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Künstliche Allianzen

Minderheiten sind mehr denn je Objekte des ideellen Lobbyismus. Dabei hat sich die Gesellschaft längst weiterentwickelt: Sie ist liberal und pluralistisch. Warum Minorität keine Kategorie mehr sein sollte

VON JAN FEDDERSEN

Eines darf in jedem Fall bereits in der Debatte um den Fragebogen zur Einbürgerung in Baden-Württemberg bilanziert werden: Die so genannte Islamophobie ist nichts, woran die meisten Menschen in der Bundesrepublik litten. Dass dieser Befund überhaupt unterstellt wird, ist ein Werkzeug, um Aufmerksamkeit und Anteilnahme zu organisieren. Ist ideelles Lobbying. Vorgestern in den „Tagesthemen“ war dies wieder lehrbuchhaft zu bestaunen: Bilder wurden gezeigt von einer Diskussion in Karlsruhe, auf der es um den „Gesprächsleitfaden“ zur Einbürgerung ging.

So viel Goodwill war selten

Nicht allein Spitzenfunktionäre der deutschtürkischen Community wie Kenan Kolat kamen zu Wort, sondern auch ein so genannter Betroffener, der blank erklärte, sich diesen Fragen nicht stellen zu wollen – ja, sie zerstörten sogar sein Vertrauen in die gute Kraft jenes Landes, in das er eingebürgert wurde. Ein Sprecher oder eine Sprecherin jener Initiative, die diesen vermeintlichen Gesinnungstest austüftelten, kam nicht zu Wort, der angegriffene Innenminister Herbert Rech (CDU) ebenso nicht. So viel Goodwill war selten, ein solches Pfund an journalistisch verbrämter Freundlichkeit gab es nie: Na, das geht doch wirklich nicht, dass Menschen, die den deutschen Reisepass haben möchten, derartig unappetitlich ausgehorcht werden.

Unerwähnt blieb der Grund für die Existenz jenes Leitfadens – hängen blieb nur, dass Einwanderungswillige böse diskriminiert werden, weil es angeblich nur solche muslimischer Prägung beträfe. Dass der Gesprächsleitfaden explizit nur für begründete (Verfassungs-)Zweifelsfälle zu Rate gezogen werden soll, dass er nicht in die Regelbefragung inkorporiert wird, blieb als Information stumm. Eine verwirrende Debatte, zumal deren Beiträger aus der Multikultiszene jedes Verständnis für die Gründe vermissen lassen, welche dazu führten, dass das Land Baden-Württemberg die Interviews mit jenen Einbürgerungswilligen mit genau jenen Fragen füttert. Zur Erinnerung: Die Fragen versuchen auch herauszufinden, ob ein Einbürgerungswilliger grundsätzlich verschiedene Lebensstile zu akzeptieren bereit ist, der von Homosexuellen beispielsweise; ob er (oder sie) die Gleichberechtigung von Frauen und Männern anerkennt und ob er seine oder ihre Kinder der Kultur der Koedukation anvertrauen würde.

So viel Rassismus war nie

Von konservativer Seite ist die Idee längst zurückgewiesen worden – und zwar in ihrem Kern. Weiterhin soll befragt werden, aber nicht nach Homosexualität, nicht nach dem Verhältnis zur Geschlechterdemokratie. Die alternative Linke argumentiert ganz anders – und ihre Einwände sind nicht minder fatal. Schroff werden Argumente von homosexuellen Bürgerrechtsorganisationen abgetan, die darauf hinwiesen, dass zur Verfassungstreue in der Bundesrepublik auch ein respektierendes Verhältnis zu jenen sexuellen Minderheiten zählt, die in jenen Ländern, aus denen die Einbürgerungswilligen stammen, meist krass, oft tödlich verfolgt werden.

Diese Ängste könnte man sich anhören, sie abwägen und also ernst nehmen. Stattdessen wird jenen Stimmen vorgehalten, sie fielen auf einen verdeckten Rassismus herein, beförderten, so muss man diese These begreifen, selbst ein Klima von Ausgrenzung und Diskriminierung. Es dürfe doch nicht sein, dass Minderheiten einander mit Fragwürdigkeiten behelligten – heißt wohl: dass Schwule und Lesben sich in den Dienst der Obrigkeit stellten. In summa wurde dies als autoritätshöriges Verhalten geschmäht.

Migranten sind gut

Minderheiten diskriminieren keine anderen Minoritäten? Der Einwand ist freilich schon auf den zweiten Blick albern – denn nicht jede Minderheit ist gut, die der Kapitalisten ist schlecht, die Neonazis sowieso. Gut sind alle, die man gut finden möchte – und das sind, so das inzwischen mainstreamige Wort, zuvörderst „Migranten“.

