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Debatte Russland und die TürkeiEs geht nicht nur ums Gas

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Putin und Erdogan bilden eine neue geopolitische Achse gegen Europa. An dieser Opposition ist auch die westliche Arroganz schuld.

Zu Besuch: Putin bei Erdogan im Dezember 2014 in Ankara. Bild: reuters

A ls Wladimir Putin Anfang Dezember in Ankara das Aus der geplanten Gaspipeline South Stream verkündete, hielten das die meisten Kommentatoren in Deutschland für eine energiepolitische Nachricht. Viele sahen darin auch ein Eingeständnis, dass Russland die enormen Kosten, die der Bau der Gaspipeline durch das Schwarze Meer erfordern würde, offenbar nicht mehr stemmen kann. Sie lagen falsch.

Zweifellos ist die Ankündigung des russischen Präsidenten, keine Pipeline mehr nach Bulgarien und weiter in die EU bauen zu wollen, eine wichtige energiepolitische Entscheidung. Doch vor allem ist sie Indiz für eine grundsätzliche strategische Umorientierung Russlands, die auf neue/alte geopolitische Konstellationen hindeutet.

Es war kein Zufall, dass Putin sich für die Bekanntgabe des Aus für South Stream ein Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Ankara ausgesucht hat. Schon da deutete Putin an, dass der Kreml nicht ersatzlos auf South Stream verzichten will, sondern erwägt, statt Bulgarien die Türkei zum Umschlagplatz für russisches Gas zu machen.

Gazpromchef Alexei Miller hat das dann einige Tage später im russischen Fernsehen präzisiert. Russland will zukünftig die Türkei zu einem strategischen Partner für den Verkauf von russischem Gas machen. Man werde die begonnene Gaspipeline weiterbauen und dazu eine neue Firma gründen. Die wird dann eine Röhre unter dem Schwarzen Meer in die Türkei legen, durch die zusätzlich zu der bereits bestehenden, „Blue Stream“ genannten Gaspipeline von Russland nach Ankara, weitere 50 Milliarden Kubikmeter Gas jährlich in die Türkei gepumpt werden können. „Die EU“, so Miller, „sehe sich künftig dann dem neuen mächtigen Transitland Türkei gegenüber.“ Das werde die Türkei in die Lage versetzen, der EU gegenüber massiver auftreten zu können.

Ausgrenzung als gemeinsames Gefühl

Zusätzlich wollen Putin und Erdogan den Warenaustausch zwischen beiden Länder verfünffachen, und der mächtigste türkische Industriekonzern Koc kündigte an, man werde im kommenden Jahr den Bau einer großen Lkw-Fabrik in Russland beginnen.

Es geht also um den Beginn einer strategischen Partnerschaft zwischen zwei Ländern, die zwar in einigen Bereichen noch große Konflikte haben, die aber dennoch ein Grundgefühl eint: von der EU, von Europa ausgegrenzt und schlecht behandelt zu werden.

Die Geschichte der Annäherung zwischen Russland und der Türkei passt in die Diskussionen anlässlich des 100. Jahrestags des Beginns des Ersten Weltkriegs. Denn was jetzt passiert, führt in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurück. Jahrhundertelang war Europa mit dem russischen Zarenreich im Nordosten und dem Osmanischen Reich im Südosten mit zwei autokratischen, tendenziell reformunfähigen Militärmächten konfrontiert, die wie Russland in Polen und das Osmanisch Reich auf dem Balkan europäisches Kerngebiet erobert hatten und deren Ambitionen und Probleme mit zum Ersten Weltkrieg führten.

Zurück in die Betonzeit

Im Moment hat man den Eindruck, als säße man in einer Zeitmaschine. Russland fällt habituell und ökonomisch auf das Zarenreich zurück, und die einstmals säkulare, nach Westen ausgerichtete Türkei ist mit Macht dabei, ideologisch und außenpolitisch eine Rolle rückwärts zu den vermeintlichen glorreichen Zeiten des Osmanischen Reiches zu machen. Die Entwicklungen in Russland wie in der Türkei können ein enormes aggressives Potenzial entwickeln, das dem übrigen Europa große Schwierigkeiten bescheren kann, zumal wenn die beiden Länder sich zusammentun.

