piwik no script img

Kommentar Protest gegen BraunkohleWo sind die 99,9 Prozent?

Malte Kreutzfeldt
Kommentar von Malte Kreutzfeldt

Anders als das Atomthema hat der Kohleprotest kaum größere Massen auf die Straße gebracht. Ein strukturelles Problem, das sich langsam ändert.

Engagiert, aber nur in kleinen Gruppen: Braunkohle-Protest im Hambacher Forst in NRW. Bild: dpa

D ie Fakten sind eindeutig: Braunkohle ist mit Abstand der umweltschädlichste Energieträger in Deutschland. Beim obertägigen Abbau werden ganze Landstriche zerstört. Beim Verbrennen entstehen Schadstoffe, die jedes Jahr zu mehreren tausend vorzeitigen Todesfällen führen. Braunkohlekraftwerke stoßen pro Kilowattstunde Strom weit mehr klimaschädliches Kohlendioxid aus als Steinkohle- oder Gaskraftwerke. Und zur Ergänzung der schwankenden Einspeisung aus Wind und Sonne sind sie wegen ihrer geringen Flexibilität kaum geeignet.

Dennoch war Braunkohle lange Zeit sakrosankt. Egal, wer in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg regierte – die Bagger fraßen sich weiter durchs Land; neue Kraftwerke gingen ans Netz. Auch die Bundesregierung traute sich lange nicht an das Thema heran. Erst als klar war, dass die deutschen Klimaziele andernfalls auf keinen Fall zu schaffen sind, hat SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel einen Vorschlag vorgelegt, der zumindest den ältesten Braunkohlekraftwerken Auflagen macht, die ihre Betriebsdauer ein wenig reduzieren dürften.

Doch selbst gegen diesen Plan, der angesichts der Dimension des Problems eher zaghaft erscheint, laufen die betroffenen Bundesländer und die Konzerne RWE und Vattenfall Sturm. Unterstützt werden sie dabei nicht nur von der traditionell kohlefreundlichen Energiegewerkschaft IG BCE, sondern auch von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Für deren Chef Frank Bsirske zählen die 0,1 Prozent seiner Mitglieder, die schätzungsweise in Braunkohlekraftwerken arbeiten, offenbar mehr als die 99,9 Prozent, die unter deren Auswirkungen leiden.

Hier zeigt sich ein strukturelles Problem: Während die zahlenmäßig wenigen Arbeiter der Braunkohlebranche gut organisiert sind, waren die Gegner lange Zeit wenig sichtbar. Anders als das Atomthema hat der Kohleprotest kaum größere Massen auf die Straße gebracht, sondern wurde vor allem von engagierten, aber kleinen Gruppen vor Ort getragen.

Dass sich das allmählich ändert, ist eine gute Entwicklung. Der Kohleausstieg innerhalb von 15 bis 25 Jahren ist ohne soziale oder wirtschaftliche Verwerfungen möglich und wird von einer breiten Mehrheit unterstützt. Damit sich das auch in politischen Entscheidungen niederschlägt, müssen die Gegner der Kohle endlich ebenso viel Druck aufbauen wie deren Profiteure.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Malte Kreutzfeldt
ehemaliger Redakteur
Jahrgang 1971, war bis September 2022 Korrespondent für Wirtschaft und Umwelt im Parlamentsbüro der taz. Er hat in Göttingen und Berkeley Biologie, Politik und Englisch studiert, sich dabei umweltpolitisch und globalisierungskritisch engagiert und später bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen in Kassel volontiert.   Für seine Aufdeckung der Rechenfehler von Lungenarzt Dr. Dieter Köhler wurde er 2019 vom Medium Magazin als Journalist des Jahres in der Kategorie Wissenschaft ausgezeichnet. Zudem erhielt er 2019 den Umwelt-Medienpreis der DUH in der Kategorie Print.
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Ich finde es sehr schade, dass die Grünen die Brisanz des Themas Braunkohle nicht erkennen. Haben sie sich wirklich so weit von diesem ursprünglich grünen Thema entfernt, dass sie nicht mehr erkennen, wie wichtig es nicht nur für die Umwelt, sondern vor allem für die Menschen ist, die von Zwangsumsiedlung bedroht sind? Sind sie in ihrem Politikverständnis mittlerweile so weit von dieser Problematik entfernt?

     

    Wenn das so ist, brauchen sie sich auch nicht zu wundern, wenn sie vom ostdeutschen Wähler nur marginal wahrgenommen werden - als Partei des grünen Deckmäntelchens und nicht als engagierte Vertreter wichtiger ökologischer Anliegen.

