Kolumne Geht´s noch?: Nicht spritzen, nicht atmen
Mieter sind nur noch Verwohner. Immer öfter versuchen Vermieter in privateste Abläufe und Gewohnheiten einzugreifen. Diesmal: aufm Klo.
P inkeln im Stehen – von mir aus. Pisseflecken auf dem Marmorfußboden – auf gar keinen Fall. So in etwa darf man die Klage verstehen, die ein Düsseldorfer Vermieter angestrengt hatte. Weil der Mieter (man darf hier von einem männlichen ausgehen) mit seinen Urinspritzern den sauteuren Marmorboden im Bad befleckt hatte, wollte der Immobilienbesitzer (möglicherweise aber auch eine Besitzerin) 2.000 Euro von der Kaution einbehalten.
Das Gericht sah das anders. Stehpinkeln gehöre zum vertragsgemäßen Gebrauch einer Mietwohnung, befand der Richter. Dass die Urinspritzer den Schaden verursacht hätten, sei nachvollziehbar und glaubwürdig. Das helfe dem Vermieter aber nicht.
Zum Glück. Denn machen wir uns nichts vor – die Sache mit dem Stehpinkeln in privaten marmorierten Bäderlandschaften wäre gedanklich ausbaubar. Was sollte den Vermieter eines topgepflegten Reihenhaus in, sagen wir, Bad Oyenhausen künftig davon abhalten, seine olivgrünen Strukturfliesen aus den Siebzigerjahren vertraglich gegen Zahnpastaspritzer abzusichern?
Und erst all die schönen Einbauküchen. Eine naheliegende Idee wäre, Mietern künftig das Steakbraten zu untersagen. Immerhin könnte die Furnierverkleidung leiden. Oder Mieter würden verpflichtet, nur noch zusammengekrümmt zu duschen. Schließlich möchte man vermeiden, dass Duschvorhänge oder -trennwände mit Dübeln oder Schlimmerem in der Badezimmerwand befestigt werden.
Nicht spritzen. Nicht rauchen
Der Versuch, qua Besitzstand in privateste Abläufe und Gewohnheiten vorzudringen, ist eine sich unangenehm verbreitende Unsitte unserer Tage. Nicht spritzen. Nicht rauchen. Demnächst: Nicht mehr atmen. Und wenn doch, dann nur zu vertraglich festgelegten Zeiten.
Leuten wie dem erbosten Vermieter kann man nur raten, nicht ausgerechnet Marmor zu verlegen, wenn er nicht möchte, dass dort Menschen leben. Außerdem ist das Zeug unnötig teuer. Schöne, wenngleich trostlose Baumarktfliesen gibt’s bei Bauhaus schon für 5,50 Euro pro Quadratmeter.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen