: „Wir brauchen einen Arschtritt!“
JUNGE FRAUEN Die neue Familien- und Frauenministerin Kristina Köhler, 32, CDU, hat schon mit 18 gesagt: Sie wird nie Feministin! Spricht sie damit für eine Generation? Dorothee Bär, Katja Dörner und Katrin Rönicke sind ebenfalls um die 30 Jahre alt. Sie debattieren über die Frauenpolitik der Zukunft
31, ist seit 2002 Abgeordnete der CSU im Bundestag. Diese Wahlperiode ist die diplomierte Politologin zur frauen- und familienpolitischen Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag aufgestiegen. Bär ist verheiratet und hat eine Tochter. Um ihre Tochter und den Haushalt kümmern sich nicht nur sie und ihr Mann gemeinsam: Es gibt Unterstützung durch die Großfamilie. Dorothee Bär greift „lieber selbst zum Werkzeugkasten, als darauf zu warten, dass mir jemand einen Nagel in die Wand schlägt“, erklärt sie. Sie ist diejenige, die lieber kocht – „und mein Mann erzählt die schöneren Gutenachtgeschichten“.
INTERVIEW HEIDE OESTREICH UND SIMONE SCHMOLLACK
taz: Frau Rönicke, Sie erwarten in Kürze Ihr zweites Kind. Würden Sie wegen des Betreuungsgeldes zu Hause bleiben?
Katrin Rönicke: Auf keinen Fall, mich hält ja nicht einmal das Elterngeld zu Hause. Das Betreuungsgeld funktioniert doch nur, wenn der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz realisiert ist.
Katja Dörner: Wir müssen in Kitas investieren, in mehr Plätze und in die Qualität. Und keineswegs 1,5 Milliarden Euro jährlich für das Betreuungsgeld rauswerfen.
Katrin Rönicke: Außerdem empfinde ich es als Ablasshandel: Geben wir den Eltern einfach mal Geld dafür, dass wir es überhaupt nicht auf die Reihe kriegen, ausreichend Kita-Plätze zu schaffen.
Dorothee Bär: Hier läuft die Diskussion in eine falsche Richtung. Die Hauptverantwortung für die Kinder liegt immer noch bei den Eltern. Selbst wenn sie ihre Kinder stundenweise von anderen Personen betreuen lassen. Mit dem Betreuungsgeld erkennen wir die Erziehungsleistung von Eltern an.
Rönicke: Die Anerkennung ist auch wichtig. Aber ich wünsche sie mir anders. Dass zum Beispiel mein Mann in seiner Firma sagen darf, ohne diskriminiert zu werden: Wegen meiner Familie möchte ich künftig weniger arbeiten. Das muss Normalität werden. Dafür brauchen wir Gesetze.
Bär: Aber da haben wir doch schon viel getan. Wir haben die Vätermonate und das Elterngeld eingeführt, jetzt soll es das Teilelterngeld geben, das es Müttern und Vätern erlaubt, während des Elternurlaubes Teilzeit zu arbeiten und dadurch die Elternzeit zu verlängern.
Rönicke: Aber wenn die Vätermonate vorbei sind, steht der Mann wieder unter dem Druck des Normarbeiterverhältnisses, dann muss er – wie vor den Vätermonaten – wieder 60 Stunden in der Woche arbeiten. Von den Maskulisten …
… der Gegenbewegung zum Feminismus …
… hören wir immer wieder das Argument: Was wollt ihr Frauen denn, die Männer machen ja auch die meisten Überstunden. Das ist doch verquer. Wir wollen, dass Männer weniger Überstunden machen müssen. Und dass die Frauen nicht nur Teilzeit arbeiten.
Bär: Bei dieser Diskussion wird auch eine ganz wichtige Frage vergessen: Was ist am besten für mein Kind? Heute ist nicht mehr eindeutig klar, dass Eltern die wichtigsten Bezugspersonen für ihre Kinder sind.
Rönicke: Das bleiben sie ja auch. Aber neurologische Untersuchungen belegen ebenso, dass es völlig egal ist, wo und von wem das Kind betreut wird, Hauptsache, die Bindung zur Betreuungsperson ist gut. Wir müssen von diesem Muttermythos wegkommen.
Bär: Warum ist Mutterliebe ein Mythos?
Rönicke: Die Liebe der Mutter im Vergleich zur Liebe anderer Menschen gegenüber dem Kind wird idealisiert und überhöht.
