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NSU-Prozess in München„Richtige“ und „falsche“ Opfer

Beate Zschäpes Anwälte wollen nicht alle Opfer des Anschlages in der Kölner Keupstraße anerkennen. Wer unverletzt blieb, sei nicht betroffen.

Beate Zschäpe zwischen ihren Anwälten Anja Sturm und Wolfgang Heer. Bild: dpa

MÜNCHEN taz | Die Entscheidung des Oberlandesgerichts München steht noch aus: Im NSU-Verfahren stellte in der vergangenen Woche die Verteidigung der Hauptbeschuldigten Beate Zschäpe den Antrag, die Zulassung der Nebenklage von Sermin S. zu widerrufen und damit ihren Rechtsanwalt Alexander Hoffmann aus dem Verfahren zu werfen. S. hatte den Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße miterlebt. Die Antragsbegründung von Zschäpe-Verteidiger Wolfgang Heer: Das Opfer Sermin S. sei kein Opfer.

Am Dienstag widersprach allerdings die Bundesanwaltschaft diesem Antrag. Dass die Frau in ihrer Wohnung unverletzt geblieben sei, ändere nichts an ihrem Recht, als Nebenklägerin aufzutreten, sagte Staatsanwältin Anette Greger. „Bestimmend ist der Vorsatz der Täter.“ Gül Pinar, die die Familie eines weiteren NSU-Opfers vertritt, erklärte zudem, dass der „Anschlag als Hassverbrechen zu bewerten sei“.

Der Antrag der Verteidigung kam nicht unerwartet. Knapp anderthalb Stunden hatte Ende Januar der Therapeut von Sermin S. über ihre psychischen Verletzungen ausgesagt. Offen zweifelte die Verteidigung von Zschäpe an, dass durch den Nagelbombenanschlag am 9. Juni 2004 die damals schwangere 27-Jährige an Panikattacken und Angstzuständen leiden würde.

In ihren ersten therapeutischen Sitzungen hatte sie den Anschlag nämlich nicht erwähnt. Dem Antrag schoss sich die Verteidigung des Mitbeschuldigten Ralf Wohlleben an, der eine der Mordwaffen mitorganisiert haben soll.

„Monstrosität des Anschlags“

„Dieser Antrag will zwischen ’richtigen‘ und ’falschen‘ Opfern unterscheiden“, sagt Hoffmann. Am Dienstag führte er aus, dass die Verteidigung von Zschäpe ausblende, dass das NSU-Kerntrio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Zschäpe mit der Bombe, gefüllt mit über 700 Zimmermannsnägeln, möglichst viele Menschen töten wollte. Seit der ersten Vernehmung der Opfer des Bombenschlags am 20. Januar sei „die Monstrosität des Anschlags“ überdeutlich geworden. 22 Menschen wurden durch die Bombe teilweise lebensbedrohlich verletzt.

Am Tag des Anschlags befand sich Sermin S. im hinteren Teil ihrer Wohnung in der Straße, in der die Bombe auf einem Fahrrad abgestellt war. Sie spürte die Wucht der Explosion. In den vorderen Teil der Wohnung drangen durch das Fenster Nägel der Bombe ein. Der Schock kam, als S. auf die Straße ging, wo blutüberströmte Menschen lagen, saßen, umherliefen. Ihr Kind kam 18 Tage vor dem erwarteten Termin zur Welt.

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15 Kommentare

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  • Diejenigen, welche glücklicherweise nicht verletzt wurden, hätten es sein können. Daher haben sie ein Recht auf Nebenklage.

    • @aujau:

      Mit der "GEZ"- Logik kann auch jeder Zeugungsfähige Kindergeld beantragen1

  • Ein perverser Antrag der Verteidigung. Nur weil man "nur" psychisches Opfer war, heißt das nicht, dass man kein Opfer der Nägel ist.

     

    Würde bei mir in unmittelbarer Nähe eine Bombe explodieren, hätte das sicher auch Auswirkungen.

     

    Leider spielen die Anwälte hier mit dem Problem vieler psychisch erkrankter und in dem Fall geschädigter Opfer, die erstmal nachweisen sollen, dass sie ein Problem haben. Was man nicht sieht ist scheinbar auch nicht da.

     

    Ich finde das Vorgehen Menschenverachtend.

    • @Sascha:

      Menschenverachtend und töricht ist bestenfalls Ihr Kommentar!

       

      Es ist erstmal, ganz altmodisch eben, zu beweisen das hier ein Kausalzusammenhang vorliegt.

       

      Und Spekulationen sind kein Ersatz für Sachbeweise, es sind noch nicht mal Indizien.....

       

      Was Sie da betreiben bewegt sich auf dem Niveau eines Hexenprozesses!

