Hundeflüsterin über Menschen und Tiere: „Hunde sehen in uns Automaten“
In der DDR sang sie, in der BRD suchte sie nur – und floh nach Russland. Heute ist Maja Nowak „Hundeflüsterin“. Ein Gespräch über Treue, Frieden und Sand.
taz: Frau Nowak, Sie sagen, Sie kommunizieren mit Hunden. Kann man das lernen?
Maike Maja Nowak: Jeder, der den Mut hat, Kontrolle aufzugeben und instinktiv zu handeln. Wir sind ja Instinktwesen, sonst würden wir nicht schadlos durch ein Einkaufszentrum kommen. Dort wissen wir innerhalb einer Hundertstelsekunde, ob der andere ausweicht oder nicht.
Manchmal wippen wir parallel zum Gegenüber hin und her …
… wissen aber meistens, wer nachgibt. Das entscheidet nicht unser Kopf, sondern unser Instinkt. Der funktioniert prächtig. Nur erleben wir im Alltag keine Überlebenssituationen mehr.
Doch, beim Autofahren.
Stimmt, da ist unser Überlebensprogramm aktiviert. Da sind wir sehr schnell, weil wir in Gefahrensituationen instinktiv handeln.
Ihre Seminare sind anderthalb Jahre im Voraus ausgebucht, Ihre Sendung im ZDF hat ein bis zwei Millionen Zuschauer. Ist das Verhältnis zwischen Mensch und Hund gestört?
Ja. Die Idee, Hunde zu dressieren, wie Software bespielen zu wollen, damit sie keine Probleme machen, funktioniert nicht. Wir wollen es uns immer einfach machen und machen es uns damit schwerer. Wir halten Hunde und wissen nichts von ihrer Welt. Wir wissen häufig nur, was uns an ihnen gefällt. Ähnlich, wie wenn wir uns verlieben. Wir projizieren etwas in unser Gegenüber, und was nicht passt, wird ausgeblendet.
Die Frau: Maike Maja Nowak wurde 1961 als Lehrerkind in Leipzig geboren. In den achtziger Jahren gründete sie „Kieselsteine“, eine der ersten Frauenbands der DDR. Ab 1991 lebte sie fast sieben Jahre in Russland – zusammen mit zehn Hunden. Wieder in Deutschland, tourte sie als Adriana Lubowa mit Chansons, ehe sie an Burn-out erkrankte.
Die Flüsterin: Nach einer Therapie wuchs ihr Interesse für Tiere, 2002 holte sie einen Hund aus dem Tierheim zu sich. Sie ließ sich zur Tierpsychologin ausbilden. Sie leitete in Berlin das Dog Institut, schrieb Bücher und wurde Protagonistin der ZDF-Dokureihe „Die Hundeflüsterin“. Maike Maja Nowaks jüngstes Buch „Wieviel Mensch braucht ein Hund?“ ist 2013 im Mosaik Verlag erschienen.
Sie setzen Hunde und Menschen gleich.
Selbstverständlich. Hunde sind hochkomplexe, fühlende, soziale Wesen. Und wir verwenden sie häufig als Retter für unsere emotionale Versorgung, weil wir das bei eigenen Artgenossen nicht mehr finden. Viele lagern auch ihre Probleme auf den Hund aus. Andere sehen den Hund als Accessoire. Sie wollen etwas Besonders sein, durch ihren Hund gesehen werden.
Klingt nach einer Welt voller Narzissten.
Nein, einer Welt voller Individualisten. Kaum jemanden interessiert, warum es ein Problem überhaupt gibt und dass wir selbst das Problem sein könnten. Es gibt so viele Singles, so viele kinderlose Paare, die sich einen Hund anschaffen. Die Verbindung unter Menschen wird in der Vereinzelung immer nebensächlicher.
Sie sagen, manche Hunde werden als Leithunde geboren, andere als Teamplayer. Ist das bei Menschen auch so?
Es gibt überall Entscheidungsträger und Ausführende. Anders könnten wir nicht überleben. Natürlich kann ein Ausführender versuchen, eine Führungsrolle zu übernehmen. Das versuchen Teamplayer-Hunde auch, wenn kein Leitwesen vorhanden ist. Sie werden jedoch, wie Menschen, krank, wenn sie etwas tun, wofür sie keine natürliche Kompetenz besitzen. Menschen bekommen etwa Burn-out oder Depressionen, Hunde zeigen Stress- und Aggressionssymptome.