Da gäbe es ja zum Beispiel noch die Vaterliebe. 20 Prozent der Väter nehmen die zwei Vätermonate. Reicht das?
Rönicke: Prinzipiell ist es gut, dass Väter in die Kinderbetreuung hineinschnuppern können. Aber was passiert danach? Dann sind wir wieder bei der Frage von Vereinbarkeit von Familie und Beruf, es muss eine Debatte geben über eine gerechte Arbeitsorganisation.
Kümmern Sie sich als Regierungspartei darum, Frau Bär?
Bär: Natürlich. Wir nennen das flexible Arbeitszeitmodelle. Die sind vor allem wichtig für die Phasen der Familiengründung. Und sogar manche Männer, die die Vätermonate genommen haben, arbeiten danach verkürzt weiter.
Dann brauchen wir also doch keine Männerpolitik, obwohl die im Koalitionsvertrag steht?
Bär: Doch, schließlich sind jahrelang Mädchen und Frauen gefördert worden. Jetzt haben die Jungs Nachholbedarf. Viele Jungen haben in ihren ersten Lebensjahren nur mit Frauen zu tun. Beispielsweise treffen Jungen, die bei Alleinerziehenden groß werden, oft erst in der fünften Klasse auf die erste männliche Bezugsperson.
Männer werden nicht Erzieher, weil der Beruf schlecht bezahlt ist. Wollen Sie das ändern?
Bär: Wir haben das noch nicht in einen Gesetzestext gegossen. Aber der Wille zur Änderung ist da.
Kristina Köhler, unsere neue Frauen- und Familienministerin, will Jungenpolitik in den Mittelpunkt rücken. Damit hat sie den Zuspruch von Männerorganisationen sicher. Aber viele Verbände agieren stark gegen Frauen. Wollen Sie eine neue Runde im Geschlechterkampf?
Bär: Wenn wir mehr für Jungs tun, helfen wir auch den Frauen.
Dann hätte sich der Feminismus erledigt. Kristina Köhler hat schon mit 18 Jahren kundgetan, nie Feministin werden zu wollen.
Dörner: Ich bin auf jeden Fall Feministin. Feminismus heißt doch schlicht, für die Gleichstellung der Geschlechter zu sein.
Bär: Ich würde nicht sagen, dass ich Feministin bin. Aber im Laufe meines Lebens verstehe ich die Anliegen des Feminismus mehr.
Rönicke: Früher sagte ich lieber Geschlechterdemokratie, den Begriff Feminismus fand ich so abgebrannt. Aber als ich das Buch „Wir Alphamädchen“ über den neuen Feminismus gelesen hatte, dachte ich: Ich möchte mich auch in diese Tradition stellen. Auf der ganzen Welt ist das ein eingeführter Begriff, nur die Deutschen haben damit ein Problem.
Bär: Nein, der Feminismus hat ein Problem, und zwar, um mal die PR-Sprache zu verwenden, ein Wording-Problem. Der Begriff ist einfach negativ besetzt. Ich glaube, dass man damit für berechtigte Vorhaben mehr Türen zuschlägt, als man öffnet.
Rönicke: Frau Bär hält es vielleicht eher mit Thea Dorn. Die hat „Die neue F-Klasse“ geschrieben, ein tolles feministisches Buch. Aber sie fand auch, dass man den Begriff nicht mehr retten kann. Aber wenn man sich mit der Bandbreite der Bewegung mal beschäftigt hat, dann kann man das nicht mehr so sehen.
Bär: Die Frage ist doch, wie ich in der Politik etwas verändern kann. Es ist doch viel effektiver, mit neuen Begriffen die Ziele, die einem wirklich wichtig sind, durchzusetzen, als seine Energie damit zu verschwenden, einen hochgradig negativ besetzten Begriff retten zu wollen.
Welche neuen Begriffe würden Sie vorschlagen?
33, ist familienpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion. Sie studierte Politikwissenschaft, Öffentliches Recht und Literaturwissenschaft. Verheiratet, keine Kinder. Im Haushalt? Katja Dörner kocht, ihr Mann repariert die Fahrräder. „Weil uns das am meisten Spaß macht“, sagt Katja Dörner. Andererseits ist sie die „Finanzministerin“ und „Behördenmanagerin“ in der Ehe, ihr Mann putzt die Fenster. Katja Dörner lebt in einer „Regenbogenfamilie der ersten Generation“: Sie hat drei Schwiegermütter. Die Mutter ihres Mannes ist seit einigen Jahren mit einer Frau liiert, der Vater ihres Mannes ist erneut verheiratet.