Dass es so weit gekommen ist, hat sowohl in Russland wie in der Türkei innenpolitische Gründe, aber eben nicht nur. Es ist auch ein Ergebnis einer sträflich ignoranten Politik Europas gegenüber der Türkei und einer genauso sträflich ignoranten und teils triumphalistischen Politik des Westens gegenüber Russland nach 1989. Wer heute die aggressive Politik Putins und Erdogans beklagt, darf über die Vorgeschichte nicht schweigen. Es gab in den neunziger und den beginnenden nuller Jahren für Europa sowohl gegenüber Russland wie auch gegenüber der Türkei ein „window of opportunity“, das nicht genutzt wurde.

Erdogan wollte in die EU

Die auf den Trümmern des Osmanischen Reichs gegründete Türkische Republik war von Beginn an der Versuch, Teil der „westlichen Zivilisation“ zu werden, wie Gründungspräsident Mustafa Kemal (Atatürk) es ganz offen formuliert hat. Auch wenn es jahrzehntelang nicht gelang, diesen Anspruch einzulösen, spätestens seit Mitte der achtziger Jahre waren alle türkischen Regierungen bis zu den Anfangsjahren von Erdogan ernsthaft bereit, das Land mit allen Konsequenzen in die EU zu führen.

Sie sind gescheitert an einer kulturalistischen, arroganten Debatte, die kein anderes Ziel hatte, als der türkischen Bevölkerung klarzumachen, dass sie eben nicht Teil der „westlichen Zivilisation“ sind. Das Ergebnis ist, dass Erdogan die Türkei nun mit großer Emphase und aggressiven Sprüchen gegen den Westen zum tragenden Bestandteil der „östlichen, muslimischen Zivilisation“ erklärt.

Mit Russland lief es nicht viel anders. Erst ließ man zu, dass das Land nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vom Raubtierkapitalismus gefleddert wurde, später speiste man Putin, der in seinen ersten Amtszeiten ja durchaus auf eine Zusammenarbeit mit dem Westen setzte, mit einigen Scheininstitutionen wie dem Russland-Nato-Rat ab. Eine neue Friedensordnung mit Russland konnte so nicht entstehen.

Dieses Geschichtsfenster zum Ausgleich jahrhundertealter Gegensätze zwischen dem westlichen Europa einschließlich Deutschlands auf der einen und Russland und der Türkei auf der anderen Seite scheint sich jetzt wieder zu schließen. Viele Leute in Deutschland spüren das und sind unglücklich darüber. Die ersten Verlierer sind die Menschen in Russland und der Türkei, die auf eine Demokratisierung im Innern durch eine enge Anbindung an Europa gehofft hatten. Wird aus dem verpassten Ausgleich eine dauerhafte Konfrontation, werden auch alle anderen EuropäerInnen dafür zahlen.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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31 Kommentare

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  • Wenn ich die Kommentare hier lese, merke ich, dass hier kein Autor gut wegkommt.

     

    Im Umkehrschluss heißt das wohl, dass sich die Taz an seine Leser anpassen muss und nicht wir an TAZ.

     

    Das Niveau der Kommentare ist schon wow...eigentlich könnte TAZ doch die Kommentare in Ihre Printausgabe mitberücksichtigen. Besser Kritik und dann noch umsonst bekommt man nirgendswo.

  • Unglaublich, was in Ihnen steckt an eurozentristisch-chauvinistischen Gedankengängen, Herr Gottschlich. Also die Türken hielten vor dem ersten Weltkrieg europäisches Kernland auf dem Balkan besetzt. Das trifft ja wohl auch auf die Habsburger zu. Warum waren die Türken für Sie schon damals keine Europäer, obwohl sie ja kräftig mitmischten im Geklüngel der europäischen Königshäuser. Und natürlich hat für Sie die Türkei mehr Schuld am ersten Weltkrieg als Deutschland. Man möchte fast die Hände über dem Kopf schlagen. Und Deutschland war natürlich keine "autokratische, tendenziell reformunfähige Militärmacht" wie die Türkei, was sich nicht nur an der militärischen Aufrüstung unter Kaiser Wilhelm, sondern auch daran zeigte, dass den Deutschen ein Weltkrieg einfach nicht ausreichte.

     

    Die Moderation: Kommentar gekürzt.

  • "Es war kein Zufall, dass Putin sich für die Bekanntgabe des Aus für South Stream ein Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Ankara ausgesucht hat."

