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Parteitag der Linken in BerlinWer zuerst Frieden sagt, gewinnt

Die GenossInnen bestätigen wie erwartet Katja Kipping und Bernd Riexinger als Spitze. Doch so harmonisch wie geplant verlief der Parteitag nicht.

Die Parteilage ist doch irgendwie ernst: die Co-Vorsitzenden Bernd Riexinger (l.) und Katja Kipping mit Fraktionschef Gregor Gysi (r.). Bild: dpa

BERLIN taz | Bis zum Samstagabend war der Parteitag genau so wie es sich Strategen zwei Wochen vor der Europawahl wünschen: Es passierte wenig. Kein Kämpfe, keine Zerwürfnisse, keine Opfer, etwas müde Debatten. Am Interessantesten war Altkader und Ex-DDR Ministerpräsident Hans Modrow, der, neben der obligatorischen Ermahnung an die Fraktion, nicht vom Friedenspfad abzuweichen, sich daran erinnerte, dass er schon mal hier geredet hatte. Im Osten Berlins 1958, als FDJ- Sekretär. Vor ihm hatte damals Nikita Chrustschow gesprochen.

Das ist eine hübsche Anekdote – und mehr. Sie war ein Hinweis, warum die Linkspartei einem nostalgisch verfärbten Russland-Bild anhängt. Und warum sie sich schwer tut, ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. „Im Ukraine-Konflikt stehen wir weder an der Seite Russlands noch an der Seite der Nato“ rief Parteichefin Katja Kipping den 500 Delegierten im Berliner Velodrom, einem fensterlosen Betonbau, zu.

Kipping kritisierte mangelnde demokratische Freiheiten in Russland und dass Aktivistinnen von Pussy Riot in Straflager gesperrt wurden. Applaus bekam sie dafür nicht – und auch ihr eher bescheidenes Wiederwahlergebnis von 77 Prozent mag damit zu tun haben: Deutliche Kritik an Putin mögen viele GenossInnen nicht.

Ihr Co-Chef Bernd Riexinger erhielt fast 90 Prozent. Das war Anerkennung für seinen moderierenden Stil. Und auch für seine ziemlich schlichte Haltung in der Außenpolitik. Man werde „die friedenspolitischen Positionen nicht aufweichen“, um die Türe „für irgendwelche Regierungskoalitionen“ zu öffnen, sagte er. „Mit uns sind keine Auslandseinsätze der Bundeswehr zu machen“, so Riexinger. Also auch keine mit UN-Mandat und auch nicht, wenn es nicht um Kriegseinsätze geht, sondern etwa um die Vernichtung von syrischem Giftgas.

Kluge Botschaften von Gysi

Solche Töne kamen gut an. In eine ähnliche Richtung wies Außenpolitiker Wolfgang Gehrcke, der im Ukraine-Konflikt viele Forderungen in Richtung Kiew und EU, aber keine an Russland addressierte. Die linke Flügelfrau Sevim Dagdelen agitierte wie gewohnt gegen die „Kumpanei der Bundesregierung mit Faschisten“ in der Ukraine. Russische Staatsmedien klingen nicht viel anders. Die geheime Dramaturgie dieses Parteitags lautete: Wer zuerst Frieden sagt, scharf gegen den Westen wettert und zu Russland schweigt, gewinnt. Außenpolitische Realos wie Stefan Liebich waren froh, dass im Kompromissantrag zur Ukraine-Krise immerhin erwähnt wird, dass die Besetzung der Krim völkerrechtswidrig war.