      • @KarlM:

        Das Niveau Ihres Kommentares sagt auch sehr viel aus... aus Sicht der Psychoanalyse

        • @noevil:

          Was Sie da hereingeheimnissen ist mir ziemlich gleichgültig.

           

          Es ist angesichts der sehr komplexen Problematik im NSU-Komplex - Verfahren nicht angezeigt durch unklare Kriterien eine ganze Folge von Revisionsgründen in das Verfahren einzubringen!

           

          Hier sollen Tatbeteiligung und "Schuld" aufgeklärt werden, da ist es nur billig auch strenge Maßstäbe an die Auswahl der Nebenkläger zu legen.

           

          Sinnlose Gefühligkeit ist unzweckmäßig und begünstigt nur einen Freispruch der Z. "mangels Beweisen"...

          • 6G
            65572 (Profil gelöscht)
            @KarlM:

            ... und um diesem Freispruch "mangels Beweisen" vorzubeugen beantragt die Verteidigung Zschäpes den Auschluß von Nebenklägern?

            • @65572 (Profil gelöscht):

              Es geht um die Vermeidung von Revisionsgründen. Ist das so schwer zu verstehen?

              • 6G
                65572 (Profil gelöscht)
                @KarlM:

                Ja, ist es, lassen Sie uns bitte an Ihrem Wissen teilhaben.

                - Wer will hier konkret Revisionsgründe vermeiden?

                - Wie lassen sich Revisionsgründe durch den Antrag der Verteidigung vermeiden?

  • Aus Perspektive der STOP ein fragwürdiger Vorgang: Die wundersame Geschädigtenvermehrung ist in der Form eine ziemliche Zumutung.

    Denn für die Zuerkennung des Geschädigtenstatus ist auch von der STOP ein Kausalzusammenhang nachzuweisen. Heir wird eine Korrelation präsentiert, auf den Kausalitätsnachweis wird elegant verzichtet.

     

    Es empfiehlt sich auch den Sachverhalt der Waffenbeschaffung durch den W. etwas realitätsnäher darzustellen: Derzeit kann davon ausgegangen werden das der W. eine Kurzwaffe beschafft haben könnte. Ob das auch die Tatwaffe, oder ein baugleiches Modell war, das ist bisher nicht erwiesen. (Zur Erinnerung: an der sichergestellen CZ 83 und am SD fanden sich weder Spuren der mutmaßlichen Täter, noch der Opfer oder des W.!

    • @KarlM:

      Korrelation aber keine Kausalität? Wie soll die denn aussehen? "Ein Dritter hat sowohl das Bombenlegen als auch das Trauma der Frau verursacht?" klingt ziemlich unglaubwürdig.

       

      Davon abgesehen, wenn eine junge Frau nach dem Mitlerleben eines Bombenanschlags urplötzlich stark traumatisiert Angstzustände und Panikattacken erleidet die vorher nie da waren, ist der Kausalzusammenhang so plausibel wie er eben sein kann. Ein Restzweifel ist natürlich nicht auszuschließen, aber das ist er in der Praxis nie.

      • @winter:

        Fall Sie es übersehen haben: "Wir" stehen bei der USBV-Keupstrasse vor ziemlichen Problemen!

        Einmal ist weder bekannt wer diese USBV konstruiert, noch wer sie abgelegt oder gar wer diese USBV wie tatsächlich ausgelöst hat!

         

        Bisher sind allein dünne Indizien zum Ablegen der USB vom GBA vorgestellt worden. Die bisher unzureichend waren, da die mutmaßlichen ABleger drauf nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu identifizieren sind.

         

        Und auf den Spuren der USBV-Fragmente sind weder DNA noch andere Spuren des Trios vorhanden.

         

        Zudem ist es weniger bedeutsam wie sehr die mutmaßliche Geschädigte nur tatsächlich geschädigt wurde, als das dieser erlittene Schaden eben soweit möglich gerichtsfest zu machen ist!

        PTBS Bescheinigung geht in anderen Fällen doch auch!

    • @KarlM:

      Soll natürlich StPO heißen.

  • Ohne eine gründliche Entnazifizierung der Justiz, der Polizei und anderer involvierten Behörden (und auch der Gesellschaft) wird dieser erbärmlicher Rassismus, der verdeckte Antisemitismus und der längst salonfähige Rechtsextremismus in Deutschland niemals abnehmen! Welche Partei hat die Courage dies so zu erkennen und dagegen richtig anzugehen? Bisher keine Einzige!

    • @Malcon Gandie:

      Sinnloses Geschwätz! Was genau hat das mit der "wundersamen Geschädigtenvermehrung" beim "NSU"-Verfahren zu tun?