     

    Nein, sicherlich kein Zufall. Die Türkei liegt am gegenüberliegenden Ufer des Schwarzen Meeres. :D

     

    "Zurück in die Betonzeit"

     

    Ja. Die Betonköpfe in der EU und den USA schwafeln von der "Isolation Russlands" in dem Irrglauben,USA und EU seien die ganze Welt. Aber die Welt hat sich gewandelt. "Schwellenländer" wie Brasilien, Indien, China, Iran, Südafrika und auch die Türkei haben die Schwelle bereits überschritten. Die Welt ist schon eine Multipolare. Der Glaube der USA und der EU, noch ihr Zentrum zu sein, fällt diesen gerade auf die Füße.

     

    Da hat die EU also Bulgarien gezwungen, gegen das eigene Interesse zu handeln und Southstream zu sabotieren. Es erweist sich, dass das vermeintliche Druckmittel gegen Russland keins ist, denn Russland hat - anders als die EU - Alternativen. Hier noch von "Ausgrenzung als gemeinsames Gefühl" (Russlands und der Türkei, andernorts "Allianz der Beleidigten") zu schwafeln, zeigt eine eurozentrische Weltsicht, die buchstäblich von gestern ist.

    • @h4364r:

      "Da hat die EU also Bulgarien gezwungen, gegen das eigene Interesse zu handeln und Southstream zu sabotieren." Nicht nur die EU, wurden die Bauarbeiten durch die bulgarische Seite tatsächlich erst gestoppt nachdem eine hochrangige US-Amerikanische Delegation um John McCain in Sofia zu besuch war.

  • "Jahrhundertelang war Europa mit dem russischen Zarenreich im Nordosten und dem Osmanischen Reich im Südosten mit zwei autokratischen, tendenziell reformunfähigen Militärmächten konfrontiert, die wie Russland in Polen und das Osmanisch Reich auf dem Balkan europäisches Kerngebiet erobert hatten und deren Ambitionen und Probleme mit zum Ersten Weltkrieg führten."

     

    Och, sind wir schon so weit?

    Ist die Debatte über die deutsche Kriegsschuld am ersten Weltkrieg schon abgeschlossen und die armen Deutschen sind völlig unschuldig?

     

    Evtl. gab es in Europa noch einen völlig reformunfähigen und autokratischen Herrscher über ein Land, das nur deshalb etwas besser gestellt war, weil sein Vorgänger etwas wirtschaftsliberaler waren. Ansonsten ist es blödsinnig, so zu tun, als wären die ganzen Kriege im Europa durch Preußen und später dann dem Kaiserreich schon Teil einer westlichen Zivilisation gewesen, die der Türkei und Rußland immer verschlossen blieb.

    Ohne den verlorenen Weltkrieg wäre hier auch keine demokratische Reform zustande gekommen.

     

    Und ist es ja letztlich auch nicht. Erst ein wenig nach einem zweiten verlorenen Weltkrieg.

    Wer ist hier Westen und wer ist hier reformunfähig?

  • Teil 1

    „Jahrhundertelang war Europa mit dem russischen Zarenreich im Nordosten und dem Osmanischen Reich im Südosten mit zwei autokratischen, tendenziell reformunfähigen Militärmächten konfrontiert, die wie Russland in Polen und das Osmanisch Reich auf dem Balkan europäisches Kerngebiet erobert hatten und deren Ambitionen und Probleme mit zum Ersten Weltkrieg führten.“

     

    Der Autor hätte gut daran getan, vor dem Schreiben dieses Artikels mal einen flüchtigen Blick ins Geschichtsbuch zu werfen. Schon die Aussage mit den „autokratischen, tendenziell reformunfähigen Militärmächten“ trifft nur unvollständig zu. Man denke nur an die „Jungtürken“. Besonders peinlich wird die Aussage wenn man bedenkt, dass mit dem deutschen Kaiserreich und der Habsburger Monarchie auch keine Musterländer der Demokratie und des gesellschaftlichen Fortschritts auf der anderen Seite standen. Auch so, die Seiten. Russland und das Osmanische Reich haben sich Jahrhunderte lang erbittert bekämpft und waren auch im 1. WK Gegner.

  • Teil 2

    Interessant wäre es für mich zu erfahren, wo denn das Osmanische Reich 1914 „europäisches Kerngebiet“ besetzt hielt. Der Kauf eines Atlanten wäre hier zu empfehlen. Der würde dann auch offenbaren, dass Polen auch nicht unbedingt „europäisches Kerngebiet“ (Definition?) ist. Und Polen war auch nicht von Russland erobert, sondern unter Russland, dem Habsburgerreich und Deutschland aufgeteilt. Also bitte nicht mit Steinen im Glashaus rumwerfen.

