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Erdogan gewinnt Kommunalwahlen„Lang lebe unser Sultan!“

Massenproteste und Korruptionsskandal können der AKP nichts anhaben. Aus umkämpften Städten werden allerdings auch Unregelmäßigkeiten berichtet.

So sehen Sieger aus: Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in der Wahlnacht mit seinem Sohn Bilal und seiner Tochter Sümeyye. Bild: reuters

ISTANBUL/BERLIN taz | Die Partei von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat bei den Kommunalwahlen in der Türkei einen klaren Sieg errungen. Nach Auszählung von knapp 98 Prozent der abgegebenen Stimmen komme seine Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) landesweit auf 45,5 Prozent, berichtete der Fernsehsender CNN Türk am Montagmorgen online.

Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) lag demnach bei rund 27,9 Prozent, die ultranationalistische Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) bei 15,21 Prozent. An vierter Stelle rangiert die prokurdische Partei für Frieden und Demokratie (BDP), die in Ost- und Südostanatolien einige Bürgermeisterämter erringen konnte. Auch in der Metropole Istanbul führte die AKP laut CNN Türk kurz vor dem Ende der Auszählung deutlich. Enger war der Ausgang hingegen in der Hauptstadt Ankara.

Erdogan hatte seine Partei bereits in der Nacht zum Sieger der Abstimmung vom Sonntag ausgerufen. Seine Rede vom Balkon der Parteizentrale aber war nicht die Versöhnungsgeste an die Adresse seiner Kritiker, auf die manche gehofft hatten. „Ich danke meinem Herrn, dass er uns solch einen Sieg gewährte, solch einen bedeutsamen Sieg“, rief er der jubelnden Menge zu, die mit den Parolen „Die Türkei ist stolz auf Dich!“ und „Lang lebe unser Sultan!“ feierte.

Zugleich drohte Erdogan seinen Gegnern, ohne sie beim Namen zu nennen. Sie hätten „Chaos verbreitet“ und „die Interessen der Türkei verraten“. „Dafür werden sie bezahlen, wir werden sie zur Rechenschaft ziehen.“ Einige seien schon geflohen, andere könnten bald fliehen. In der Nacht wirkte Erdogan nicht so, als hätte er ein Interesse daran, die extreme Polarisierung der Gesellschaft zu überwinden. Provokativ war nicht nur die Rede, sondern auch seine Begleitung auf dem Balkon: Denn außer seiner Ehefrau Emine standen dort auch sein Sohn Bilal und seine Tochter Sümeyye, deren Namen im Korruptionsskandal ebenfalls eine große Rolle spielen.

Auszählung bei Kerzenlicht

Ganz offensichtlich haben weder der Korruptionsskandal noch die Massenproteste des vergangenen Jahres die Beliebtheit der AKP erschüttern können. Mit 45,5 Prozent liegt die Partei zwar rund fünf Pronzentpunkte hinter ihrem Ergebnis bei der Parlamentswahl 2011, aber sechs Prozentpunkte über dem Ergebnis der Kommunalwahl von 2009. Erdogan hatte die Kommunalwahl zu einer Abstimmung um seine Person erklärt.

Allerdings gibt es zahlreiche Berichte über Ungereimtheiten. In vielen Städten wurden die Stimmen infolge von Stromausfällen bei Kerzenlicht gezählt, was Anlass zu Spekulationen gab, dass womöglich Auszählung und Übertragung der Ergebnisse manipuliert worden sein könnten. In der Industriestadt Yalova (Marmarameer) soll der Bewerber der AKP mit nur einer Stimme Unterschied gewonnen haben.

Unregelmäßigkeiten werden auch aus Istanbul, Antalya und Ankara gemeldet. Viele Wähler hielten die ganze Nacht über Wache vor den Wahllokalen und versuchten, die Auszählung und Übermittlung der Stimmen zu übgerwachen. Aus einigen Wahllokalen wurde berichtet, dass Polizisten gegen diese Bürger vorgegangen seien.

Verdacht auf Manipulation

Besonders umstritten ist die Auszählung in Ankara. Dort lag zwischenzeitig der Opositionskandidat Mansur Yavaş vorne. Zuletzt war der Hürriyet zufolge Amtsinhaber Melih Gökçek mit knapp 30.000 Stimmen Vorsprung vorn. Spekuliert wird nun darüber, warum Innenminister Efkan Alain in Begleitung eines großen Polizeiaufgebots in einem Wahllokal auftauchte.

Und viele wundern sich darüber, dass bei der Auszählung des Bezirks Çankaya, wo die Ergebnisse am längsten auf sich warten ließen, hintereinander aus 19 Wahlurnen keine Stimme für die CHP hervorging. Çankaya liegt im Zentrum der Haupstadt und ist eine säkulare Hochburg; die CHP konnte dort das Amt des Bezirksbürgermeisters mit 65 Prozent der Stimmen verteidigen.

Drei Randnotizen: Im Meram, einem Bezirk der zentralanatolischen Stadt Konya, gibt es mit der AKP-Politikerin Fatma Toru erstmals eine Bürgermeisterin mit Kopftuch. Und in der Kleinstadt Ovacik in der ostanatolischen Proviz Tunceli errang Fatih Mehmet Maçıoğlu das erste Bürgermeisteramt für die Türkische Kommunistische Partei.

