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Gewalt ohne Folgen

GENTRIFIZIERUNG II Die Esso-Häuser-Security ging einen Bezirkspolitiker der Piraten körperlich an – doch die Staatsanwaltschaft winkt ab

„Kein öffentliches Interesse“: Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat nicht vor, jener Tätlichkeit nachzugehen, deren Opfer Andreas Gerhold wurde, der Fraktionschef der Piratenpartei in der Bezirksversammlung Mitte. Die Angreiferin: eine Mitarbeiterin der Security-Firma, die die „Esso-Häuser“ am Spielbudenplatz bewacht. Das teilte die Anklagebehörde dem Piraten-Politiker mit und verwies ihn auf den zivilen Klageweg vor dem Amtsgericht.

Am 12. Februar dieses Jahres hatte die Eigentümerin des Komplexes, die Bayerische Hausbau, mit dem „Rückbau“ der überregional bekannten Esso-Tankstelle begonnen – der Auftakt für den umstrittenen Abriss und Neubau des gesamten Wohn- und Gewerbekomplexes. Ein Bauprojekt, das Kritikern längst als Symbol für die Gentrifizierung des Stadtteils an sich gilt.

Und so war der Auftrieb groß an jenem Tag: Neben Anwohnern, Presse und Polizei war auch ein privater Sicherheitsdienst bestellt worden, der die Arbeiten sichern sollte. Gerhold wollte das Treiben per Fotoapparat für die Nachwelt festhalten. Er sei plötzlich von einer Security-Mitarbeiterin mitten auf der Straße attackiert worden, sagt der Piraten-Politiker. Sie habe versucht, ihm die Kamera zu entreißen. Dass der Angriff stattfand, ist verbrieft: Pressefotografen hielten ihn im Bild fest.

Und: „Polizisten haben den Vorfall noch vor Ort aufgenommen“, sagt Gerhold. Er erstattete Anzeige – aber das tat auch seine Kontrahentin: Sie habe behauptet, „ich hätte sie am Arm gezerrt“, sagt Gerhold der taz. Verletzt worden sei er bei dem Ganzen nicht, aber es irritiere ihn, dass die Staatsanwaltschaft die Sache so sang und klanglos unter den Tisch kehre.

Die Behörde wies ihn auf die Möglichkeit hin, die Angelegenheit per Zivilklage weiterzuverfolgen – aber zuvor einen „Sühneversuch“ zu beantragen: Dabei wird versucht, eine gütliche Einigung herbeizuführen. Dieser Schritt ist bei verschiedenen Delikten nötig, ehe eine Privatklage möglich ist.

Empörter noch als Andreas Gerhold selbst sind einige seiner Mit-Piraten: Die Staatsanwaltschaft verfolge doch sonst ganz andere Delikte, sagt ein Parteifreund. So sei es eine „Beleidigung“, einen Polizisten zu duzen, und hielten vier Leute ein Transparent hoch, verstießen sie damit gegen das Versammlungsgesetz. „Sicherheitskräfte oder besser gesagt: private, selbst ernannte Parapolizeien dürfen also auch künftig in Hamburg ruhig rund um ‚ihre’ Objekte im öffentlichen Raum Fotografen attackieren und Kameras wegreißen, ohne eine Strafe zu befürchten“, schimpft der Pirat weiter. Das klinge für ihn doch sehr nach Weißrussland.  KVA

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