     

    Und um der Geschichtsverfälschung die Krone aufzusetzen sind es plötzlich „Ambitionen und Probleme“ der Russen und Osmanen, die für den 1. WK. Verantwortlich sind. Dabei war es ein vielschichtiges Geflecht von „Ambitionen“, das zum Krieg geführt hat. Ganz weit vorn der deutsch – französische Gegensatz. Oder die Balkanpolitik der Habsburger. Die russische Balkanpolitik hat zwar auch stark zum Kriegsausbruch beigetragen, aber deshalb ist das Land nicht alleinschuldig. Und die Osmanen waren nur Trittbrettfahrer. Wegen denen ist der 1. WK nun wirklich nicht ausgebrochen.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      ahem, hallo, '...mit zum...'.

      soll sozusagen heissen, einer von vielen

      • @popo:

        Ich kann Ihnen gerade nicht folgen...

  • Bemerkungen zur ideologisch konstruierten westlichen "Achse"

     

    Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Staaten liegen nicht nur im Interesse von Russland, ebenso im Interesse der Türkei. Deren "Ambitionen und Probleme" waren nicht ursächlich für den Ersten Weltkrieg.

     

    Nonsens: "Betonzeit". Die ideologisch weichgespülte "Betonzeit", sie geht auf die westlichen Nato-Staaten zurück. Sie dürfen die äußere Erscheinung der westlichen medialen Verschönerung nicht mit dem Inhalt verwechseln. Reale westliche Diversion von US-Nato-EU und deren XYZ-BND-Diensten, sollte man nicht als 'Freiheitsliebe' und 'Menschenrechte' verkaufen. Auch hier geht es den westlichen 'Demokratien' vorrangig um (imperiale) Einmischung und in Wahrheit zugleich um ökonomische Zugriffsrechte auf Bodenschätze und Rohstoffe, z. Z. vor allem gegenüber Russland. Auch in der Türkei gibt es für Wirtschaftsverbände noch viel zu holen.

     

    Richtig ist, im zweiten Teil Ihrer Ausführungen, die westliche arrogante Debatte, der pseudo-christlichen Stammtischparteien. Und zum Kuchen vom "Raubtierkapitalismus" russischer Prägung: der war für die westdeutschen, westeuropäischen und nordamerikanischen Wirtschafts- und Monopolverbände wohl zu klein.

     

    Berücksichtigen Sie auch die Tatsache, dass die westlichen Aktionär/innen der Rüstungsindustrien ein aktives Dividendeninteresse an einer "Konfrontation" haben. Die Postenjäger der GroKo, -- hinter der medialen Schönheits-Maske von Gauckscher und Merkelscher 'Demokratie', 'Freiheit' und 'Menschenrechte' --, sie sind ebenso an der Konfrontation interessiert, wie ihre zukünftigen Vorgesetzten und Großaktionäre in Wirtschaftsverbänden.

     

    Geopolitik ist vor allem handfeste Wirtschaftspolitik. Westliche Sprüche über 'Menschenrechte', sie richten sich vor allem an die bewusst dummgehaltene eigene christlich-bürgerliche Bevölkerung, so nicht nur in der BRD.

  • Europa macht sich doch mit der Politik gegen Russland zum Hinterhof der USA, der im Gegensatz zu früher nicht mal mehr gepflegt wird. Es ist für ein freies und erfolgreiches Europa unabdingbar sich selbst auf die Füße zu stellen.

     

    Jedoch mit der jetzigen Situation um Europa und den zukünftigen Wirtschaftsverträgen mit den USA kann ich beim besten Willen keine Besserung sehen. Die USA ist in allen belangen besser aufgestellt als die EU.

     

    Das ist kein Glücksspiel auf das sich hier Europa einläßt.

     

    Putin und auch Erdogan seine Leute sind alles andere Berufspolitiker, die sich nach dem Wind drehen sondern knallhart Ihre Interessen mit Ihren, lt. westlichen Medien, beschränkten Mitteln durchsetzen.

     

    Ich kann bezeugen und auch mich daran erinnern, dass bis 2005 keine Moschee sich auf dem Gelände der Nato in Brüssel befand, dagegen jedoch eine Synagoge(obwohl Israel nicht in der Nato ist.) Vieles was Sie, Herr Gottschlick, sagen trifft zu und ist nicht von der Hand zu weisen bezüglich der Türkei. Aber in der Sache bezgl. Erdogan und dem Westen sehe ich das ganz anders.