Sie sind keine Hundetrainerin, man nennt Sie „Hundeflüsterin“. Wie unterhalten Sie sich mit den Tieren?
Hundetrainer trainieren Hunde, ich lehre Mensch-Hund-Kommunikation. Es geht darum, keine Dressurmethoden mehr über die hündische Natur zu stülpen. Ich lehre klare Führung für Teamplayerhunde und Kooperation mit Leithunden.
Das heißt?
Wichtig ist zum Beispiel die Körpersprache. Wenn ein Teamplayerhund ohne Freigabe nach vorne stürmt, muss er diszipliniert werden. Durch ein kurzes Geräusch wie „Ssssch“ kann man ihm zu verstehen geben, dass das nicht in Ordnung ist. Wenn er sich nicht selbst korrigiert, kann man sich ihm in den Weg stellen oder die Rückkehr einfordern durch Hinlaufen und einen Fingerstüber, der einem kurzen Abschnappen eines Hundes ähnelt. Es geht bei Teamplayerhunden darum, ihnen keine Entscheidungen zu überlassen und ihnen zu vermitteln, ob sie handeln sollen oder nicht, so wie es Leithunde tun. Die meisten Hunde erkennen ihre Menschen deshalb nicht an, weil es bei ihnen diese in einem Rudel wichtigen Grundsätze nicht gibt. Viele Hunde sehen in Menschen einfach wunderbare und funktionsfähige Automaten.
Automaten?
Wir sind für Hunde unglaublich leicht zu lesen und zu begreifen. Was mich so erstaunt, ist, wie schwer wir für uns selbst zu begreifen sind.
Was lesen Hunde denn in uns?
Wer du bist. Ob du zu den Automaten gehörst oder eine Beziehung eingehst. Gegen einen treuen Blick und Pfotenauflegen sind die meisten Menschen machtlos, weil sie das als Liebe ansehen. Der Hund bedient jedoch oft nur einen Knopf am Automaten. Diese Wahrheit ist unbequem und wirft uns auf das zurück, was wir eigentlich von Hunden brauchen.
Vielen Hundehaltern fällt es schwer, Tabus zu setzen …
… dabei täten sie den Hunden damit einen Gefallen. Bei menschlichen Beziehungen ist das ähnlich. Wir trauen uns nicht, nein zu sagen. Man könnte uns ja nicht mehr lieb haben. Den Hunden ist das egal, die wollen uns – und sich untereinander – nicht lieb haben. Es geht darum, sich aufeinander verlassen zu können im Alltag und bei Gefahr. Hunde brauchen Menschen, die sie führen. Wir lassen unsere Kinder ja auch nicht das Onlinebanking übernehmen. Kinder brauchen, wie die meisten Hunde, Entscheidungsträger, sonst sind sie überfordert und reagieren entsprechend.
Was können wir von Hunden lernen?
Ihr soziales Wesen. Hunde bewerten niemanden. Denen ist egal, ob jemand dick oder dünn ist. Wir können Geduld lernen. Wenn wir eine Entscheidung durchsetzen wollen, versuchen wir es mit Druck. Leithunde beharren mit Präsenz, bis die Entscheidung umgesetzt wird. Hunde sind außerdem nicht nachtragend. Sie handeln sofort. Wir stauen oft Wut auf, weil wir Angst haben, nicht gemocht zu werden, wenn wir sie äußern.
Sie leiten heute das „Dog-Institut“ in Berlin, haben drei Bücher geschrieben, Sie treten in Talkshows auf. In den Neunzigern haben Sie in einem kleinen Dorf in Russland gelebt. Wie gingen die Menschen dort mit ihren Hunden um?
Es gab in Lipowka 90 Hunde und 86 alte Menschen, die sich selbst versorgt haben. Die Hunde mussten sich auch selbst versorgen, gingen jagen, liefen frei herum. Die Menschen haben sie nicht sonderlich beachtet. Sie brauchten sie nicht als emotionale Stütze. Die Hunde lebten deshalb in großer Freiheit, teilweise in Rudeln. Obwohl sie nicht gefüttert wurden, waren sie den Bewohnern eng verbunden, sie folgten ihnen.