Der Einzige, der nach wie vor fast die ganze Partei hinter sich bringen kann und politisch kluge Botschaften auszusenden vermag, ist Gregor Gysi. Die Linkspartei dürfe im Ukraine-Konflikt nicht einseitig sein, mahnte der Fraktionchef. Gysi kritisierte scharf, dass die Bundesregierung die Übergangsregierung in Kiew, an der Rechtsextreme beteiligt sind, mit Geld unterstützt. Der zentrale Fehler aber gehe auf das Konto von EU und Russland. Beide hätten die Ukraine vor eine fatale „Entweder-Oder-Entscheidung“ gestellt und den Konflikt damit eskaliert. Dann verabschiedete sich Gysi Richtung Moskau – um dort „deskalierende Gespräche“ zu führen.

Pflüger wird Vize-Chef

Schon am Samstagabend war es mit dem innerparteilichen Frieden vorbei. Eigentlich sollten als neue StellvertreterInnen von Kipping und Riexinger die Westlinke Janine Wissler und der Ostpragmatiker Dominic Heilig aufrücken. West-Ost, links-rechts – damit wäre die Parteispitze machtpolitisch austariert. Doch es kam anders. Tobias Pflüger, schwäbischer Friedensaktivist und linker Flügelmann kandidierte. Parteichef Riexinger hatte Pflüger versucht intern von der Bewerbung abzuhalten – vergeblich.

Vor dem Parteitag hatte die Parteispitze sogar versucht, die Zahl der Vize zu erhöhen, um den Showdown zu verhindern. Pflüger, unterstützt von Sahra Wagenknecht, wetterte das Deutschland „immer mehr Kriege“ führen wolle – und bekam 54 Prozent, Heilig, der zum „Forum demokratischer Sozialismus (FdS) gehört, nur 48. Die FdS-Ostpragmatiker sind es gewohnt, auf Parteitagen zu verlieren. Doch dieser Schlag traf.

Die Ostrealos beantragten eine Auszeit. Offenbar stand zur Debatte, ob der FdS-Mann und Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn seine erneute Kandidatur für das Amt zurückzieht. Das hätte Zoff bedeutet, ein Ende des innerparteilichen Stillhalteabkommens, das in der Partei seit dem Göttinger Parteitag 2012 gilt. Höhn stellte sich, sichtlich zerknirscht, doch zur Wahl.

Ratlose Ostpragmatiker

Erstaunlich ist das Vize-Wahlergebnis angesichts der Zusammensetzung der Delegierten: zwei Drittel aus dem Osten, ein Drittel aus dem Westen. Doch auch der Osten tickt bei Frieden & Russland anders. Dazu kommt ein Problem, dass die politischen Köpfe der Ostpragmatiker ratlos macht: Die Ost-Linken machen in den Kommunen oder im Land konkrete Politik. Mit Erfolg. 2014 kann die Partei in Brandenburg, Thüringen und Sachsen auf Wahlsiege hoffen – vielleicht sogar mit Bodo Ramelow als erstem Linkspartei-Ministerpräsidenten.

Doch jenseits von Landespolitik erlahmen die politischen Leidenschaften der Ost-GenossInnnen schnell. „Die verhalten sich“, so ein scharfsinniger Realo, „wie Gewerkschafter“. Vor Ort handele man pragmatisch, und „auf dem Gewerkschaftstag applaudiert man radikalen Reden“. Deshalb sind die Reformsozialisten meist unfähig, in den entscheidenden Fragen, die Mehrheit hinter sich zu bringen.

Axel Troost, keynesianischer Wirtschaftsexperte und flügelübergreifend anerkannt, hatte sich wieder um einen der vier Vizeposten beworben. Um nicht „als gefühlloser Ökonom“ wahrgenommen zu werden, so Troost in seiner Bewerbungsrede, wolle er ein Zeichen setzen. Er warf eine bunte Friedensfahne über das Rednerpult. Parteitage sind keine Oberseminare. Aber für eine Partei, die gerne Vernunft für sich reklamiert, ist diese Verkürzung aufs Bekenntnishafte und Fahnenschwenken schon ärmlich.