  • Davon abgesehen greift meines Erachtens auch die Analyse des zweiten, elliptisch in die Gesamtschau eingeworfenen Zeitfensters, zu kurz: eine Transition wie im postsowjetischen Russland hat in der Türkei so nicht stattgefunden, auch wenn es nicht unwahrscheinlich ist, dass der wenig diversifizierten türkischen Wirtschaft durch die gerade auf ihre Klimax zurasende Immobilien- und Finanzblase noch ein unvorhersehbares Transitionsschicksal bevorsteht. Dennoch kommt der Kern des Problems, immerhin diffus, irgendwie zum Vorschein: die Energieabhängigkeit Europas, vor allem Südosteuropas, von russischem und kaspischem Gas. Wer aber den Kern des Problems beschreiben will, täte gut daran, an der Kernprägnanz von den "Marginalen" aus zu arbeiten - waren es nicht oft die "Marginalen", die zentristische Ordnungen zum Wanken oder Einsturz brachten. Zu kurz kommt zum Beispiel, wo es der "Europäischen Union" sonst noch an Visionen mangelt: auf dem Balkan und im Kaukasus. Mein bescheidener Eindruck nach meiner Reise durch den "südlichen westlichen Balkan" ("Westlicher Balkan" an sich ist ein peinlich behelfsmäßiger Begriff, dem es an sich schon an jeder Randschärfe mangelt, da man sich fragt, was denn der nie erwähnte östliche oder südliche Balkan sein könnte) während der vergangenen Wochen ist, dass die EU kaum noch sichtbar ist. Makedonien etwa erscheint wie ein Annex der Türkei, und ich muss sagen, dass die Softpower der Türkei in den meisten Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens sehr erfolgreich und klug ist. Russland wiederum ist in Serbien sehr präsent, Bulgarien habe ich nicht bereist. Mein Résumé ist erst mal, dass die EU schlampig arbeitet, und das ist in diesem Fall fahrlässig.

  • Zuallererst sind die historisierenden Prämissen dieses Artikels eine Klitterung: Russlands (und Preußens!) Präsenz in Polen einerseits, und des Osmanischen Reichs auf dem Balkan als "europäisches Kerngebiet" andererseits, können auch mit viel Wohlwollen nicht als Parallele im Sinne des Autors gelesen werden. So waren Balkanstädte wie Edirne, Skopje und Prizren Jahrzehnte vor Istanbul osmanisches Kernland. Diese Auffassung des Raumes ist natürlich kein Zufall, und spiegelt nur noch einmal den containerhaften methodologischen Nationalismus, der selbst in der Islamwissenschaft oft noch zwischen konstruierten kulturalistischen Trennlinien teilt. Mir muss außerdem entgangen sein, dass "Europa" (als hätte es "Europa" als politisches Gemeinschaftsprojekt vor Ende des 2. Weltkrieges je gegeben?) "jahrhundertelang mit zwei autokratischen, tendenziell reformunfähigen Militärmächten konfrontiert" war, ohne die intensiven Beziehungen zwischen Preußen und den beiden "reformunfähigen Militärmächten" zumindest zu erwähnen - gerade auf dem Gebiet der Militärreformen, die in beiden (späten) Imperien ohne die Gesamtfiguration, wie bei Immanuel Wallerstein beschrieben, und besonders ohne Preußens Engagement, nicht zu verstehen sind. Man lese sich nur einmal kurz in das russische Militärvokubal mit all seinen deutschen Lehnübersetzungen ein, oder beschäftige sich mit Freiherr Colmar von der Goltz' Rolle in den spätosmanischen Militärreformen. Man hat sich eben NICHT nur konfrontativ gegenübergestanden, und es gäbe der Beispiele mehr.

  • "Mit Russland lief es nicht viel anders"? Das ist mir zu einfach. Russland ist bekanntlich weder EU-Beitrittskandidat, noch lassen sich die Beziehungen in anderen Bereichen so einfach vergleichen.

     

    Der entsprechende Absatz ist so dünn, dass ihn offenbar kein Redakteur gelesen hat. "Erst ließ man zu ..." Wer ist dieser Mann? Der EU-USA-Super-Kapitalist, der bekanntlich alle Fäden in seinen Händen hält?