Bär: Frauenpolitik.
Dörner: Das ist ja so neu nicht. Wenn man sich vom Feminismus so distanziert, wertet man auch die Leistungen früherer Frauengenerationen ab. Das schwächt einen doch. Ich habe im Wahlkampf eine Veranstaltung „Feminismus 2.0“ gemacht. Erst haben viele über den Titel gestöhnt, aber die Veranstaltung war gut besucht. Und hinterher hat einer der schärfsten Kritiker gesagt: Wenn das Feminismus ist, dann bin ich auch Feminist.
Frau Bär, die Opposition will eine Quote für Aufsichtsräte, was will die Union?
Bär: Ich bin grundsätzlich gegen solche Quoten. Frauen in verantwortlicher Position werden sowieso schon als Quotenfrauen betrachtet, auch wenn es gar keine Quoten gibt. Das muss man nicht noch fördern.
Dann kann man ja gleich welche einführen, oder?
Bär: Ich bin froh, dass es bei uns nie eine Quote gab. Aber ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass man manchmal mit leichtem Druck nachhelfen kann. Das hat man ja bei den Vätermonaten gesehen.
Rönicke: Trotzdem sind die Chancen für Frauen einfach viel schlechter. Das fängt schon bei der Erziehung an. Wer dazu erzogen wird, lieb und nett zu sein, der kann sich später eben nicht so gut durchsetzen. Die Quote dient doch auch als Arschtritt, an diesen Verhältnissen etwas zu ändern.
Dörner: Ich glaube nicht, dass die Quote eine Bürde ist. Die alten Rollenbilder sind doch einfach noch da. Und Studien zeigen doch, dass Firmen davon profitieren, wenn sie Quoten haben und Vielfalt zulassen.
Bär: Das mit dem – wie Sie sagen – Arschtritt sehe ich anders. Es gibt nun mal zwei unterschiedliche Geschlechter. Eine aktuelle wissenschaftliche Studie zeigt gerade, dass Frauen, die wie Männer auftreten, eher keinen Erfolg haben. Es kann nicht auf eine Gleichmacherei herauslaufen.
Dörner: Es geht doch nicht um Gleichmacherei!
Rönicke: Es geht um Stereotype.
Bär: Es wird die biologischen Unterschiede immer geben!
Rönicke: Das menschliche Gehirn ist aber sehr plastisch, die Umgebung hat großen Einfluss darauf, wie männlich oder weiblich es sich entwickelt. Ich will auch nichts künstlich gleich machen, aber im Moment werden wir doch zwanghaft ungleich gemacht.
Wenn sie sich weiblich verhalten, haben Frauen keinen Erfolg. Wenn sie sich männlich verhalten, auch nicht. Und nun?
Rönicke: Aber wenn Männer sich weiblicher verhalten, wird das positiv aufgenommen. Was Frauen auch machen, sie werden auf jeden Fall abgewertet.
Bär: Man muss als Frau halt einfach authentisch sein und nicht der bessere Mann.
Rönicke: Wir müssen von dem ganzen Männer- und Frauen-Klischeedenken weg. Irgendwann muss man fragen: Was ist das für ein Mensch? Passt dieser Mensch in unser Team?
Haben Sie selbst erlebt, dass Klischeefallen zuschnappen?
Bär: Ich bemerke eher Gedankenlosigkeit. Da werden Aufgaben untereinander verteilt, und dass da keine Frau dabei ist, fällt gar nicht auf. Hinterher heißt es dann, warum hat da niemand aufgepasst?
Dörner: Die Menschen ziehen eher Leute nach, die wie sie selbst sind. Dieser unbewusste Mechanismus greift sogar bei den Grünen, obwohl wir eine Quote haben.
Bär: Das Standing eines Alphatiers wie Joschka Fischer ist aber doch anders als etwa das von Claudia Roth. Das männliche Alphatierverhalten ist in jeder Fraktion da. Frauen haben zum Beispiel schon allein die leisere Stimme.
