piwik no script img

Spitzelei in Hamburgs linker SzeneStaatsschutz als Geheimdienst getarnt

Die Bürgerschaft soll sich mit dem Einsatz der verdeckten Ermittlerin Iris P. befassen, die Linke erwägt sogar, einen Untersuchungsausschuss zu beantragen.

In diesem Fall klar zu erkennen: Polizisten vor der Roten Flora in der Nacht zum 1. Mai 2013. Bild: dpa

HAMBURG taz | Der sechsjährige Einsatz der verdeckten Ermittlerin Iris P. durch das Hamburger Landeskriminalamt (LKA) beschäftigt die Hamburger Bürgerschaft. Unter einer Legende und der Tarnidentität „Iris Schneider“ soll sie im autonomen Zentrum Rote Flora und beim linken Radio „Freies Sender Kombinat“ (FSK) aktiv gewesen sein. Der Einsatz der „Iris Schneider“ soll von 2000 bis 2006 unter fünf Innensenatoren in drei Regierungen stattgefunden haben – von Rot-Grün über Schwarz-Schill bis Schwarz pur. Die Grüne-Abgeordnete Antje Möller hat den Komplex per Antrag auf „Selbstbefassung“ auf die Tagesordnung des Innenausschusses gesetzt.

Die Linke erwägt sogar, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu beantragen. „Es ist offenkundig zu schwerwiegenden Grundrechtseingriffen und Rechtsverstößen gekommen“, sagt die Abgeordnete Christiane Schneider. „Das muss völlig aufgeklärt werden.“ Auch Möller hält die „geheimdienstlichen Methoden“ für nicht gedeckt von den rechtlichen Grundlagen für den Einsatz verdeckter Ermittler. Dieser bedürfe der Zustimmung der Staatsanwaltschaft, bei längerer Dauer sogar eines richterlichen Beschlusses. „Zu dem konkreten Fall kann ich nichts sagen“, sagt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Nana Frombach. „Grundsätzlich vorgesehen ist unsere Zustimmung – inwieweit das geschehen ist, weiß ich nicht“, weicht Frombach aus.

Pikant ist, dass der Spitzeleinsatz im Jahr 2000 unter Rot-Grün begonnen hat, zwei Jahre nachdem der verdeckte Ermittler „Stefan“ enttarnt worden war. Das hatte beinahe zum Koalitionsbruch geführt. Den „Stefan“-Einsatz hatte der damalige Polizeipräsident und frühere Verfassungsschutzchef Ernst Uhrlau (SPD) im Alleingang angeordnet. „Stefan“ war auf die linke Flüchtlings-Unterstützerszene angesetzt und war 1995 in der „Glasmoorgruppe“ aufgetaucht, die sich um die Abschiebehaft in dem Ort am nördlichen Hamburger Stadtrand kümmerte. Später hatte er in Gruppen wie dem Café Exil, dem Bündnis Lübecker Brandanschlag und der Plakat-Druckgruppe der Roten Flora Fuß gefasst. Aktivisten hatten „Stefan“ 1998 auf einer Privatfete in Elmshorn angetroffen, wo er den anderen Gästen nur als Polizist bekannt war. Er tauchte daraufhin ab.

Der damalige Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) hatte die verdeckten Ermittlungen zur Gefahrenabwehr seinerzeit verteidigt. „Stefan“ sei kein „verdeckter Ermittler“ gewesen, sondern nur ein „verdeckter Aufklärer“, hatte er erklärt. Selbst ein Gutachten des Berliner Professors Gunnart Falke Schubert im Auftrag der Innenbehörde kam jedoch zu dem Schluss, dass der „Stefan“-Einsatz rechtswidrig war. Er hätte sich nicht Zugang zu Wohnungen verschaffen dürfen.

Die falsche Aktivistin

Sechs Jahre lang dauerte der Einsatz der verdeckten Ermittlern Iris P. in der linken Szene in Hamburg.

Eingeschleust in die Rote Flora wurde sie im Jahr 2000 unter der Legende und dem Decknamen "Iris Schneider" aus Hannover, indem sie im "Cafe Niemandsland" aktiv wurde. "Schneider" verschaffte sich durch ihr Engagement schnell Vertrauen, nahm an Flora-Plena teil und schloss Freundschaften.