     

    Putin hat man mit dem Russland-Nato-Rat abgespeist? Na, was wäre denn die Alternative. "Wir" schenken dem neuen Zar die Ukraine und bekommen dafür preiswert Gas? Imperialismus unter guten Freunden auf Kosten von unabhängigen Staaten schafft auf die Dauer keinen Frieden.

  • Irgendwie zum Lachen- wenn es nicht zum Heulen wär´...

    Da findet nun die überdrehte NATO und EU Ausweitung gen Osten,

    wie auch die- von Merkel/USA/EU/NATO betriebene - dumme Erneuerung des Kalten Krieges gegen Russland, die Antwort Russlands und der Türkei!

    (alles wegen dem Ukrainischen Disasterstaat, Krim Referendum, Donbass Chaos..) den dummen Sanktionen..

    Hoch soll sie Leben! Die politische Arroganz der deutschen Mutti ...

  • Was hier passiert ist die Neuorientierung Russlands in den Süden durchaus vergleichbar mit der EU bei der Aufnahme Griechenland oder Spaniens. Es ist eine traditionelle Neuorientierung in einen Raum dem viel zu wenig Beachtung geschenkt wurde. Putin und Erdogan machen die Pipeline ja auch um den Bosporus von vielen Tankern zu entlasten. Dort verdient die Türkei kein oder wenig Geld. Viele Beobachter gehen davon aus, dass die Türkei eine Freihandels-zone mit der Eurasischen Union realisieren wird. Mitgliedschaft eher nicht. Etwas ähnliches gilt auch für den Iran. Die Freihandelszone ist für die Türkei hoch lukrativ nimmt man China, Kazahkstan, Russland und den Iran ohne die kleineren Länder wie Turkmenistan oder Uzbekistan dann generiert dies Wachstum für mindestens 20 Jahre. Länder wie Uzbekistan sind interessant weil sie eine extrem geringe Verschuldung haben und sehr stabile Finanzen.

  • Also ich erinnere mich noch sehr gut an die Aufnahme Debatte um die Türkei und die EU war durchaus bereit Zugeständnisse an die Türkei zu machen und hätte sehr gerne die Türkei in die EU integriert, es gab blos einen großen Streitpunkt, die Menschenrechtsentwicklung in der Türkei.

    Die Aufnahme Debatte um die Türkei, war ausschieslich eine Debatte darum, ob man als 'innereuropäischen wichtige Werte' wie 'Mennschenrechte' und 'Freiheit' (was immer das sein mag) mit einer EU-Aufnahme weiter 'verraten' möchte, in der Hoffnung, dass es durch den Beitritt in der Türkei besser wird, oder soll man die Türkei erst dazu bringen innere Menschenrechtsprobleme in den Griff zu bekommen und sie dann aufnehmen. Eine schwierige Frage, bei der beide Antworten irgendwie falsch zu sein schein. Und deren lösung Europa nicht geschaft hat.

    Es stimmt auf jedenfall, das Europa mit den Türkei Beitritt eine Changse vertan hat, aber die Darstellung in diesen Artikel ist etwas zu einseitig.

    • @Wandel:

      -?- "die Türkei erst dazu bringen innere Menschenrechtsprobleme in den Griff zu bekommen"-?-

       

      Die Türkei??- Ach-!

      Die USA als Partner gehen wohl soweit ganz okay?

      Falscher Film- oder was?

      • @H-G.-S:

        Man sollte Äpfel nicht mit Flugzeugen vergleichen und den Belzebub nicht mit den Teufel rechtvertigen, noch Amerika Kritik mit Rechtsradikalität verwechseln.

        Also erstmal gab es (meines Wissens) keine Beitritsverhandlungen zwischen den USA und der EU. Man sollte klar Unterscheiden zwischen Ländern die unsere Pertner sind, wie bis vor kurzen die Türkei und Länder die ein fester Politischer Bestandteil Europas sind.

        Desweiteren sind die Menschenrechts verletzung in der Türkei und in Amerika von völlig unterschiedlicher Dimension und schwer vergleichbar, aber das tut nichts zur Sache. Sollte die EU die Verletzungen der Menschenrechte in der Türkei strenger Bewerten als in der USA (was ich nicht weiß) ist die Folge nicht die Türkei weniger streng zu bewerten, sonderen die USA strenger.

