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Amtshilfe von Schleuserbande

Weil Flüchtlinge aus Sierra Leone nicht abgeschoben werden konnten, ließen Ausländerbehörden eine Delegation aus Guinea einfliegen - zur „Identitätsfeststellung“. Deren Leiter soll mit gefälschten Diplomatenpässen gehandelt haben

Wie „vor einer Militärjunta in einer Bananenrepublik“ sei es gewesen. Mark Nerlinger, Rechtsanwalt aus Hamburg, ist aufgebracht. Nerlinger war Zeuge bei einer von rund 600 Zwangsvorführungen bei einer guineischen Delegation in der Hamburger Ausländerbehörde.

Zwei Mal, im Januar und im November 2005, mussten sierra leonische Flüchtlinge aus verschiedenen Bundesländern bei der Behörde erscheinen. Ihnen wurde unterstellt, gar nicht aus Sierra Leone, sondern aus dem benachbarten Guinea zu stammen. Ein großer Unterschied: Ins Bürgerkriegs-Land Sierra Leone darf nicht abgeschoben werden, nach Guinea schon. Darum sollte eine vierköpfige Delegation – angeblich Vertreter des guineischen Staates – durch Inaugenscheinnahme feststellen, woher die Flüchtlinge stammen. „Im Halbdunkel und mit Sonnenbrillen“ habe die Delegation die Flüchtlinge begutachtet, erinnert sich Nerlinger.

Unter ihnen: Yacine Bah, ein Asylbewerber aus Bremen. Der 25-Jährige, seit 1998 in Bremen, erzählt: „Man hat mich in einem Dialekt angesprochen, den ich nicht verstanden habe und wollte wissen, ob ich aus Sierra Leone stamme. Ich habe Ja gesagt. Das war alles.“ Dauer der Prozedur: Drei Minuten. Ergebnis: Bah sei guineischer Staatsangehöriger – ebenso wie alle anderen vorgeführten Flüchtlinge. Begründet wurde diese Entscheidung mit keinem Wort. Die Delegation selber widersprach zu diesem Zeitpunkt der Behauptung der Hamburger Ausländerbehörde, die Botschaft sei in die Vorführung eingebunden worden.

Verbunden mit dieser Einstufung war die Ausstellung eines Reisedokumentes, das nach Ansicht von Nerlinger „in keinster Weise juristischen Mindeststandards entspricht“. Es habe „selbst gemacht“ ausgesehen, und trug weder Gültigkeitszeitraum noch eine der üblichen Bezeichnungen für Grenzübertritts-Dokumente. Dennoch ist das Fantasie-Dokument für die Ausländerbehörden wichtig: Es dient als Grundlage zur Abschiebung der Flüchtlinge nach Guinea.

Im März 2006 lud die Ausländerbehörde Dortmund dieselbe Kommission erneut nach Deutschland ein. Über 300 Flüchtlinge wurden diesmal vorgeführt – und alle als Guineer „identifiziert“. Dann kam es zum Skandal: Der Delegationsleiter, ein Beamter des guineischen Außenministeriums namens N’Faly Keita, wurde von mehreren der vorgeführten Flüchtlinge als die Person wieder erkannt, die Ihnen gefälschte Diplomatenpässe zur Einreise in den Schengen-Raum verkauft habe. Keita verließ daraufhin überstürzt Deutschland. Der nordrhein-westfälische Innenminister Ingo Wolf erklärte, da Keita „nicht mehr in Deutschland sei“, habe es „keinen Sinn, ihn noch anzuzeigen“. Widerlegt wurden die Vorwürfe gegenüber Keita nicht. Die Forderung nach einem Verzicht auf Verwendung der von Keita ausgestellten Reisedokumente wies Wolf zurück.

Yacine Bah wurde am 18. Mai in Abschiebehaft genommen. Zwei Wochen später wurde er aufgrund eines Formfehlers der Ausländerbehörde wieder freigelassen. Sein Anwalt geht davon aus, das bald ein neuer Abschiebeversuch unternommen werden wird. Bah ist nicht allein: 50 Bremer Asylbewerber seien der Kommission vorgeführt worden, sagt Bah. Allen drohe die Abschiebung nach Guinea, obwohl sie dort völlig fremd seien.

In der Innenbehörde gibt man sich zurückhaltend. Die Angelegenheit sei bekannt, sagt Markus Beyer, Sprecher von Innensenator Thomas Röwekamp (CDU). Eine „abschließende Bewertung“ könne jedoch aufgrund der „Komplexität“ des Vorganges noch nicht abgegeben werden, so Beyer. Christian Jakob

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