Spitzel-Spekulationen waren schon 2002 aufgetaucht, die aber im Sande verliefen. Sie tauchte 2006 nach einem USA-Trip ab.

Bestätigung gab es Ende 2013, als sich die heute 41-Jährige auf einer Veranstaltung als Iris P. von der Abteilung "Prävention islamischer Extremismus" beim Staatsschutz des LKA zu erkennen gab.

„Das ist keine Hamburgensie“

Über den Einsatz von „Iris Schneider“ ab dem Jahr 2000 war Wrocklage offenkundig nicht informiert worden. „Ich kann mich nicht an einen solchen Fall erinnern“, sagt Wrocklage der taz. „Ich wusste, dass verdeckte Ermittler eingesetzt wurden“, sagt Wrocklage, „das ist keine Hamburgensie.“ Der Einsatz sei „legitim, wenn auch sehr problematisch“, sagt das aktive Mitglied der Humanistischen Union. Was Iris P. gemacht habe, müsse „rein individuell und menschlich gesehen“ werden. Es werde niemand beauftragt, mit jemanden ins Bett zu steigen.

Die Ermittlerin soll zudem etwas getan haben, was Polizisten nach dem Legalitätsprinzip nicht dürfen, nämlich Rechtsverstöße zu begehen – schon indem sie für den Druck der Broschüre „Bewegungsmelder“ ohne Impressum verantwortlich war. Zudem soll sie personenbezogen Daten gesammelt haben, indem sie enge Freundschaften schloss, sich feuchtfröhlich auf privaten Feten präsentierte und zwei Liebesbeziehungen einging, so die Vorwürfe.

Die Betroffenen wollen daher nun vorm Verwaltungsgericht klagen, um den Umfang der Verstöße gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht zu erkunden. Der Einsatz sei „grob rechtswidrig“. Er habe zu keinem Zeitpunkt „eine gesetzliche Grundlage gehabt und stellt einen schweren Verfassungsbruch und einen unglaublichen Eingriff in die Grundrechte der so bespitzelten Personen dar“, sagt der Strafrechtler Thomas Bliwier.

Die Deutsche Journalisten Union (DJU) ist zudem über den „polizeilichen Eingriff in die Rundfunkfreiheit“ beim FSK empört. „Iris Schneider“ gehörte seit 2003 der Redaktion des „Nachmittagsmagazin für subversive Unternehmungen“ an. „Sie hatte umfangreichen Einblick in den Redaktionsalltag und moderierte Sendungen“, berichtet FSK-Reporter Werner Pomrehn. „Jeder polizeiliche Eingriff in die verfassungsrechtlich zu schützende Medienfreiheit ist ein Skandal“, kritisiert Ver.di-Fachbereichsleiter Martin Dieckmann. „Hier scheint es noch schlimmer gewesen zu sein: Die Rundfunkfreiheit wurde zur Tarnung für verdeckte Ermittlungen missbraucht.“ Der Senat müsse erklären, so Dieckmann, „wie er den Schutz eines staatsvertraglich zugelassenen Senders gewährleisten“ wolle.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

22 Kommentare

 / 
  • Ist der Verfassungsschutz nun links?

    • @Arcy Shtoink:

      Dafür gibt es keinerlei Hinweise. Anders als beim Verfassungsschutz, der bekanntlich Neonazis auf seiner Gehaltsliste hat, die sich wiederholt schon an Straftaten beteiligt haben, war diese Geschichte ja eine Aktion einer Polizistin des polizeilichen Staatsschutzes beim LKA Hamburg. Der ist nicht identisch mit dem Verfassungsschutz. Hier eine (hinsichtlich der Führung nicht mehr aktuelle) Erläuterung:

      http://www.mopo.de/news/die-mopo-erklaert-was-ist-eigentlich-der-staatsschutz-,5066732,5320528.html

      • @Rainer B.:

        Dann hat also der polizeiliche Staatsschutz Autonome auf seiner Gehaltsliste. Auch interessant.