     

    Eure Themen sind bei Weitem noch nicht erschöpft! Schämt Euch, Grüne!

    • @noevil:

      Hä? Die Grünen haben eine ganze Kampagne zum Kohleausstieg gemacht und im Bundestag einen entsprechenden Antrag gestellt. In NRW haben sie sich für die Verkleinerung von Garzweiler eingesetzt. Man könnte sicher noch mher tun- aber dass sie das Thema nicht erkennen ist komplett falsch analysiert.

    • @noevil:

      Das liegt am Problem eigentlich aller Parteien, irgendwann bleibt nur noch der Klüngel übrig der nichts gelernt hat und nichts wirklich kann.

      Früher™ konnten Sie sich ziemlich problemlos über den Stand tatsächlicher Umweltgefährdung aus entsprechenden Publikationen, auch der Grünen, informieren; weil auch dort genug interessierte Naturwissenschaftler ihren Teil beigetragen haben. Bei der Braunkohle blamiert man sich aber gerade durch eine Summe an Peinlichkeiten. Warum hab ich weiter unten erklärt.

  • Die Menschen sind vorsichtiger geworden. Die Energieschwende hat deutlich gezeigt, dass anders nicht unbedingt besser ist.

    Wenn Laufwasserkraftwerke auf Kosten der Stromkunden abgeschaltet werden, um „umweltfreundlichen“ Wind- und Solarstrom zu überhöhten Preisen einzuspeisen, dient das sicher nicht der Umwelt. Aber einige verdienen bestimmt sehr gut daran.

    Schluss damit, es wäre an der Zeit für konstruktive Lösungen. Wenn verbindlich geklärt ist, woraus der Strom erzeugt werden soll, dann ergibt sich von allein, woraus er nicht gemacht wird. Nur, da herrscht immer noch Totenstille.

    • @ko99421:

      Dann muss aber auch auf gnazer Linie reiner Wein eingeschenkt werden.

       

      Aus hydrologischer Sicht ist nämlich die Summe der Braunkohlevorkommen nichts weiter als eine Schadstooquelle ersten Ranges. Nur das "merkt" der Durchschnittsbürger nicht so schnell wie dagegen ein Tagebauloch.

       

      Denn die Lagerstätten geben permanent große Mengen Gase, meist Methan und untergeordnet Schwefelwasserstoff an die Umwelt ab. Das hydraulisch angeschlossene Grundwasser ist ein Quell von PAK und BTEX-Kontamination. Dazu kommt noch ein Schwefelsäure-Eisen-Sulfid Wechselspiel im größeren Abstand, ebenfalls im Grundwasser.

       

      Kurz: Der Abbau findet bei dermaßen flach gelagerten Vorkommen sowieso statt. Bei der anthropogenen Nutzung gehts nur etwas schneller.

  • Hier bei uns im Rheinland konnte die Braunkohleindustrie die Menschen über viele Jahrzehnte einerseits mit viel Geld kaufen, also für Zwangsumsiedlung und Verlust der Heimat finanziell reichhaltig entschädigen, anderseits mit einem Geschwurbel von Braunkohle als alternativlos zum Nutzen und Überleben der Volksgemeinschaft speziell der Wirtschaftskraft und der Arbeitsplätze der Region Proteste aushebeln bzw. klein halten.

    Inzwischen steht es aber in der Lausitz sowieso aber zusehends auch hier auf der Kippe und wir würden es außerordentlich begrüßen wenn unsere Proteste Erfolg haben und die beschlossenen und genehmigten Erweiterungen des Braunkohletagebaus wenigstens zu großen Teilen wieder revidiert werden.

     

    Die Linkspartei und die Gewerkschaften bringen sich mit einer derartig kurzsichtigen Parteinahme für eine quasi tote Sache um Wählerstimmen und Vertrauen, von den Grünen erwartet man ja schon gar nichts mehr…

  • Der Artikel trifft den Punkt. Während Atomkraftwerke durch einzelne Unfälle fatale Wirkungen vor Ort haben können, bringen fossile Energieträger und insbesondere die Braunkohle Risiken mit sich, die genauso wenig zu kontrollieren sind, wie die Prognosen des Weltklimarates belegen. Demzufolge sollte der Widerstand einer Anti-Braunkohle-Bewegung mindestens genauso groß werden wie die Anti-AKW-Bewegung. Es ist höchste Zeit.