Schließlich haben dem Vernehmen nach Sedef Çakmak und Çelik Özdemir als erste offen bisexuelle bzw. schwule Bewerber in den Istanbuler Bezirken Beşiktaş und Beyoğlu Mandate in Bezirksparlamenten gewonnen. Beide traten für die CHP an. Die homo- und transsexuellen Bewerber in den Reihen der prokurdischen-linken Bündnispartei HDP hingegen haben den Einzug in die Bezirksparlamente wohl verfehlt. (mit Material von dpa)

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6 Kommentare

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  • Mehr als das Wahlergebnis erschrecken die Berichte über Wahlmanipulationen.

    Wenn diese Wahl eine Abstimmung über Erdogan war, dann hat er diese verloren. Es stimmten erheblich mehr türkische Wähler für die drei im nationalen Parlament vertretenen Oppositionsparteien als für Erdogans AKP. Bei nationalen Wahlen hätte die AKP ihre parlamentarische Mehrheit verloren. Erdogan kann nicht mehr behaupten, dass er die Mehrheit der Türken hinter sich hat.

    Wirklich erschreckend sind die Berichte über Wahlmanipulationen.

    Nachdem Erdogan Schritt für Schritt den demokratischen Rechtsstaat abgeschafft hat, nachdem er Medien, Polizei, Justiz und Militär unter seine alleinige Kontrolle gebracht hat, steht zu befürchten, dass er die türkischen Wähler mittels Wahlmanipulationen auch noch der Möglichkeit beraubt, ihn abzuwählen. Ganz ähnlich wie sein offensichtliches Vorbild Putin es ihm mit seiner "gelenkten Demokratie"vorgemacht hat

  • Ich fürchte, substanzielle Veränderungen kommen schon seit längerem nicht mehr per Urne bzw. "Wählerwillen". Dazu ist Macht, vor allem die tv-mediale gehirnverwässernde, zu sehr finanz(lobby)genadelöhrt.

    Hoffnung spendet (mir) nur noch jener letzte öffentliche Raum wo "Chaos verbreitet und nationale Interessen verraten" werden: die Strasse. Und also soll sie ja zugesperrt bzw. zu Shopping-Meilen kastriert werden. Zunehmend. Von Istanbul über Hamburg bis Rio de Janeiro.

  • Okay, es sind Kommunalwahlen.

    Erdogan regiert aber sowieso in der Türkei. Das einzige, was man aus den Kommunalwahlen ableiten kann, ist, dass in den entsprechenden Städten und Gemeinden offenbar beliebte Politiker von Erdoigans Partei kandidieren.

     

    Jetzt müsste man erstmal erfahren, welche Typen in die einzelnen Kommunalparlamente eingezogen sind, um ein Urteil darüber abzugeben, ob es sich bei den Wählern dort um eine zutiefst reaktionäre Gesellschaft mehrheitlich handelt, um dann daraus auch die entsprechenden Schlüsse zu ziehen und entsprechend zu handeln.

  • PH
    Peter Haller

    Jaja, mag sein, dass irgendwo, irgendwas nicht ganz so exakt abgelaufen ist. Das soll sogar schon in lupenreinen Demokratien so gelaufen sein (war da nicht was in Florida mit Bush ??). Aber nichtsdestotrotz scheint die AKP bei den Türken doch wohl ziemlich beliebt zu sein, etwa so wie die CDU in Deutschland. Also alles paletti !!

     

    Aber mal nebenbei: Ich schätze Deniz Yücel als Journalist sehr. Nur warum darf er in letzter Zeit nur noch über Dinge in der Türkei berichten ? Wem ist er denn so dermassen auf den Schlips getreten, dass er nur noch so quasi als "Quotentürke" bei der taz arbeiten darf, wobei ich ehrlicherweise nicht weiss, ob er überhaupt eine türkische Staatsbürgerschaft besitzt, was aber auch nix zur Sache tut ??? Würde mich wirklich interessieren !

  • Erdogan ist so falsch, wie die Demokratie in der Türkei. Was er nun machen wird, dürfte klar sein: Er wird das als Bestätigung auffassen, um jetzt das Land noch stärker zu islamisieren, den Dialog mit der säkularen Jugend weiter abwürgen und für autoritäre Maßnahmen sorgen.

     

    Dass Erdogan sich mit dieser Linie ein Eigentor schießt ist auch klar. Aber darum geht es wohl nicht, denn die Türkei ist für die EU nur noch ein Psyeudo-Kandidat und am Ende wohl gar keiner mehr. Andererseits muss man auch klar betrachten, dass eine 10-Prozent-Hürde jede Demokratie abwürgt und solche Ergebnisse erzwingt, denn alle Prozent-Punkte, die unter diese Hürde fallen, kommen der größten Partei am stärksten zugute. Und das sind, wenn man BDP, SP, HDP, BBP, DP, DSP, IP und HUDAPAR zusammenrechnet schon 12,7 Prozent. Allerdings gibt's auch keine Zweifel Erdogan ist der König vieler Stadtteile in Istanbul und Ankara, er dominiert die inner-anatolischen Gebiete und kommt auf sehr gute Ergebnisse in den kurdischen Gebieten. Wenn allerdings die Blase durch den Konsum per Kreditkarte wirklich platzt, könnte er auch schnell mitstürzen. Letztlich ist die Unzufriedenheit mit ihm auch groß und international sorgen knüppelnde Polizisten nicht für Vertrauen, sondern irritieren Anleger und Analysten. Insofern kann das hier ein Pyrrhussieg sein.