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Spaniens neues Knebelgesetz1.000 Euro Strafe für eine Demo

Das Demonstrieren wird in Zukunft teuer. Die Polizei kann jetzt nach Gutdünken empfindliche Geldbußen verhängen, „zur Sicherheit der Bürger“.

Das könnte künftig teuer werden: Teilnehmer einer spontanen Demonstration begehen nach dem neuen Gesetz eine Ordnungswidrigkeit. Bild: ap

MADIRD taz | Spaniens konservative Regierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy ist immer wieder Ziel massiver Proteste gegen die Sparpolitik. Jetzt soll damit Schluss sein. Dank der absoluten Mehrheit der Volkspartei (PP) wird das Parlament am Donnerstag ein „Gesetz zur Sicherheit der Bürger“ verabschieden. Vergehen im Rahmen von Protestaktionen, die bisher vor Gericht angezeigt werden mussten, werden dann zukünftig direkt von der Polizei als Ordnungswidrigkeit mit Bußgeldbescheid von bis zu 600.000 Euro geahndet.

Opposition, Anwälte und Menschenrechtsorganisationen sehen darin den Versuch, die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit weitgehend einzuschränken und Angst zu verbreiten. „Knebelgesetz“ nennen sie das Werk.

Wer künftig an einer von der spanischen Verfassung eigentlich geschützten spontanen Demonstration teilnimmt, um zum Beispiel die Zwangsräumung einer Wohnung zu verhindern, begeht eine leichte Ordnungswidrigkeit und muss mit einem Bußgeld von 100 bis 1.000 Euro rechnen. Weigert er/sie sich, einem Beamten den Ausweis auszuhändigen, kommen weitere 1.000 Euro hinzu.

Der Aufruf zu einem solchen Protest per Twitter oder Facebook kostet ebenfalls 1.000 Euro. Und kommt es bei der Protestaktion zu Ausschreitungen, dann wird die Teilnahme oder der Aufruf zu einer schweren Ordnungswidrigkeit und kostet bis zu 30.000 Euro. Wer sich nicht ausweisen will, passiven Widerstand leistet oder Polizeianweisungen nicht Folge leistet, dem droht die gleiche Strafe.

Auch Tweets kosten

Die Regierung möchte zudem verhindern, dass die oft völlig überzogenen Polizeieinsätze dokumentiert werden. Das Fotografieren und Filmen der Beamten oder die Veröffentlichung solcher Aufnahmen im Netz kostet künftig bis zu 1.000 Euro. Wer gegen Polizei und Staat twittert, darf wegen „Beleidigung“ mit 30.000 Euro rechnen.

Doch damit nicht genug. Wer etwa vor einem AKW demonstriert und dadurch nach Ansicht der Polizei „eine wichtige Infrastruktur gefährdet“, begeht eine sehr schwere Ordnungswidrigkeit. Das kostet 30.000 bis 600.000 Euro. Das gilt auch für Proteste am Vorabend einer Wahl. Das Protestcamp der Empörten in Madrid käme den Zehntausenden, die sich dort 2011 vor den Wahlen versammelten, heute teuer zu stehen.

Die Polizei wird ermächtigt, ein Archiv anzulegen. Denn wer drei leichte Ordnungswidrigkeiten in einem Jahr begeht, wird für eine schwere zur Kasse gebeten. Drei schwere werden zu einer sehr schweren. Außerdem kann ein Gericht bei einer schweren Ordnungswidrigkeit zusätzlich eine Haftstrafe von bis zu 9 Monaten verhängen. Bei einer sehr schweren Ordnungswidrigkeit gar bis zu einem Jahr.

Auch Einwanderer bekommen das neue Sicherheitsgesetz zu spüren. So wird der Grenzpolizei erlaubt, Flüchtlinge unmittelbar abzuschieben. Für das UN-Menschenrechtskomitee ist dies ein klarer Verstoß gegen internationales Recht, weil die Betroffenen keine Möglichkeit haben, einen Asylantrag zu stellen.

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13 Kommentare

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  • Ich finde das geradezu fantastisch, was ich da lesen muss.

