: Das Baby ist die Doktorarbeit
NachwuchswissenschaftlerInnen in NRW bleiben besonders oft ohne Kinder. Laut einer neuen Studie ist daran vor allem die prekäre Arbeitssituation von JungakademikerInnen Schuld. Für sie ist es fast unmöglich, Kind und Karriere zu verbinden
VON MAREN MEIßNER
Knapp drei Viertel der nordrhein-westfälischen NachwuchswissenschaftlerInnen an Universitäten sind kinderlos. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forscherteam der Universität Dortmund in der Studie “Junge Elternschaft und Wissenschaftskarriere“. Die Analyse stützt sich auf die Personalstandsdaten aller jungen WissenschaftlerInnen, die im Jahr 2004 in NRW in den Gehaltsgruppen C1 und BAT 2a/1b beschäftigt waren – also beispielsweise Wissenschaftliche MitarbeiterInnen oder Junior-ProfessorInnen. Zusätzlich wurden Interviews mit 17 JungwissenschaftlerInnen der Unis Dortmund und Duisburg-Essen durchgeführt.
Die brisanten Zahlen, die bei der Studie heraus kamen, mochte die Leiterin Sigrid Metz-Göckel zunächst gar nicht glauben: 1994 waren 70 Prozent der jungen WissenschaftlerInnen ohne Kinder, zehn Jahre später waren es sogar 73 Prozent. Mehrmals ließ Metz-Göckel die Zahlen überprüfen. „Ich wollte doch gar keine Studie zur Kinderlosigkeit machen!“, sagt sie. Dass es dennoch eine wurde, erfreut weder sie noch die Verantwortlichen im Landesministerium für Wissenschaft und Forschung, das sich an der Finanzierung der Erhebung beteiligt hatte. Denn die Studie fördert nicht nur alarmierende Zahlen zu Tage, sondern verweist auch auf mögliche Ursachen der Kinderlosigkeit unter WissenschaftlerInnen. Und die liegen nicht, wie von Politikern gerne behauptet, in fehlenden Partnern oder der generellen Ablehnung von Kindern, sondern in den Arbeitsstrukturen an der Uni. Denn die Vergleichsgruppe – HochschulabsolventInnen, die nicht an der Uni arbeiten – hat signifikant mehr Kinder.
Unsichere Joblage
Als „prekär“ bezeichnet Metz-Göckel daher die Arbeitsbedingungen an den Unis. Eine Vielzahl von Faktoren sorge dafür, dass es praktisch unmöglich sei, Kind und Karriere zu verbinden. Ein Problem sei der große Leistungsdruck in der Wissenschaft. „Sie müssen permanent Texte veröffentlichen, auch während der Semesterferien viel arbeiten und sich präsentieren“, sagt die Dozentin. Zudem müssen JungwissenschaftlerInnen extrem mobil sein – auch weil sie ihre Professur nicht an der gleichen Hochschule antreten können, an der sie bisher gearbeitet haben. Die Folge sind häufige Umzüge, Fernbeziehungen und schlichtweg fehlende Möglichkeiten, ein Kind großzuziehen.
Hinzu kommt die unsichere Joblage. Die meisten Verträge für junge NachwuchswissenschaftlerInnen sind auf wenige Jahre befristet, Festanstellungen nehmen immer weiter ab. Die Zukunft ist nicht planbar, Sicherheiten fehlen. 2004 hatten 80 Prozent befristete Verträge, Tendenz steigend. „Es gibt hier wirklich einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Art des Beschäftigungsverhältnisses und Kinderlosigkeit“, sagt Metz-Göckel. Rund die Hälfte der fest angestellten WissenschaftlerInnen hat keine Kinder, bei den befristet angestellten KollegInnen sind es fast 85 Prozent. „Die Lage ist dramatisch“, meint die Studienleiterin. In den 17 Einzelinterviews, die sie mit ihren Kolleginnen Nicole Auferkorte, Jutta Wergen und Annette Klein durchführte, wurden ihre Einschätzungen bestätigt.
„Nur zwei Leute haben gesagt, dass ihre Kinderlosigkeit an ihrer Beziehung oder einem fehlenden Partner liegt“, so Metz-Göckel. Alle anderen gaben Stress im Beruf, unsichere Jobaussichten und mangelnde Kinderfreundlichkeit als Gründe für ihre Kinderlosigkeit an. Dabei ist diese oft keine bewusste Entscheidung gegen Kinder, sondern nur ein Aufschieben der Entscheidung auf vermeintlich sichere Zeiten – die aber, besonders wenn beide Partner in der Wissenschaft tätig sind, mitunter auf sich warten lassen. „Viele sagen tatsächlich: ‚Mein Baby ist erstmal meine Doktorarbeit‘“, so die Studienleiterin.
Idee des „couple hiring“
Damit das nicht so bleibt, haben Metz-Göckel und ihre Kolleginnen Lösungsvorschläge ausgearbeitet. Besonders in der Hochschulpolitik müsse alles dafür getan werden, die schlechten Zahlen zu ändern: „Eltern dürfen nicht weiter bestraft werden“, mahnt sie. Es müsse beispielsweise möglich sein, an die eigene Universität berufen zu werden.
Auch über die Möglichkeit des „couple hiring“ müsse nachgedacht werden: Hierbei kooperieren Unis untereinander, so dass Paare nicht an weit entfernten Orten arbeiten müssen. Die „Zwangsmobilität“ würde so deutlich verringert. Auf Universitätsebene könne durch flexible Betreuung in Kindergärten und Krippen ein kinderfreundlicheres Klima geschaffen werden.
„In anderen Ländern ist das längst so“, sagt Metz-Göckel. Als sie auf einem Kongress mit einer finnischen Kollegin über das Thema sprach, staunte sie nicht schlecht, als sie hörte, dass dort 80 Prozent der JungwissenschaftlerInnen Eltern sind. „Wie macht ihr das?“, fragte sie die Kollegin. Die Antwort war einfach: „Es ist doch ganz natürlich, dass die Leute Kinder kriegen – darauf muss man sich eben einstellen!“
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