Warum sind sie bei den Menschen geblieben?
Das ist das große Geheimnis. Warum schließen sich Hunde Menschen an?
In Deutschland betreiben wir Hundehaltung nach der Reißbrettmethode: dreimal täglich Fressen, zweimal Spazieren, einmal wöchentlich Hundesport.
Auffällig ist, dass die Hunde in Lipowka mit den Menschen mitgelaufen sind, freiwillig. Und was üben wir mit unseren Hunden? Dass der Hund zu uns kommt. Warum? Weil er im Park sofort weg ist, ohne Leine. In einem Rudel gibt es eine natürliche Schranke, Arbeitshunde würden sich nie vom Leithund entfernen, ohne dass der sie freigegeben hat. Und wir, wir werfen Bälle von uns weg und bringen bereits einem Welpen bei, dass er sich von uns entfernt. Wir machen diese natürliche Schranke kaputt. Der Hund ist dann auf den Ball fixiert und hat zum Menschen gar keinen Bezug.
Wenn Sie an Lipowka denken, woran denken Sie zuerst?
Frieden. Und Sand.
Sie wurden in der DDR geboren, waren damals bekannte Liedermacherin. Wieso konnten Sie Ihre Karriere nach der Wende nicht fortsetzen?
Weil es niemanden wirklich interessierte, was DDR-Liedermacher zu sagen und singen hatten.
Sie galten als Rebellin.
Ich habe einfach meine Meinung gesagt. Ich habe auch keine politischen Lieder im Sinne von Tagespolitik geschrieben. Mich haben Menschen interessiert, die ja das Material sind, aus dem Politik gemacht wird. Natürlich habe ich Ärger bekommen. Aber das ist nichts Besonderes für den Osten gewesen.
Sie haben eine der ersten Frauenbands der DDR gegründet und dort zum ersten Mal über lesbische Liebe gesungen.
Wir haben unser erstes Programm gemacht, mit dem Untertitel „Normen in der Gesellschaft“. Da war ein Lied dabei über Homosexualität. Damals war es wohl unglaublich, dass sich das jemand traut, deshalb war es so dominant in der Wahrnehmung.
Darum erhielten Sie Auftrittsverbot?
Weil es nicht erlaubt war. Für den Staat stellten Abweichung von der Norm ein Verbrechen dar, für mich sind sie Ausdruck von Lebendigkeit.
Warum flohen Sie später aus dem neuen Deutschland?
Nach dem Mauerfall habe ich in der BRD nach etwas gesucht, das mich reicher macht. Und nichts gefunden.
Zog es Sie deshalb Richtung Osten?
Ich habe sehr früh angefangen, Gorki und so was zu lesen. Russische Märchen. Ich spürte, dass in der DDR nur schwarz-weiß gelehrt wurde. Es gab kein Grau oder Bunt. Und in diesen russischen Erzählungen und Romanen war die Welt ganz anders. Es gab Zwischentöne, Geheimnisse, Mystisches. Als die Wende kam, entdeckte ich zufällig die Dichterin Marina Zwetajewa in der deutschen Nachdichtung, da kam diese Sehnsucht wieder auf. Ich bin dann nach Moskau, mit einer großen Neugier, dass ich jetzt diese Geheimnisse, die ich als Kind gespürt habe, kennen lernen konnte.
Was brachte Sie dann, mit Anfang dreißig, in jenes russische Dorf, 800 Kilometer von Moskau?
Eine Kollegin wollte mich mitnehmen, weil sie dort ein Häuschen hatte, ich wollte anfangs gar nicht hin. Erst waren wir im Zug, dann im Auto, dann ging es 18 Kilometer zu Fuß weiter, über zwei Flüsse. Von Herausforderung zu Herausforderung fiel mehr Kontrollzwang von mir ab. Und nach zwei Stunden in diesem Dorf hatte ich das Gefühl, dass ich dort sein will, dass ich dort leben will. Und ich blieb. Fast sieben Jahre lang.
