die Gezipark-Bewegung in Istanbul ist das jüngste Beispiel, wie eine Bewegung, die sich an der Frage „Wem gehört die Stadt?“ entzündet, auf die Hochschulen übergreift.

Haben politische Bewegungen und soziale Kämpfe stets in Städten einen zentralen Ort gehabt, so erleben wir derzeit neue Formen und Aktionen zur Durchsetzung von Rechten und Ideen. Diese neuen Praktiken des selbst-verständlichen Lebens in und Be-Lebens von Stadt prägten die Nachrichten des Jahres 2013.

Die Menschen sehen in ihrem urbanen Umfeld wieder einen Möglichkeits- und Handlungsraum, der sich aneignen und gestalten lässt: Sie nutzen den städtischen Raum für ihre Aktionen. So entstehen „temporäre Räume demokratischen Experimentierens“ (Simon Teune).

In den Aktionen spielen kreativ-künstlerische Praktiken eine immer größere Rolle. Ob Performances, Street-Art, Okkupationen, ob Gärten auf Brachen, Häkeln für Laternen oder Frühstücken im öffentlichen Raum – ein „Mitmach-Urbanismus“ greift um sich.

Lehrende – raus aus dem Hörsaal, rein ins Viertel!

Diesen engagiert-kritischen Mitmach-Urbanismus gilt es an der Hochschule einzuüben, zu lernen, zu lehren. Vor allem die Lehrenden sind gefordert. Sie sollten mit ihren Seminarthemen in die Stadt gehen, die Hochschule in den Stadtteil öffnen.

Die Studierenden sollen sehenden Auges und mit kritischem Blick ihren Hochschulstadtteil wahrnehmen und ihn mit seiner Geschichte, seiner Architektur, seiner Bevölkerung, seinem Klima und seinen Verkehrsverbindungen, seinen globalen Verflechtungen und lokalen Szenen als Mikrokosmos der Gesellschaft und einer globalisierten Welt begreifen, der von unterschiedlichen AkteurInnen genutzt wird.

Wer solch eine umgebungs-aufmerksame Haltung an der Hochschule erlernt, wird sich hoffentlich woanders wieder interessieren und es einfordern: das Recht auf Stadt!

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6 Kommentare

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  • Floristen,

    die bisherigen Formen gewaltfreien Widerstandes funktionieren nicht in Deutschland. Das Etablishment vorführen reicht wohl nicht um substanzielles zu bewirken, ausser der Gründung neuer Sicherheitsstufen und Gefahrenzonen. Ich schlage eine neue Form von bitte absolut gewaltfreien Widerstand vor. MOBBING von Touristen. So unbequem wie möglich machen. Tragt Sticker, T-Shirts: fuck off touries. Alle von Gentrifizierung und überhöhten Mieten und Wohnungsnot betroffenen, also ungefähr 2,5 Mio Berliner macht die Stadt ungemütlich für Touristen. Verteilt Flugblätter in denen ihr erklärt, das ihr nichts gegen sie persönlich habt, die politische Führung, die Banken und Immobilienspekulanten wollen ihr eigenes Volk aus der Heimat vertreiben aus reinem Gewinnstreben. Solange kein Platz für das eigene Volk ist, solange Einheimisdche in ihrer Heimat nicht willkommen sind seit ihr auch nicht willkommen. Macht woanders Urlaub und sagt euren Freunden zu hause bescheid das sie nicht nach Berlin kommen sollen. Gern wären weir Gastfreundlich, sind aber nur Gäste im eigenem Land.

    Das kostet die Stadt , die Geschäfte und Banken mehr, als gelegentliche Polizeieinsätze und hilft bei der Motivierung die Breitärsche und den Gehirnschmalz in Politik und Verwaltung in Bewegung zu setzen um Lösungen zu finden, statt auszusitzen und die biologische Lösung zu suchen. Wenns im Frühjahr gut läuft, stellt sogar das Athlon Wohnraum zur Verfügung

  • GO
    Gustav Oelsner

    Vielleicht schafft ja die Hafencity Uni in HH das Gegenteil und zieht die FDP Enklave auf ein halbwegs normales Niveau. Bis jetzt ist die Hafencity nämlich ein Beispiel wie man es nicht machen sollte. Abends Tod und tagsüber Architektur Touristen auf Schöner Wohnen Sightseeing, wem gefällst, bitte.