        • @Arcy Shtoink:

          Nö, der polizeiliche Staatsschutz hat Polizisten auf seiner Gehaltsliste.

          • @Rainer B.:

            Den Unterschied zwischen "Verdeckten Ermittlern" und "V-Leuten" werden einige nie verstehen, selbst in der Presselandschaft, ist das noch nicht zu jedem Schreiberling durchgedrungen, dass es da einen nicht unerheblichen Unterschied gibt. Der Einsatz von "Verdeckten" zeigt aber auf, dass es mit V-Leuten wohl nicht möglich war, denn "Anna und Arthur halten das Maul!"

            • @DDHecht:

              "Anna und Arthur halten das Maul!" - oder können das gewünschte Ergebnis gar nicht liefern.

      • @Rainer B.:

        Archy - Nein. Der Verfassungsschutz soll eine Art Frühwarnsystem für politischen Extremismus sein. Das ist er leider nie gewesen, sondern er war auch eine Institution, die von Anfang an viele Menschen beschäftigt hat, die während 1933-45 im NS-Sicherheitsapparat waren. Auch im 'roten' Hamburg hat diese Institution eine unrühmliche und dilettantische Geschichte hinter sich. Highlight war, dass die Behörde Muhammad Atta gar nicht kannte. Dass nun der Staatsschutz viel Geld in so eine Operation steckt, die zudem rechtlich offenbar teilweise illegal war, überrascht dann. Beim Verfassungsschutz sind solche Pannen aber tagesnormal. Die empfinden solche Aktivitäten gar nicht mehr schlimm -> Siehe Tino Brandt in Thürigen, der mit Staatsgeld eine brutale Neonaziorganisation erst geschaffen hat. Wer mehr wissen will, der kan Aust/Laabs zum VF lesen. Es ist wahrscheinlich noch untertrieben und leicht beschönigt.

  • "Wenn Sie enttarnt werden, müssen wir leugnen, Sie zu kennen", hatte man schon James Bond mit auf den Weg gegeben. Ich habe vollstes Verständnis dafür, wenn Polizisten im Dienst auch mal was gesellschaftlich Sinnvolles tun möchten und ein Bedürfnis haben, sich in linken Gruppen einzubringen, aber muss man deswegen gleich so tun, als gäbe es da irgendetwas zu ermitteln?

    Das Ergebnis dieses Undercover-Trauerspiels dürfte ebenso banal ausgefallen sein, wie 99,9% der gesammelten Stasi-Literatur auch. Natürlich gibt es für solche Aktionen keine Rechtsgrundlage, deshalb macht man so'n Unsinn ja gerade. Kann ein Untersuchungsausschuß die verantwortliche Polizeiführung absetzen? Falls ja, sollte man ihn unbedingt einsetzen. Falls nein, sollte man erstmal die Befugnisse eines solchen Gremiums entsprechend anpassen, sonst können sich hier wieder nur die Falschen die Hände reiben.

  • Der Verdacht liegt nahe, dass dieses Rechtsverständnis systembedingt ist. Und da müsste ein Ausschuss her, damit sich das überhaupt ändern kann. Und ich wage mal die Aussage, dass die Erkenntnisse sehr schmal waren und absolut nicht den Aufwand rechtfertigen, der da betrieben wurde. Das riecht nach Pauschalüberwachung der linken Szene. Nach einer bewussten Schwächung einer bestimmten politischen Kultur, die vielleicht gar nicht gefährlich gewesen ist.

  • Schon einmal jemandem aufgefallen, dass die Stasi und der Staatsschutz, beide "Vereine", auch mit "SS" abgekürzt werden könnten?

    • @DDHecht:

      Wie viel "linke Energie" steckt eigentlich im Verfassungsschutz, dass dieser es schafft mit "Linken" jahrelang einen Schmusekatzenverhältnis bis ins Bettchen hinein zu unterhalten? Oder andersherum. Wie ähnlich ist die die Hambuger "Linke" dem Verfassungsschutz dass sie es jahrelang nicht merkt, dass der gemeinsame Betthase doch eigentlich der böse Wolf ist?