Rönicke: Klischees sind doch dafür da, gebrochen zu werden. Man redet vielleicht mit einer leiseren Stimme, aber man hat trotzdem etwas zu sagen. Dann ist diese Verbindung von männlich = wichtig schon mal gekappt.
27, studiert Erziehungs- und Sozialwissenschaften in Berlin, ist Autorin des feministischen Blogs „Mädchenmannschaft“. Verheiratet, zwei Kinder. Seit der Geburt ihrer Tochter vor drei Wochen arbeitet ihr Mann Teilzeit. „Weniger Geld und weniger Karrierechancen“, sagt Katrin Rönicke: „Aber familienfreundlich.“ Im Haushalt macht jeder von allem etwas: bügeln, kochen, einkaufen. Handwerkliche Tätigkeiten überlässt Katrin Rönicke ihrem Mann, ihrem Vater oder ihrem Schwiegervater. Die Wäsche wäscht sie in der Regel allein. Warum? „Es stört uns beide nicht, wir machen das, weil es gemacht werden muss.“
Dörner: Man muss es bewusst machen. Zum Beispiel an der Sprache. Darüber erschließt man sich nun mal die Welt. Wenn im Sprachgebrauch immer nur die Männer vorkommen, dann setzt sich das fest. Da waren wir schon mal weiter.
Bär: Das ist nun wirklich nicht das große Problem. Ich war da nie so fanatisch, was die Begrifflichkeit betrifft. Besonders schlimm finde ich das große I. Das ärgert mich total. Neulich wurde ich sogar Gästin genannt.
Sie akzeptieren die Verhältnisse so, wie sie sind?
Bär: Nein, aber es stört mich persönlich, wenn die Sprache so verhunzt wird.
Um Klischees und Vorurteile zu erkennen und um die Ungerechtigkeiten, die daraus entstehen, abzubauen, wurde die Idee vom Gender-Mainstreaming erfunden. Seit 1999 ist das sogar offizielle Bundespolitik. Warum hört man denn davon heute nichts mehr?
Bär: Auch dieser Begriff ist furchtbar, er lässt die Menschen kalt, weil sie ihn nicht verstehen. Aber das Thema ist keineswegs vom Tisch.
Dörner: Gender-Mainstreaming ist der absolut richtige Ansatz: Welche Auswirkungen hat unsere Politik eigentlich auf Männer und Frauen? Das ist das Zukunftsthema. Allerdings wird Gender-Mainstreaming systematisch lächerlich gemacht. Ein Wochenmagazin hat es erst kürzlich über drei Seiten hinweg nur mit Lächerlichkeiten wie „geschlechtergerechte Waldspaziergänge“, für die Geld herausgeworfen würde, in Verbindung gebracht. Das war nicht nur verzerrt, sondern sachlich auch noch falsch. Die Männer sollen befürchten, ihnen würde durch die Hintertür etwas weggenommen. Dabei ist es zum Beispiel in der Medizin lebensrettend, wenn man beachtet, dass Frauen und Männer manchmal unterschiedliche Medikamente brauchen. Im Moment wird das Gendern in den Ministerien nur simuliert. Gesetze sind geschlechtsneutral formuliert. Da aber die Gesellschaft nicht geschlechtsneutral ist, wurden Frauen beispielsweise durch die Hartz-IV-Gesetze benachteiligt.
Rönicke: Vielleicht sollte die Regierung mal zum Gendertraining geschickt werden.
Wann haben Sie persönlich denn Ihren letzten Geschlechterkonflikt erlebt?
Bär: Gestern, in einer Sitzung, in der darüber gesprochen wurde, dass Frauen in einer konkreten Sache unterstützt werden sollten. Dann kam einer dieser Männersprüche, die in solchen Situationen immer zu erwarten sind: Schon wieder Frauenförderung? Wir haben doch schon eine Bundeskanzlerin.
Rönicke: In einem meiner letzten Blogs habe ich die Maskulistenbewegung ins Visier genommen. Der Text wurde im Netz stark kommentiert: Wir werden es euch Feministinnen schon zeigen, wir werden immer mächtiger. Von dieser Front haben wir in nächster Zeit sicher einiges zu erwarten.
Dörner: Ich mach’s mal privat. Meine Freundinnen und ich erleben immer wieder, dass auch von emanzipierten Müttern erzogene Partner und Ehemänner keine Fans sind von Haushaltspflichten. Da wirken alte Rollenbilder nach und wir müssen jeden Tag daran arbeiten.
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