Und irgendwann kam Wanja.
Das war auch Liebe auf den ersten Blick. Dieser Hund hat mich ausgesucht.
Es wurden letztlich zehn wilde Hunde, mit denen Sie dort lebten. Was haben die Tiere Ihnen beigebracht?
Ich habe sie beobachtet, ihr natürliches Verhalten im Rudel. Wanja als Leithund. Damals wusste ich es nicht, aber letztlich waren diese Jahre der Auslöser für das, was ich heute lebe und arbeite.
Damals dachten Sie noch nicht an Mensch-Hund-Kommunikation. Sie hatten 17 Jahre als Liedermacherin gearbeitet und Musikpreise gewonnen. 1997 kehrten Sie als Adriana Lubowa nach Deutschland zurück, auf Einladung eines Veranstalters traten Sie hier wieder auf. Sie sprachen mit russischem Akzent. Wofür brauchten Sie auf der Bühne eine solche Identität?
Es ging um einen befristeten Aufenthalt von ein paar Konzertwochen. Ich wusste nicht, wie ich all das Fremde, was mich hier umgab, anders abfangen soll.
Selbst vor Freunden sollen Sie Ihre Rolle nicht abgegeben haben.
Wozu, eine Kunstfigur ist für die Kunst und nicht für Freunde. Sie war eine Möglichkeit, in der Öffentlichkeit da zu sein und zugleich nicht da zu sein.
Wieso sind Sie dann doch in Deutschland geblieben und nie wieder nach Lipowka?
Weil in dieser Zeit alle mir wichtigen Wesen in Lipowka gestorben sind. Die Babuschkas, die Hunde und zum Schluss: Wanja. Für so viele Abschiede hatte ich damals kein Repertoire, außer mich in die Arbeit zu stürzen. Ich hatte weiter Erfolg als Sängerin, aber nach zwei Jahren bin ich morgens aufgewacht und konnte mich nicht mehr bewegen, nicht mehr auftreten. Ich war Stichwortgeber für Emotionen gewesen. Die Gefühle, die sich beim Publikum entwickeln, haben nichts mit mir zu tun. Man kommt da ja nicht vor, man ist einfach Projektionsfläche und sendet.
Also haben Sie sich wieder an die Hunde erinnert?
An einem Morgen, im Jahr 2002 war das, war die Sehnsucht so groß, dass ich aus einem Tierheim einen Hund holte. Er war über zehn Jahre auf einem Balkon ausgesperrt. Ich wollte Viktor helfen.
Wollen Sie das, was Sie heute tun, immer tun?
Wenn man sich entwickelt, kann man morgen nie tun, was man heute tut. Themen, die mich in Zukunft interessieren, sind Rückübertragungen der Ursachen gestörter Hunde auf die Menschenwelt. Etwa Seminare für Führungskräfte oder die Beschäftigung mit Burn-out und ADHS.
Sie meinen, genauso wenig wie Hunde täglich Hundesport brauchen, brauchen Kinder Ritalin?
Beide bräuchten die Möglichkeit, Dinge nachvollziehen zu können, in ihrem Tempo. Kurse, Schule, Musik, Sport: Und dann haben Kinder plötzlich ADHS. Bei einem Hundewelpen sieht man das gleiche Verhalten, wenn Außenreize zu schnell auf ihn einströmen und er Entscheidungen treffen soll.
Wieder etwas, das wir von Hunden lernen können?
Ja. Welpen verlassen anfangs gar nicht ihre Höhle, erst im Laufe der Zeit, je nach Entwicklungsstatus, gehen sie Meter für Meter hinaus. Die Mutter hat ein Gespür dafür, welcher Welpe welche Kompetenz hat, dafür, was er kann. Wir aber schaffen uns Welpen an und stellen sie in die übervolle Welt. Genauso machen wir es oft mit Kindern: Es laufen immer zehn Filme auf einmal. Anhalten kann aber jeder.
Und – halten Sie an?
Ich lebe wieder in einem kleinen Haus am Wald, fast wie damals. Im Wald bin ich dreimal am Tag, in der Stadt zweimal im Jahr. Für deutsche Verhältnisse lebe ich wohl wie in Lipowka.
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