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Interview zur Sternfahrt in Berlin„Radfahren ist ansteckend“

Berlin ist noch längst keine Fahrradstadt, sagt das Bloggerkollektiv „Alle Macht den Rädern“ – und fordert ein Umdenken der Politik.

Am Sonntag gehört Berlin wieder den Radlern Bild: dpa
Interview von Claudius Prößer

taz: Frau Heringer, Herr Runge, Herr Schön, Sie betreiben den Blog „Alle Macht den Rädern“. In einem Beitrag formulieren Sie Verhaltensregeln für die Critical Mass, das monatliche Kolonnenfahren durch die Stadt, das immer populärer wird. Sie schreiben da etwa, man solle doch den Tiergartentunnel den Autos überlassen. Warum?

Till Runge: Regeln sind das nicht, nur Anregungen. Wir sind ja nicht das Sprachrohr der Critical Mass, sondern einfach Mitfahrende, die ihre Meinung dazu sagen. Es gibt da ja verschiedene Kontroversen, die auf Facebook und anderswo ausgetragen werden – wir haben eben die Möglichkeit, das über unseren Blog zu tun.

Am Tunnel scheiden sich die Geister?

Runge: Ja. Wobei viele Befürworter der Tunnelfahrten denken, wir hätten ein Problem mit dem Regelbruch. Aber uns geht es darum, dass wir die Stadt beim Fahren erleben wollen.

Ulrike Heringer: Auch beim Tempo gibt es manchmal Konflikte. Es sind ja schnelle Fixie-Fahrer genauso dabei wie Menschen mit alltagstauglichen Rädern und einem Korb auf dem Gepäckträger. Da es keinen Veranstalter gibt, der so etwas bestimmen könnte, führt das öfters zu Diskussionen.

Runge: Jetzt, wo die Sache so groß wird, dachten wir, es wäre gut, mal ein paar Dinge aufzuschreiben, die auch für Neue nützlich sein können. Etwa, was es mit dem Korken auf sich hat.

Mit dem was?

Heringer: Korken. Dabei stellen sich einige Mitfahrende an den Kreuzungen quer vor die Autos, damit die nicht einfach in die Kolonne reinfahren.

Im Interview: Alle Macht den Rädern

sind Till Runge, Ulrike Heringer und Kevin Schön. Die Initiative beschäftigt sich auf ihrem Blog mit Mobilität im urbanen Raum.

www.alle-macht-den raedern.de

Wie wichtig ist der Umweltaspekt für euch als Radblogger?

Runge: Ich würde es so sagen: Wenn man jemanden dazu bringen will, sich anders zu bewegen, ist Klimaneutralität das falsche Argument. Fast keiner fährt Fahrrad, nur weil es kein CO2 ausstößt. Wir finden es schade, dass Leute, die das Radfahren promoten wollen, so häufig mit dem Klimaargument kommen.

Kevin Schön: Uns geht es darum, Verkehrspolitik nicht nur als Umweltpolitik zu begreifen, sondern sie als Stadtpolitik ernst zu nehmen. Es geht darum, wie Verkehr den Stadtraum verändert. Lebensqualität wird nicht in CO2-Werten gemessen. Wir glauben aber, dass das Auto nicht das optimale Fortbewegungsmittel für einen urbanen Raum ist …

Runge: … aus Gründen des Platzverbrauchs, der Gefährdung, der damit verbundenen Normierung des Stadtraums …

Die Sternfahrt

Am Sonntag veranstaltet der Allgemeine Deutsche Fahrradclub Berlin (ADFC) die 38. Radsternfahrt. Das diesjährige Motto: "Radsicherheit für Berlin: Freie Radspuren". Unter anderem fordert der ADFC mehr Radspuren an Hauptverkehrsstraßen und ein entschiedeneres Vorgehen der Behörden gegen Autofahrer, die auf Radspuren parken.

19 Routen mit jeweils verschiedenen Einstiegsmöglichkeiten laufen aus dem Berliner Umland sternförmig auf das Ziel am Brandenburger Tor zu. Für Schnellradler gibt es eine "Expressroute" von Frankfurt (Oder), hier gilt eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 25 Kilometer/Stunde. Alle Startzeiten und Routen: www.adfc-berlin.de (taz)

Heringer: … auch die Interaktion mit anderen wird durch das Autofahren unterbunden.

Beschreiben Sie doch bitte mal Ihre ideale Stadt der Zukunft.

Runge: Natürlich hätte diese Stadt weniger Autos, wobei wir nicht der Meinung sind, dass alle Leute immer mit dem Fahrrad fahren sollten. Aber die Leute würden darüber ins Gespräch kommen, wie man Mobilität bei möglichst geringer Verkehrsbelastung erzeugt, wie man Negativfolgen wie Lärm oder schwere Unfälle reduziert. Die ideale Stadt wäre sehr urban.

„Urban“ – was heißt das für Sie?

Heringer: Dass die Menschen, die hier in einer bestimmten Dichte leben, die unterschiedliche Herkunft, Alter, Interessen haben, miteinander interagieren.

Schön: Die Stadt lebt für uns in der Spannung zwischen öffentlichem Raum und privatem Rückzugsort. Eine Stadt, die vom Autoverkehr dominiert ist, hat den öffentlichen Raum zu stark privatisiert.

Wie sähen denn die Wege in einer besseren Stadt konkret aus?

Heringer: Ich finde interessant, dass in der Stadtplanung auch Fragen eine Rolle spielen wie die, wer die schönste Sicht auf die Stadt hat. Das ist heute ganz oft der Autofahrer. Man fährt in der Mitte, weit genug weg von den Fassaden, um sie betrachten zu können, man kommt in den Genuss der städtebaulichen Sichtachsen. Das Recht auf eine ästhetische Wahrnehmung der Stadt muss aber auch für Radfahrer und Fußgänger gelten.

