Kommentar Verfassungsschutz und NSU: Ungeheuerlicher Verdacht

Der Verdacht der Vertuschung von NSU-Verstrickungen in Hessen wiegt schwer. Er wird ein Härtetest für die Koalition aus CDU und Grünen.

Der Name Halit Yozgat auf einer Gedenktafel für die NSU-Opfer in Kassel Bild: dpa

Längst nicht nur Verfassungsschützer würden drei Jahre nach dem Auffliegen des NSU gern endlich dieses hässliche Kapitel schließen und zum Alltag zurückkehren. Selbst führende Köpfe der hessischen Grünen versicherten noch vor wenigen Tagen, zum Kasseler NSU-Mord sei doch inzwischen nichts großartig Neues mehr zu erwarten.

Für den Untersuchungsausschuss im Landtag mochten sie nicht mal mehr aus Respekt vor den Opferfamilien votieren, denen man einst schonungslose Aufklärung versprochen hatte. Die neuen Indizien rund um den Mord an Halit Yozgat demonstrieren drastisch, wie kurzsichtig und falsch diese auf den schwarz-grünen Koalitionsfrieden ausgerichtete Position war.

Auf dem hessischen Verfassungsschutz liegt ein ungeheuerlicher Verdacht der Verstrickung und Vertuschung. Ein leitender Beamter soll seinem ins Visier der Ermittler geratenen Kollegen am Telefon zugeraunt haben, er dürfe doch bitte nicht an einem potenziellen Tatort vorbeifahren, „wenn er weiß, das irgendwo so etwas passiert“. Heißt das: Der Verfassungsschutz wusste von einem weiteren drohenden rechtsterroristischen Mord und schaute lieber zu, statt ihn zu verhindern?

Diese Vermutung ist so atemberaubend, dass Ignorieren und Kleinreden nicht mehr helfen. Ein solcher Verdacht verflüchtigt sich nicht von selbst, er haftet an der hessischen Behörde und dem gesamten Inlandsgeheimdienst, solange er nicht minutiös aufgearbeitet ist.

Politisch ist der hessische Fall besonders brisant – schließlich stand hinter der systematischen Verschleierungstaktik in Hessen kein Geringerer als Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU), der damals als Innenminister seine schützende Hand über den Verfassungsschutz hielt. Inzwischen regiert er mit den Grünen – und der NSU-Komplex droht zum ersten Härtetest für die Koalition zu werden. Denn die Grünen können nicht länger auf Befindlichkeiten des Koalitionspartners Rücksicht nehmen. Sonst machen sie sich selbst unmöglich.

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Jahrgang 1974, ist Parlamentskorrespondentin der taz. Zuvor hat sie als Reporterin und Inlandsredakteurin für die Zeitung gearbeitet. Sie war Stipendiatin des Netzwerks Recherche und erhielt für ihre Recherchen über Rechtsextremismus unter anderem den Theodor-Wolff-Preis. Schwerpunkte ihrer Berichterstattung sind die Piratenpartei, die CDU und das Thema Innere Sicherheit. Autorin der Sachbücher „Heile Welten. Rechter Alltag in Deutschland“ und „Piratenbraut. Meine Erlebnisse in der wildesten Partei Deutschlands“.

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