Alle anderen Minderheiten werden daran gemessen, wie ihr Verhältnis zu jenen ist: Und zwar offenkundig unabhängig von dem, was sie wollen, sagen und tun. Böse ist selbstverständlich einer wie der von einem Tierschützer ermordete Pim Fortuyn gewesen, der Niederländer, der aus seinem Verdruss über die schweigsame Integrationspolitik der politischen Elite seines Landes kein Hehl machte und selbst zum Politiker wurde: Freilich nicht als Rechter, sondern als einer, der kritisierte, dass in manchen Gegenden zwischen Maastricht und Friesland für freizügige Frauen, für Schwule, für anders Aussehende No-go-Areas entstanden waren. Er beklagte die Auflösung jener Werte, an die auch die Niederlande gebunden sind – nämlich der Pluralität der Lebensstile, die einander nicht bedrohen. Von Parallelgesellschaften islamischer Grundierung wollte er nichts wissen – Überfälle von Homosexuellen auf Migranten hatte es nicht gegeben, die von Migranten auf auf Schwule und Lesben sehr wohl. Dass Fortuyn seine Homosexualität, typisch niederländisch, nicht verschwieg, bediente hierzulande freilich auch das Bild eines multikulturellen Störenfrieds, der das Appeasement zwischen den Minderheiten ins Wackeln brachte.

Denn die Theorie mit den Minderheiten, die einander solidarisch begegnen, klappt in der Realität nicht. Wie auch? Sie ist eine Erfindung der Siebzigerjahre – und löste damals die andere große Erzählung ab: die vom Sozialismus. In dieser gab es nur zwei Lager: die der Kapitalisten und die Arbeiterklasse. Alles Unvereinbare in den Blöcken galt als so genannter Nebenwiderspruch. Frauenfrage? Klärt sich im Sozialismus ziemlich umgehend. Rassismus? Alles paletti. Religion? Im Absterben. Und Homosexuelle? Allenfalls menschliche Zeichen bürgerlicher Dekadenz. Die DDR schuf ein günstigeres Recht als die BRD – aber immer mit der Perspektive des Unerwünschten, des Aussterbens. Die Sowjetunion war da freizügiger – tausende fanden sich in Arbeitslagern, wenn sie vom Laster nicht lassen wollten.

Die Minderheitentheorie, aktuell aller Esoterik zum Trotz, am konsistentesten in Toni Negris und Michael Hardts Wälzer „Empire“ formuliert, lebt vom Phantasma, dass es nur gälte, alle Diskriminierten unter einen Hut zu bekommen – und sie gemeinsam davon zu überzeugen, dass die Welt als gemeinsame und kapitalismusfreie die beste von allen ist. Dass die Grünen diesem Theorem nahe stehen, ist freilich kein Wunder: Sie kamen ja erst zu sich selbst, als aus der Ökobewegung eine der „Neuen Sozialen Bewegungen“ wurde, hervorgegangen aus Bunten und Alternativen Listen, aus Initiativen und Gruppen, die ihre Ansprüche anmeldeten.

Schwierig wird es nur – und dies ist jetzt der Fall –, wenn man es mit einem Land zu tun hat, das viel liberaler und pluraler geworden ist, als man es selbst hat träumen wollen. Wenn also die westlichen, rechtsstaatlich verfassten Länder, kapitalistisch durch und durch, lebenswerter für verfolgte Frauen und Männer, egal welcher sexuellen Orientierung, sind als es jeder Sozialismus, jedes Antiempire hätte sein können? Wenn gerade Minderheiten darauf Wert legen, in ein Land zu migrieren, das frei ist von religiösem Recht wie der Scharia, das säkular ist – und grundsätzlich Frauen für gleichberechtigt hält und Homosexuelle als solche für schützenswert? Und: Nützt die, sagen wir: Minderheitenreligion jenen Minoritäten, die sich darauf verlassen möchten, nicht geschlagen, verfolgt und in der Öffentlichkeit verachtet zu werden? Anders gesagt: Der Koalition der Minderheit steht allein schon der Umstand im Wege, dass ein Mann wie Nadeem Elyas, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, moralischen Positionen der rechten Union näher steht als jedem linken Ansatz von Multikulti? Dass gerade islamische Religionsvertreter (und ihre katholischen wie evangelikalen und jüdisch-orthodoxen Verwandten) einer Gottesfurcht sich nahe fühlen, die Pluralität nicht vorsieht – im Gegenteil?

Minorität ist die Kategorie

Jedes westliche Land ist eines von Minderheiten. Die Kategorie der Minorität sagt vielleicht alles – und damit nichts. Der Umstand von Diskriminierung birgt ebenfalls nur emotionalen Stoff, aus dem die Albträume sind. Es gibt eine Mehrheit von muslimisch-patriarchal aufgewachsenen Männern und Frauen, die homosexuell sind, die als Frauen frei leben wollen, die den Einbürgerungsfragebogen für ein bürokratisches Missgeschick halten. Die in ihm enthaltenen Fragen sind freilich auch ihre. Das ist keine Angelegenheit von schlecht drapiertem Rassismus, sondern eine der – man möchte es für die Multikulturalisten annehmen – universell geltenden Menschenrechte.

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