    • @DDHecht:

      Mit Verlaub: DD=Doppelt Doof?

  • 8G
    8545 (Profil gelöscht)

    Für valide Informationen, braucht man verdeckte Ermittler.

    Sogenannte Vertrauens-Leute gehören selber zur Szene, geben naturgemäß keine validen Infos, und bei Bezahlung unterstützt man ihre Anliegen.

     

    Bei rechtsextremen Gewalttätern und Mördern wird mit V-Leuten "gearbeitet".

     

    Bei Linken mit echten Profis...

  • Zur politischen Diskussion:

    Was sollen verdeckte Ermittler ermitteln?

    Was sollen sie verhindern oder ermöglichen?

    Wer soll geschützt werden?

    Wie wurden diese Ziele erreicht?

    In diesem und den anderen Einsätzen?

  • Pss....

    könnte jemand der SPD-Stadt-Hamburg mal mitteilen, daß Abkürzungen mit Doppel-S seit 1989 und mehr noch 1945 etwas „out“ sind...

     

    Ganz speziell für staatliche *hust* „Sicherheits“-Organe alles *hust* Art.

     

    Auch wenn ich die feine Ironie durchaus zu schätzen weiss.

  • Was Auffällt: Seit der "Übernahme der DDR" verwandelt sich die BRD immer mehr in einen Überwachungsstaat a la Stasi 2.0! Klar, die CDU hat mit der Einverleibung der Blockflöten-CDU auch viel an Stasi-Methoden übernommen. Eine ehemalige FDJ-Sekretärin für Agitprop hat es ja auch zur Kanzlerin gebracht. Und sie war nicht einmal aktiv bei der Beseitigung der DDR dabei! Genauso der selbsternannte Bürgerrechtler Gauck, der wie Frau Merkel erst die Vorteile der DDR genossen hat und jetzt die Vorteile der BRD geniesst.

    Ach wir sind schon ein tolles Land, auch Dank einer ziemlich gleichgeschalteten Presse.

    • @antares56:

      Es gibt da eine Regel die besagt: "Die Sieger übernehmen die schlechten Sitten der Besiegten". Und denken wir daran was passieren wird wenn das "Reich des Bösen" im Osten unser sein wird.

  • Sein wir mal ehrlich: Zum eigentlichen Skandal wird gemacht, dass die Polizistin in der linken Szene ermittelt hat. Kann mir kaum vorstellen, dass es für LINKE, Grüne und taz ein Thema bei den Rechten gewesen wäre, gell?

    Eine sachliche Frage wäre: Hat er Einsatz schwere Straftaten verhindert?

    • @Chris Mahns:

      Aber natürlich sind die Spitzel-Strukturen in der rechten Szene ein Skandal! Gucken Sie mal, was V-Männer in der NPD und im NSU alles gemacht haben. Dort hat der Verfassungsschutz Brandanschläge in Auftrag gegeben und und und. Es ist definitiv eine linke Forderung, alle Spitzel und V-Männer generell zu verbieten!

    • @Chris Mahns:

      Was soll die Aufregung? Es dürfte kaum eine Szene geben die nicht unterwandert/gekauft ist.

      Von der Stasi lernen heisst spitzeln lernen.

    • @Chris Mahns:

      Gegenfrage: Kann man bei einem Radiosender überhaupt „schwere Straftaten“ verhindern?

       

      Was soll so ein Radiosender den tun? Jemand mit dem Sendemast erschlagen? Böse Dinge verbreiten? (Um dies zu „ermitteln“ genügt: einschalten)

       

      Ich habe mit der extremen linken Szene null-komm-null zu tun, aber das ist doch erkennbar Dünnsch...

  • "Die Ermittlerin soll zudem etwas getan haben, ... nämlich Rechtsverstöße zu begehen – schon indem sie für den Druck der Broschüre „Bewegungsmelder“ ohne Impressum verantwortlich war. " (sic!)

     

    Das ist jetzt aber nicht Euer Ernst, oder? LOL!

     

    Wie der Minister Höcherl (Musstdu googeln, Kai) kann sie ja "nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unterm Arm herumlaufen" (SCNR)