Schön: Natürlich kann nicht jeder immer in der Mitte sein, und es muss auch Straßen geben, durch die man sich zügig bewegt. Man muss es eben ausprobieren und bei der Straßenplanung variantenreicher denken. Eine fertige Antwort gibt es da nicht.

Berlin nutzt ja gerne mal das Label „Fahrradstadt“. Zu Recht?

Schön: Sagen wir so: Berlin ist eine Stadt, in der der Fahrradverkehr massiv wächst, aber nicht wegen, sondern trotz der Radverkehrspolitik. Warum das so ist? Eine Antwort wäre, dass man Radverkehr als Virus begreift. Radfahren steckt an.

Runge: Zurzeit ist Berlin auf keinen Fall eine Fahrradstadt. Aber es kann durchaus sein, dass es in 15 Jahren eine ist – ohne eine wirklich fahrradtaugliche Infrastruktur zu haben.

Heringer: Was kein Argument für die Politik sein darf, die Infrastruktur nicht zu verbessern.

Runge: Auf keinen Fall!

Mit einer besseren Infrastruktur würden doch auch längere Strecken mit dem Fahrrad zurückgelegt werden.

Heringer: Das stimmt. In Kopenhagen etwa sind die Entfernungen zum Teil wie hier, aber man kommt deutlich schneller voran, weil man diese breiten Radwege hat. In Berlin gäbe es dafür auch die Voraussetzungen, wir haben so breite Straßen wie keine andere Großstadt in Deutschland.

Runge: Nur ist es eben nicht monokausal die Infrastruktur, die die Leute zum Radfahren bringt. In Kopenhagen ist es einfach normal, das Rad zu nutzen. In Berlin wird es langsam normal.

Heringer: Die Politik betrachtet das Fahrrad immer noch als Freizeit- oder Sportgerät, nicht als normales Fahrzeug.

A propos Politik: Haben Sie denn Verbündete in der Verwaltung?

Runge: Es gibt da Leute, die sich wirklich engagieren und etwas voranbringen wollen, aber es gibt höchstwahrscheinlich auch andere. Wirklich bedauerlich ist, dass es seit Jahren keinen Fahrradbeauftragten mehr gibt. Es wäre schön, wenn es jemanden gäbe, den jeder ansprechen kann, und der das auch nicht im Ehrenamt macht - dazu ist die Stadt einfach zu groß. Was wir nicht verstehen, ist Folgendes: Die Politik in Berlin wird ständig für irgendetwas geschlagen, das nicht funktioniert. Warum erhöht man nicht den Fahrradetat um drei Millionen, Klaus Wowereit lässt sich auf dem Fahrrad fotografieren, und der Senat streicht einen Erfolg ein? Ich würde das gar nicht auf bösen Willen zurückführen, eher auf fehlenden politischen Instinkt.

Wo wir gerade beim Senat sind. Was halten Sie eigentlich von der Plakatkampagne mit den kleinen blauen Getränkedosen, auf denen „Rücksicht“ drauf steht?

Schön: Gute Frage. Einerseits wäre ein angenehmeres Verkehrsklima schön. Auf der anderen Seite versucht die Kampagne das mit sehr einfachen Mitteln zu erreichen, nämlich mit Moral. Wir glauben nicht, dass das so einfach funktioniert.

Heringer: Das Geld für solche zu kurz gedachten Kampagnen wäre in Infrastruktur wahrscheinlich besser investiert. Oder in Verkehrsforschung.

Dieses Interview ist Teil des aktuellen Themenschwerpunkts in der Wochenendausgabe der taz.berlin. In Ihrem Briefkasten und am Kiosk.

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1 Kommentar

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  • Der Autofahrer soll die schönste Sicht auf die Stadt haben? Das bezweifle ich, wenn er von zu Hause eilig auf dem Weg zur Arbeit ist und ebenso eilig zurück.

     

    Fragen Sie doch mal solche Autofahrer, ob sie auf ihrer - oftmals langen, sehr langen - Strecke zum Arbeitsplatz wirklich die vielen abzweigenden Nebenstraßen, die diversen Geschäfte, únterschiedlichen Dienstleiter und Einzelhändler, Plätze und Parkanlagen, unterschiedlichen Wohnhäuser/Fassaden entlang und zwischendurch der viel befahrenen Strecke wirklich kennen und Auskunft darüber geben können, wenn sie von irgendjemanden gefragt werden. Von Ortsunkundigen oder Touristen.

    Autofahrer kennen allenfalls wichtige Kreuzungen und ärgerliche Ampelanlagen. Autofahrer kennen ihren Kiez, ihre Wohnsiedlung, wenn sie mal laufen, oder wenn sie Mittagspause im engen Umkreis ihres Arbeitsplatzes machen. Die müssen sich auf den Autoverkehr, Lieferverkehr und LKW-Verkehr konzentrieren, um möglichst schnell durchzukommen, und achten nicht auf die nähere Umgebung entlang und haben gar keine Zeit, werkstags stets begeistert und voller Genuß auf die Stadt ringsum zu starren.

     

    Genügend Parkplätze wären auf Hauptstraßen und in Nebenstraßen zusätzlich vorhanden, wenn Fuhrpark-Firmen wie Sixt und andere Mietwagen/Mietlastwagen nicht die Straßen als billige, kostenlose Fuhrpark-Abstellplätze besetzen würden. Auf diese Weise sparen solche Mietwagenfirmen/Transportfirmen die Kosten für eigene, selbst zu finanzierende Fuhrparkflächen.