Der „Friedenswinter“ hat Probleme: Finger weg von Elsässer
Aktivisten ziehen in Frankfurt Bilanz des „Friedenswinters“. Der Gesprächsbedarf ist groß. Ganz knapp verhindert die Versammlung einen Eklat.
FRANKFURT/MAIN taz | Die Abstimmung, die vieles verdeutlicht, beginnt um 15.27 Uhr – und dann findet sie plötzlich doch nicht statt. Aber das ist eine Sache für später. Denn die erste Frage muss heute lauten: Darf die taz überhaupt über diese Abstimmung schreiben? Darf sie wiedergeben, was ist? Darf sie es einordnen?
Es ist Abrechnungsstunde Samstag in Frankfurt, Saalbau Bockenheim. Teile der Friedensbewegung, 140 Menschen, sind hier versammelt, um über den sogenannten „Friedenswinter“ zu reden. Lars Mährholz, einer der bekannten Redner der umstrittenen Mahnwachen-Bewegung, sitzt im Publikum, auch die Aktivistin und Russia-Today-Mitarbeiterin Lea Frings, die Linkspartei-Abgeordnete Inge Höger sowie Friedensaktivisten wie Reiner Braun (Ialana), Wiltrud Rösch-Metzler (Pax Christi) oder Monty Schädel (DFG-VK). Schädel hatte am Freitag in einem taz-Interview die Versammlung aufgefordert, sich klar von rechten Rednern zu distanzieren und den „Friedenswinter“ zu beenden. Dafür wird er hier nun angegriffen.
Der „Friedenswinter“ hat ein Problem. Medien berichten negativ über die Kampagne, mit der etablierte Organisationen der Friedensbewegung versuchen, wieder mehr Menschen zu erreichen. Ende 2014 riefen sie gemeinsam mit der umstrittenen Mahnwachen-Bewegung auf die Straße. Aktivisten thematisierten ihre Bedenken im Hinblick auf Redner, die anschlussfähig sind für antisemitische Erzählungen und pauschale Erklärungsmuster. Auch die taz berichtete darüber – meist kritisch.
Nun soll die Linke-Politikerin Christiane Reymann mal das Problem mit den Medien erklären. Reymann kennt nur einen Bösen: „Die Kampagne [der Zeitungen, d. Red.] gegen den Friedenswinter ist so perfektioniert und verfeinert worden, dass die kritischen Stimmen innerhalb der Friedensbewegung, also die Zeugenschaft von innen, von Anfang an eine ganz wichtige Rolle gespielt haben.“ Es beginnt interessant zu werden hier in Frankfurt: Zwischen Außen- und Binnenwahrnehmung liegen offenbar Welten.
Aufgeheizte Stimmung
Dann kommt von Reymann noch etwas Selbstkritik: Dass der umstrittene Ken Jebsen, den viele hier offenbar verehren, im Zusammenhang mit dem Israel-Palästina-Konflikt von der „Endlösung“ gesprochen habe, sagt sie, sei eine „sehr unglückliche Formulierung gewesen“.
Allen im Raum ist klar: Es gibt massiven Gesprächsbedarf. Deshalb gibt es dieses Treffen doch eigentlich. Und tatsächlich bemüht sich der Friedensaktivist Reiner Braun, ein Unterstützer des „Friedenswinters“, darum, die Wogen zu glätten. Die Stimmung ist aufgeheizt. Was ist, fragt einer, überhaupt eine rechte Position? Es gibt zumindest eine rote Linie, die der „Friedenswinter“ für sich definiert: Finger weg vom einschlägigen Rechtspopulisten und Compact-Herausgeber Jürgen Elsässer. Und weil gerade eine Hamburger Mitstreiterin doch auf einer Demo sprach, bei der auch Elsässer auftrat, wurde hier in Frankfurt ein von ihr geplanter Workshop folgerichtig wieder gestrichen.
Doch nun rebelliert die Basis. Ein Mann stellt den Antrag, dass der Workshop stattfinden müsse. Ist es wirklich so schlimm, dass eine von uns mit Elsässer auftrat? Es ist 15.27 Uhr, es wird abgestimmt. Im Saal herrscht Patt.
Gut die Hälfte der Anwesenden hat offenbar kein Problem mit dem Elsässer-Vorfall. Nur Sekunden bevor die Stimmen ausgezählt sind, zieht der Mann seinen Antrag zurück. Es wäre ein deutliches Zeichen gewesen, wenn selbst der Minimalkonsens, keine Nähe zu Elsässer zuzulassen, nicht mehr gegolten hätte. Weil die Auszählung abgebrochen wird, bleibt der Eklat schließlich aus.
Oder ist es vielleicht trotzdem einer? Die taz, ganz selbstkritisch, will dazu keine Meinung vorgeben. Anschließend sind viele irritiert, das Meinungsbild ist gespalten. Wie und ob es mit der noch bis Mai geplanten Kooperation mit dem „Friedenswinter“ weitergeht, soll jetzt eine Arbeitsgruppe ermitteln. Sie nennt sich „Arbeitsgruppe Zukunft“.
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