        Desweiteren ist es sehr interesannt, dass du nicht das tatsächliche Beispiel Italien gennant hast, sonderen dich sofort auf ein wirres Feindbild USA eingeschossen hast. Das zeigt sehr viel von deiner Politischen Bildung und einstellung. Die liberalle haltung der EU gegenüber der mafiosi gesteuerten pseudo-demokrati in Italien ist scharf zu verurteilen!

        Desweiteren habe ich in der Beitritsdebatte um die Türkei keine Position bezogen, auser dass die EU sie verzockt hat, ich wollte nur auf die verzwickte Lage aufmerksam machen, welche in den Artikel arg einseitig dargestellt wurde.

        • @Wandel:

          -?-„nicht die Türkei weniger streng zu bewerten, sondern die USA strenger.“-?-

          Hier nähern wir uns mglw. an:

          -------

          -?- „wirres Feindbild USA“-?-

          Hier müsstest du eine konkrete Herleitung bzw. Belegbarkeit hinsichtlich der „Wirrnis“ meines Standpunktes noch näher erklären. Weil das, was du anführst, hinsichtlich „Feindbild“, unwidersprochen korrekt ist (weltweite Menschenrechtsverletzer nämlich das Gegenteil von meinen Freunden sind), -hinsichtlich des wirr seins, müsstest du es ja wohl zunächst erst mal stringent entkräften können.- Und sowas nachgerade, bei den momentanen Ausbrüchen der gezeitigten Gesamtverhältnisse in den USA.

          -------------

          -?-„mafiosi gesteuerten pseudo-demokrati in Italien ist scharf zu verurteilen!“-?-

          Sehe ich sehr wohl genau so wie du es hier für dich äußerst.

          Aber auch du hast mit der Türkei ja ein Land angesprochen, das nicht zur EU gehört. Italien z.B. gehört ja nunmal dazu.

          • @H-G.-S:

            Zu einem Komentar, welches über die Beitritsverhandlungen der Türke geht einen vergleich zu den Menschenrechtsverletzung in der USA zu ziehen ist im bestenfall Äpfel mit Flugzeuge zu vergleichen, im schlimmsten Fall rechte Antiamerikanische Hetze.

            Hätte dein Satz gelautet:

            "Die Türkei??- Ach-!

            Italien gehen wohl soweit ganz okay?

            Falscher Film- oder was?"

            statt

            "Die Türkei??- Ach-!

            Die USA als Partner gehen wohl soweit ganz okay?

            Falscher Film- oder was?"

            Dann wäre dass durchaus ein guter Punkt gewesen, aber so ist das ganze einfach nur Antiamericanismus vom feinsten.

            • @Wandel:

              Da ich zu all dem schon in meiner vorigen Antwort Stellung genommen hatte, bleibt mir nur festzustellen, dass du mich nicht verstehen willst.- Nicht etwa weil ich dich für zu dumm halte, sondern für instrumentell unverrückbar festgelegt erkenne.-

               

              Etwas Formales:

               

              Dein Deutsch ist soweit ganz okay, aber in deiner ersten Antwort habe ich Verständnisschwierigkeiten mit folgender Textstelle:

              „Man sollte klar Unterscheiden zwischen Ländern die unsere Pertner sind, wie bis vor kurzen die Türkei und Länder die ein fester Politischer Bestandteil Europas sind.“ -Hier wäre meine Frage nach dem Sinnzusammenhang des „wie bis vor kurzem die Türkei“??

              ---------

              Und in deiner jetzigen Antwort benutzt du den Begriff „rechte Hetze“-?- Meinst du damit „rechte“ im synonymen Gebrauch von „so richtige“ oder im politischen Kontext „rechtradikal“?

    • @Wandel:

