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Energiepolitik in DeutschlandEin beispielloser Alarmismus

Die Regierung schürt Panik: Die Industrie würde das Land wegen hoher Strompreise verlassen. Belegen kann sie ihre Behauptungen allerdings nicht.

Mann unter Strom Bild: ap

BERLIN taz | An drastischen Warnungen herrscht kein Mangel, wenn die Regierung sich zur angeblich bedrohten deutschen Wirtschaft äußert. Man dürfe in der Energiepolitik nicht „die Rahmenbedingungen so setzen, dass die Unternehmen im weltweiten Wettbewerb erkennbar nicht bestehen können“, betonte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) letzte Woche in ihrer Regierungserklärung.

Auch SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel gibt sich alarmiert: „Wir müssen verhindern, dass wegen der hohen Strompreise die Industrie in Scharen aus Deutschland abwandert“, sagte er kürzlich im Spiegel. Die Furcht vor einer „Deindustrialisierung“ sei „keine plumpe Propaganda der Wirtschaft, sondern bittere Realität“.

Nur belegen kann die Regierung ihre Äußerungen nicht. „Belastbare Zahlen liegen der Bundesregierung weder bezüglich der Gesamtanzahl von Standortverlagerungen noch bezüglich davon betroffener Arbeitsplätze vor“, räumt Gabriels Ministerium in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion ein, die der taz vorliegt. Zudem seien solche Entscheidungen „von vielen Einzelfaktoren abhängig“.

Als Beleg für die These von der strompreisbedingten Industrie-Abwanderung nennt die Regierung genau ein Beispiel: den finnischen Konzern Outukumpu, der ein Edelstahlwerk in Krefeld geschlossen hat und eine weitere Schließung in Bochum plant.

Regierung kann das nicht beurteilen

Das Unternehmen selbst nennt in seinem Geschäftsbericht als Grund für diese Entscheidung allerdings nicht die Strompreise, sondern die weltweiten Überkapazitäten im Stahlmarkt.

Vier weitere Beispiele, die das Wirtschaftsministerium anführt, betreffen keine Schließung oder Verlagerung von Unternehmen, sondern neue Investitionen, die angeblich wegen der Strompreise nicht in Deutschland, sondern in anderen Ländern – meist den USA – erfolgten. Ob tatsächlich die Energiekosten maßgeblich waren, kann von der Regierung allerdings „nicht abschließend beurteilt werden“.

Andere trauen sich eine Beurteilung der deutschen Industrie-Strompreise durchaus zu – und kommen zu konträren Ergebnissen. Schon zu Jahresbeginn hatte die niederländische Alu-Hütte Abdel ihre Insolvenz mit den niedrigen Strompreisen begründet, die ihre Konkurrenten in Deutschland zahlen müssen.

Nun beklagt sich auch der französische Industrie-Dachverband Uniden: Große Unternehmen würden in diesem Jahr in Deutschland 35 Prozent weniger für ihren Strom bezahlen als ihre französischen Konkurrenten, heißt es in einer Erklärung.

Andere beobachten sinkende Strompreise

Auch der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK), der die größten Stromverbraucher vertritt, beobachtet seit Jahren sinkende Industriestrompreise. Derzeit liegt der VIK-Preisindex wieder auf dem Stand vom Frühjahr 2005.

Grund dafür sind ausgerechnet die als Preistreiber verschrienen erneuerbaren Energien. Ihr zusätzliches Angebot führt an der Strombörse zu stark sinkenden Preisen. Während die energieintensive Industrie von dieser Entwicklung profitiert, ist sie von der EEG-Umlage, mit der der Ausbau der Ökostrom-Anlagen finanziert wird, weitgehend ausgenommen. Entsprechend mehr zahlen die sonstigen Verbraucher.

Oliver Krischer, stellvertretender Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion, kritisiert darum den Alarmismus der Regierung: „Statt mit faktenfreien Behauptungen den Untergang der deutschen Industrie an die Wand zu malen, wäre es die Aufgabe aller Beteiligten, Kostengerechtigkeit herzustellen“, sagte er der taz.

Dass das geschieht, scheint wenig wahrscheinlich. Die EU, die die Preis-Privilegien der Industrie bisher scharf kritisiert hat, will offenbar weiterhin Ausnahmen für 65 Branchen erlauben und zudem alle Firmen entlasten, bei denen der Stromverbrauch mehr als 25 Prozent der Wertschöpfung ausmacht. Damit wird die Industrie nach Berechnungen des Öko-Instituts künftig nicht mehr für die Energiewende bezahlen, sondern sogar 1,5 Milliarden Euro weniger.

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