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11 Kommentare

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  • 6G
    6020 (Profil gelöscht)

    Reinecke:„Deutliche Kritik an Putin mögen viele GenossInnen nicht …

     

    Wolfgang Gehrcke [Anm: Ex-KPD, Mitbegründer der SDAJ und der DKP!!!], .. viele Forderungen in Richtung Kiew und EU, aber keine an Russland ..

     

    .. agitierte wie gewohnt gegen die „Kumpanei der Bundesregierung mit Faschisten“ .. Russische Staatsmedien klingen nicht viel anders“

     

    SEHR treffend!

    Auch in der soeben stattfindenden Bundestagsdebatte wird von den LINKEN nicht einmal das Wort Russland, oder Putin erwähnt!

     

    Folglich wird NUR die Karte der Bedrohung durch faschistische Kräfte seitens der ukrainischen Regierung gezogen, … NICHT EIN Wort zu den faschistischen Methoden und Morde der pro-russischen Kräfte.

     

    Alles auf der Linie der russischen Propaganda, mit welcher Putin seine Kriegspolitik rechtfertigt.

    Auch kein Wort über die Verdopplung des Militärbudget unter Putin, Kritik nur an die NATO!

     

    Was die „Linken“ da für ein Zerrbild zelebrieren, MUSS jeden links und demokratisch fundierten Menschen auf die Barrikade treiben, und zwar dies bzgl. nicht primär gegen die EU-Politik, nein, GEGEN die LINKE!

     

    Ich glaube viele Sympathisanten und Unterstützer dieser LINKEN machen sich nicht klar, dass sie mit dem Nachbeten dieser „links-populistischen“ Klischees 3 große Fehler begehen:

     

    1. Mit diesem einseitigen S/W Bild begehen sie Verrat an den politischen Tatsachen

     

    2. Mit diesen außenpolitischen Positionen, der Weigerung des Nennens u. Anprangerns Russlands als fortgesetzten völkerrechtsbrechenden Aggressors in der Ukraine stellt sich die LINKE außerhalb eines demokratischen, Menschenrechts- & Friedenspolitisch orientierten Spektrums und ist damit nicht regierungsfähig!

     

    3. Durch diese verbohrte Haltung wird innerhalb Deutschlands, und der EU der Neoliberalismus weiter gestärkt, da ein möglicher tendenziell eher antikapitalistische Regierungswechsel damit völlig unmöglich erscheint!

     

    Auf letzteres ist die LINKE auch noch stolz … ein wirkliches Trauerspiel!

  • Und wie genau unterscheidet sich dieses Parteitagsgetue nun von den Parteitagen anderer Parteien? SPD, CDU, Grüne; da werden genau so Fahnen geschwenkt und Platitüden eingetrichtert. Liegt wohl irgendwie in der Natur der Sache.

  • Riexinger belohnt, Kipping wenigstens abgestraft, Wissler und Pflüger im Vorstand, keine programmatische Aufweichung - besser hätte es kaum kommen können! Nebenbei bemerkt, es waren ja gerade die "Ostpragmatiker", die die Quotierung nach Ost und West aufheben wollten - da dürfen sie, wenn sich das jetzt im Falle Heilig vs. Pflüger rächt, auch nicht jammern ...

  • Die einzige Partei, die Klartext spricht! Eben habe ich Gysis Rede gehört und was mir neu war, und mich wütend macht, dass die Amis hier ihre Atomraketen "modernisieren" wollen und die Bundesrepublik 20% der Kosten dafür tragen soll! Dazu fällt mir kurz und knapp ein: "Ami-Go-Home!"

    Ich will hier keine Atomraketen, keine US-Truppen die von hier aus in Afrika Kriegsverbrechen begehen, und auch von diesem erbärmlichen Freihandelsabkommen würde ich abstand nehmen, wenn der soziale innere Frieden hier noch irgendetwas zählen soll!