      "Also ich erinnere mich noch sehr gut an die Aufnahme Debatte um die Türkei und die EU war durchaus bereit Zugeständnisse an die Türkei zu machen und hätte sehr gerne die Türkei in die EU integriert" Ich frage mich welche Zeitung Sie gelesen haben, Welche Zugeständnisse man immer bereit war zu machen, es war immer nur diplomat. Geplänkel. Die taz war freilich immer dafür, aber es war immer klar, dass maßgeblich die CDU einschließlich Mutti ("priviligierte Partnerschaft" wurde von allen immer als besserer Korb verstanden) immer dagegen war, unvergessen die Worte Kohls von Anatolien, dass nun mal nicht zu Europa gehört. etc etc. und auch anderenorts in Europa soll es Länder gegeben haben, die dagegen waren, auch geostrategisch und wirtschaftlich war diese ablehnende Haltung immer sträflich ignorant, es war oder ist nur noch eine Frage der Zeit bis sich die Türkei der Schaffung eigener Wirtschaftskooperationen (nach dem Vorbild der EU?) im Nahen Osten zuwendet. Im Moment sieht das Umfeld dafür noch reichlich düster aus. Vllcht ist also noch nicht alles zu spät, für die EU umzudenken. Natürlich kann es keinen Beitritt um jeden Preis geben, Demokratie u Rechtstaat müssen sein, aber bis vor ein paar Jahren sah es so aus, als ob sich dahin doch zumindest ein positiver Trend abzeichnete, trotzdem waren immer ätzende Kommentare aus CDU u v.a. CSU zu vernehmen die sich vornehmlich am Islam festmachten u nicht etwa an Menschenrechtsdefiziten, dass die Turkophobie (die anders als die neue Russenfeindlichkeit nie ein Hirngespinst war) auch die einfachen Türken hier u in der Türkei enttäuschte kann man sich vorstellen.

    • @Wandel:

      Man wollte die Türkei nicht mit viel liberaleren Regierungen. Ohne die Problematik der Cypern Frage in den Vordergrund zu stellen. Jetzt haben Russland und die Türkei Regierungen die man durchaus mit Kanzler Erhard aus den 50igern vergleichen kann mit stabilien Finanzen und klaren Mehrheiten. Die EU und deren Kommisision hat versagt in beiden Fällen und ein finanzielles Fiasko für Europa angerichtet.

      • @Sierra :

        Das die EU die Annäherung der Türkei an Europa verzockt sieht man ja eindeutig. Ohne die Cypern oder PKK frage zu diskutieren wollte ich darauf hinweisen, dass die Debatte um den EU Beitritt der Türkei nicht so einfach war und es trotz aller Bemühungen Grundlegende Probleme gab.

  • Hmmm... meine meinung nach, reden wir hier von zwei Diktatoren. Das deren Länder für Europa wichtig sind, ist klar. Aber für die beiden geht ohne Europa auch sehr wenig.

     

    Nur, die Bevölkerung diese Länder müssen im Vordergrund stehen - und nicht zwei korrupte, elitären Gruppen angeführt von diese zwei Männer.

    • @anton philips:

      Wer bei diesen beiden Ländern von Diktatur spricht war nie dort und hat keine Ahnung was eine Diktatur ist.

      Diese Länder sind nicht konservativer als Deutschland 1950 und da hätte auch niemand von Diktatur gesprochen.

      • @Sierra :

        Ah ja - und Sie wollen ein Land unter Besatzung nach der schlimmste Verbrechen der menschliche Geschichte, und das von 65 Jahren, mit Russland und die Turkei heute vergleichen?

        Das sagt alles.

        Und ich war dort - mehrmals. Wir haben nur aufgehört zu versuchen mit korrupte Systemen Geschäftsbeziehungen aufzubauen.

        Ach so- und in 1950 waren Sie erfahren genug um Deutschland zu bewerten?

        Wie alt sind Sie denn?

      • @Sierra :

        @Sierra - es gibt sicherlich unterschiedliche Diktatoren - Putin und Erdogan gehören sicherlich in die Kategorie "smarter Diktator" aber letztendlich zeigt das Verhalten der beiden deutliche Zeichen einer Diktatur.

        Übrigens im Gegensatz zur Adenauer Regierung.

        • @Theo Rhie:

          Ja, die 1950er Jahre in (West-)Deutschland... Schon mal was vom KPD-Verbot gehört?

      • @Sierra :

        Die Zeiten und ihre Standards ändern sich eben, zu Zeiten irgendw Friedrichs oder Wilhelms hätte man auch ganz andere Regime als Despotien bezeichnet, nach heutigen Maßstäben, waren sie natürlich auch ebensolche. Aber auch Adenauer u Erhardt wären in den 50ern nicht als Demokratien angesehen worden, wenn Sie wie Putin jetzt, wieder zu kriegerischen Landnahmen übergegangen wären (mal abgesehen davon dass Dtl nach dem letzten verlorenen Krieg ohnehin besetzt u geteilt war). Und von massenhaften Inhaftierungen von Journalisten u Regimegegnern wie in RU u Trk heute ist mir aus der Adenauerzeit auch nichts bekannt (auch wenn es sicher schwarze Flecken gab, aber den Vergleich mit Putin u Erdogan halten sie sicher nicht stand)