     

    Ich hoffe, das lassen die Spanier sich nicht bieten.

     

    Und ich würde es sehr gut finden, wenn irgendwelche Repräsentanten der EU der spanischen Regierung mal ihr äußerstes Mißfallen über solche nordkoreanischen Strafdekaloge mitteilen könnten.

     

    30.000€, wenn der Regierung ein Furz nicht genehm war! 30.000€, weil einer sagte, der Schröder hat sich die Haare machen lassen und die Angie sich das Lächeln! (wären streng genommen schon 90.000€ Strafe!)

     

    Wer will die ganze Häme, Polemik, Wut, Auswurf, Satire, Zynismus, Hass usw. allein über dieses Gesetz rechtsstaatlich verfolgen können? Oder gibt es eine Rückkehr zur "älteren" Strafmechanik: wenn man ohnehin nur die Wenigsten kriegt, muss man an diesen Wenigen eben mit besonderer Härte die Schwere des Vergehens exemplieren. Wozu sonst bräuchte man einen 600.000€-Rahmen, wenn irgend einer auch nur wagt einen Feldweg zu besetzen?

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Angela Merkel wird sich sicherlich massiv bei ihrem konservativen Freund Rajoy dafür einsetzen, dass die Gewaltenteilung auch in Spanien geachtet wird. Genauso vehement und laut, wie sie es in Ungarn gemacht hat und genauso beharrlich wie sie es in China, Russland, USA und sonstwo immer wieder macht... Oder irre ich da??

  • Diese versuchten Einschränkungen der Versammlungsfreiheit in Spanien sind nichts Neues. Ich frage mich, wie die spanische Regierung solche Vorhaben trotz Ratifizierung der Europäischen Menschenrechtskonvention, durch die die Versammlungs- und Meinungsfreiheit geschützt ist und trotz Verfassungswidrigkeit durchsetzen kann.

  • PODEMOS wird das Gesetz hoffentlich nach den nächsten Wahlen abschaffen.

    • @Peter Osten:

      Podemos wird nicht an die Macht kommen - da machen sich die Sozialdemokraten lieber zum Steigbügelhalter, wie in Griechenland.

  • „Gesetz zur Sicherheit der Bürger“ — hätte sich George Orwell auch nicht besser ausdenken können. Spanien schafft die Demokratie ab.

     

    Gleiche Tendenzen wie in Ungarn, Großbritannien,... „peak democracy“ war tatsächlich irgendwann in den 90ern. Spätestens seid Sept-11 sind alle Dämme gebrochen...

     

    Bin ich naiv, wenn ich frage, ob der EuGH dieses Gesetzt nicht absehbar einkassieren wird?

     

    Dagegen sind deutsche Postdemokratiebestrebungen (wie die „Vorratsdaten“ genannte Totalüberwachung) ja geradezu grundechtskonform...

    • 3G
      3310 (Profil gelöscht)
      @FranKee 【Ƿ】:

      Naja ... SOOO lange haben sie die Demokratie ja noch nicht ...

  • Spanien 2014 auf dem direkten Weg nach "1984" ?

    • @APOKALYPTIKER:

      Eher zum neoliberalen Musterstaat: Protest muss man sich leisten können.

  • Die schleichende Refaschisierung Europas.

    • 9G
      970 (Profil gelöscht)
      @Dudel Karl:

      Ich stimme zu - aber es wird nicht mehr geschlichen!

    • @Dudel Karl:

      Ich hätte es "Putinisierung" genannt, aber der Unterschied existiert wohl nur auf sprachlicher Ebene - inhaltlich ist es dasselbe.

      • @HP Remmler:

        „Putinisierung“ klingt so, als wären wir „die Guten, im freien Westen, etc.“ darüber erhaben.

         

        Exakt das ist der Punkt. Demokratie und Bürgerrechte bröckeln auf der ganzen Welt. Woanders mögen Sie in noch schlechterem Zustand sein, genauso schlimm ist aber, daß die Vorbildnationen sich immer mehr versündigen.

         

        Allen voran die Folterführungsnation, unsere transatlantische Pfründschaft...