  • L
    Londoner

    Grossbritanien ist hier aber wahrscheinlich ziemlich viel krasser als Deutschland. Vor allem weil die Studiengebuehren normale Britten davon abhalten zu studieren, und stattdessen reiche StudentInnen aus dem Ausland kommen. Die meisten die in der Lage sind die extrem hohen "Uebersee" Gebuehren zu bezahlen, kann sich auch eine teure Studentenbude leisten. Dass faellt da kaum mehr ins Gewicht.

     

    Gerade in London, wo immer mehr normale Menschen immer weiter aus der Stadt heraus ziehen muessen um die Mieten noch bezahlen zu koennen macht sich das sehr bemerkbar. Wer will kann sich mit dem geplanten Erweiterungsproject des University College London (UCL) auf dem Olympia Park befassen. Der Olympia Park liegt in mitten eines Areals von heruntergekommenen aber "billigen" Wohnvierteln.

     

    http://www.ucl.ac.uk/news/news-articles/1213/041213-ucl-development-plans-olympic-park

     

    Dieser Plan wird aus Layton das machen, was vor hundert Jahren mit Bloomsbury und Fitzrovia und dem West-End passiert ist. Wo frueher die Armen Schriftsteller wohnten, sind jetzt nur noch Hotels.

  • Sehr gut formulierter Bericht und dennoch vollkommen verfehlt.

    Ich gehe davon aus, dass die Funktion von Hochschulen auch heute noch zum Teil der Vermittlung von Wissen gilt. Es werden also Hochschulen gebraucht. Die Frage ist nun wo?

    Macht es Sinn die Hochschulen in sehr teure Städte zu bauen in denen sich weniger begüterte Studenten sowieso keine Wohnung leisten können? Damit wäre die Gentrifizierung sicherlich kein Problem in diesen Städten. Reiche bleiben bei Reichen. Und die Bildungsfernen bleiben sprichwörtlich der Bildung fern.

    surreal.

    • @Demokrat:

      Ich verstehe nicht so ganz, was die Schlussfolgerung oder Forderung dieses Kommentars sein soll. Sollen jetzt Universitäten nur noch in sehr billigen Städten gebaut werden? Haben also Menschen in Hamburg, Frankfurt und München kein recht auf Bildung? Das leuchtet mir nicht ein. Außerdem gibt es doch Universitäten auch in strukturschwächeren Gegenden, beispielsweise die Uni Bochum oder Greifswald in MV. Es wird doch keiner dazu gewzungen in München zu studieren?

       

      Schön wäre es natürlich, wenn die Lebenshaltungskosten in bspws. München günstiger wären und dort jeder studierne könnte. Aber dafür kann doch die Universität nichts - Hier wäre es Sache der Politik gegenzusteuern.

       

      Im Übrigen trifft es auch nicht den Kern des Atrikels: Es geht ja mehr um neuen Gebäude für bestehende Unis und in welchen Stadtvierteln diese gebaut werden sollen. Das ist etwas anderes als Standorte für neue Unis, was es in Deutschland eh kaum geben wird, da ja praktisch jede größere Stadt eine Universität hat. Und das ist auch gut so.

  • H
    Holunderbeersaft

    Leider sind Unis nicht mehr wirklich Orte kritischen Denkens, das Studium ist klinisch, ordentlich und nicht mehr, als Wissensmanagement. Wenn ich 8 Klausuren bestehen "muss," werd ich dann mir die Zeit nehmen, mich - zum Beispiel angesichts eines miesen Vermieters - in unangenehme Gedankengänge zu stürzen, die Zeit kosten, langwierige Diskussionen nach sich ziehen und mich mehr fordern, als ein Cocktail zur Happy hour im Joe Penas? Nein!

     

    Wie lange wird es noch dauern, bis das alle kapiert haben? Das Studium ist für den Arbeitsmarkt da, nicht mehr um Leben auszuprobieren. Und wir alle haben das geschehen lassen.