  • Die Taz jedenfalls hat sich vom Projekt Frieden verabschiedet. Zitat ihrer "Mitarbeiters" Donath: "Alle EU-Staaten sollten gemeinsam beschließen, den Verteidigungshaushalt um mindestens ein Drittel anzuheben, parallel zum Aufstocken konventioneller Streitkräfte und technologischer Innovationen." Ich kann mich erinnern, als ich jünger war, klang die Zeitung irgendwie anders...naja Zeiten ändern sich..

    • @ka_minski:

      Volle Zustimmung!

  • Reinecke schreibt:

    "Aber für eine Partei, die gerne Vernunft für sich reklamiert, ist diese Verkürzung aufs Bekenntnishafte und Fahnenschwenken schon ärmlich."

     

    Wohl wahr

    Das gilt aber für alle Parteien, nicht zuletzt auch die Grünen.

     

    Bekenntnishaftes und Fahnenschwenken ist aber mehr noch in den Medien verwerflich.

     

    Vor allem bei denen, die sich selbst immer als besonders kritisch feiern.

     

    Wenn dann noch offen menschenverachtende Aktionen wie in Odessa kleingeredet werden, dann wird diese Haltung mehr als nur unappetitlich.

  • der Wirtschaft gehört die Welt, der Krieg, das Geld, die angebliche Demokratie, die Staaten, die ganze Macht, weltbeherrschend.

    Die Linken sind doch auch nur noch die einzige Alternative für Leute, die diese Demokratie sowieso noch nie als solche akzeptiert haben, aber immerhin.

    Was wäre aber denn, wenn den Menschen die Welt offen stände? Tradition und Volksmusik kann man doch auch ohne Nationalstaat erhalten wenn man möchte, das sind doch sowieso fast nur regionale Geschichten. Eine Nationalhymne zum Fußball braucht man doch wirklich nicht. Nationalteams kann man auch ohne Staat, einfach mit Regionen die sich für Sport und andere Dinge zusammenschließen, schaffen.

    Die Fußballer kriegen die Grundsicherung wie alle und haben dann noch kleine Siegprämien, also so, wo Sport im Zusammenhang auch eigentlich hingehört. Davon abgesehen dass eben der Konzernboss auch erstmal Grundsicherung hat, und nebenbei etwas! verdienen darf.

    Aber die Linke hat ja auch schon gezeigt wie schnell und gründlich sie im Regierungssumpf versinkt.

    • @Maulauf:

      "Was wäre aber denn, wenn den Menschen die Welt offen stände?"

       

      Die anarchistische Idee. Klingt gut, doch scheitert am anerzogenen Besitzdenken selbst derer, die dahingehend die Arschkarte haben. Also zuerst die anarchist. "Erziehung" der Kinder und dann erst die Anarchie. Erwachsene sind nahezu unfähig, es noch zu erlernen, denn ihre Ängste vor Mittellosigkeit sind dominierend und das Vertrauen in die Gemeinschaft ist nachhaltig und auf Dauer geprägt geschwächt.

      Ich bin in der Richtung sehr pessimistisch und die fehlende Perspektive ist bedauerlich.

  • Parteitage sind sicher erforderlich und wichtig. Viel wichtiger ist doch was für die Menschen am Ende hinten herauskommt. also sprechen wir doch über Inhalte. Die Menschen bewegen Probleme und nicht wie Parteitage ablaufen. Welche Partei steht denn für Gerechtigkeit? Die LINKE. Warum das so ist, darüber kann man viele viele Artikel schreiben. Warum die LINKE bei

    Wahlen nicht nur die GRÜNEN hinter sich lässt? Weil sich eben viele Menschen von Demokratie verabschiedet haben und nicht (mehr) wählen gehen. Auch hierüber lassen sich ganze Zeitungen voll schreiben. Insofern sind Parteitage völlig unwichtig.

  • Ideologen und Dogmatiker und Menschenbevormunder gehen ins Velodrom.Das hat keine Fenster den dort hat der Mensch kein Ausblick.