■ Wirtschaftsminister Müller will die Industrie Subventionen abbauen lassen: „Damit habe ich sie hart getroffen“
taz: Die rot-grüne Bundesregierung ist bei den Wahlen in Brandenburg und an der Saar hart aufgeschlagen. Rechnen Sie sich das katastrophale Ergebnis persönlich an?
Werner Müller: Ja und nein. Es heißt, die Regierung habe einen Denkzettel bekommen auch für ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik. Erstere vertrete ich. So betrachtet bin ich abgestraft worden. Vieles fällt aber unter die Gesamthaftung. Für den wirtschafts- und finanzpolitischen Kurs haben wir – so richtig er ist – offenbar nicht genug Überzeugungsarbeit geleistet – beginnend in der Fraktion.
Die Erfolglosigkeit beim „Atomausstieg“ motivierte die Anhänger von Rot-Grün nicht gerade dazu, wählen zu gehen. Hat die Bundesregierung mit ihrer Festlegung auf den entschädigungsfreien Ausstieg nicht jedes Druckmittel gegenüber den Konzernen verloren?
Das ist keine Erfindung der Bundesregierung, sondern steht nun einmal so im Koalitionsvertrag. In einem Rechtsstaat können Sie ein Kernkraftwerk im Übrigen gar nicht so einfach vom Netz nehmen. Wer früher abschalten will, als es betriebswirtschaftlich sinnvoll ist, muss die Kernkraftwerke den Betreibern quasi abkaufen. Nach dem Aktienrecht würde sich ein Vorstand ja strafbar machen, wenn er profitable Anlagen, also das Eigentum der Aktionäre, einfach so stilllegen würde. Und nach höchstrichterlicher Prüfung und Rechtsprechung ist der Betrieb von Kernkraftwerken grundsätzlich zugelassen.
Wenn es nach der betriebswirtschaftlichen Rendite der Atomkraftwerke geht, laufen sie noch länger. Ist dann ein Konsens über den vorzeitigen Ausstieg überhaupt möglich?
Über den Ausstieg ja. Die Laufzeit ist nicht ewig, sondern hängt von unternehmerischen Entscheidungen ab. Der Reaktor Würgassen wurde ganz ohne politischen Druck abgeschaltet. Wenn so etwas in ähnlichen Fällen einem Aktionär nicht passen sollte, kann er nicht gegen den Gesetzgeber klagen, sondern muss sich mit seinem Vorstand auseinandersetzen.
Derzeit gilt doch für die Betreiber kein einziges Kraftwerk als so reparaturbedürftig, dass es demnächst stillgelegt würde. Damit ist die von den Grünen geforderte Abschaltung von mindestens zwei AKWs vor der nächsten Bundestagswahl nicht zu machen.
Bis 2002 kriegen wir wohl kein Kernkraftwerk abgeschaltet, nein. Wie soll das auch rechtlich gehen? Das haben Politiker mit sehr ehrgeizigen Ambitionen in die Welt gesetzt. Man kann noch nicht einmal nur wenige Jahre nach dem Zeitpunkt abschalten, an dem eine Anlage vollständig abgeschrieben ist – wenn sie, wie die Kritiker sagen, zu einer reinen Gelddruckmaschine wird. Ich glaube nicht, dass das ein Vorstand je unterschreiben kann, ohne sich mit seinen Aktionären konfrontiert zu sehen.
Also kann die Atomindustrie Rot-Grün aussitzen?
Ich vermag nicht zu prognostizieren, wie die Gesellschaft weiterhin darauf reagiert, dass der Streit um die Kernenergie nicht beigelegt wird. Man kann die Industrie außerdem an den Rechtsstaat erinnern, der sich nicht in jedem Fall für sie krumm und quer legen muss.
Trägt die Kritik der Wirtschaft zum schlechten Eindruck bei, den die Regierung hinterlässt?
Allerdings. Ich überlasse Ihrer Fantasie, warum Arbeitgeberpräsident Hundt am Tag der jüngsten Landtagswahlen noch mal die alte Geschichte vom angeblichen Wortbruch der Regierung aufwärmt. Sie erinnern sich: Die Unternehmensteuerreform gehe nicht wie angeblich versprochen am 1. 1. 2000 los. Monate hatte Hundt darauf verzichtet, und ich hoffte, er hätte seinen Unsinn eingesehen. Doch am Wahlsonntag musste er das Ganze noch mal durch die Gazetten schicken.
Ihr Verhältnis zu den Verbänden der Wirtschaft ist nicht das beste?
Ich lasse mir für die Belange der Wirtschaft den Kopf blutig schlagen – unter zwei Prämissen. Erstens: Wir diskutieren redlich miteinander. Die Behauptung des Wortbruchs zum Beispiel ist aber unredlich. Zweitens: Hinterher stehe ich nicht im Regen.
Sind Sie schon nass geworden?
Noch nicht sehr. Allerdings ist mein Verhältnis zu den Verbänden unterschiedlich, zu vielen sehr gut. Ich bin aber sicher nicht der Lieblingswirtschaftsminister von Industrieverbandschef Henkel.
Dem BDI werfen Sie ja mitunter Scheinheiligkeit vor.
Es geht ja auch manchmal in die Richtung. Der Industrieverband opponiert zum Beispiel gegen die Abwicklung der Kernkraft, obwohl die Unternehmen selbst keine Anlagen mehr bauen wollen. Außerdem habe ich beim Thema Subventionen die Verbände zwischen dem linken und rechten Auge getroffen. Ihre Klientel nimmt das Geld äußerst gerne mit, muss aber zugeben, dass das ordnungspolitisch auf die Dauer schlecht ist und überhaupt nicht zur Forderung nach Senkung der Staatsausgaben passt.
Sind die Verbände inzwischen Ihrer Aufforderung gefolgt und haben Vorschläge für Subventionskürzungen gemacht?
Ihre Antwort lautete schlicht: Mach Ddu erst mal deine Steuerreform – dann schicken wir unsere Vorschläge. Das lässt den Verdacht aufkommen, dass sie keine haben. Manche Reaktionen aus diesen Kreisen sind schon sehr frech – wenn ich etwa an den Satz denke: „Die Politik hat die Subventionen eingeführt, also muss sie sie auch selber abschaffen.“
Sie hatten der Wirtschaft vorgeschlagen, den Arbeitgeberanteil zur Arbeitslosenversicherung abzuschaffen. Die Unternehmen sollten den Entlassenen das entsprechende Geld direkt zahlen. Was ist daraus geworden?
Nichts. Wenn die Wirtschaft sagt: „Das gefällt uns nicht“ – was soll ich da machen? Ich dachte immer, dass es für die Wirtschaft rationeller wäre, die Dinge selbst zu regeln.
Man lässt Sie also doch im Regen stehen.
Ich fühle mich nicht im Regen stehen gelassen. Wir müssen die Gefechtslage sehen. Die Wirtschaftsverbände beklagen die hohen Lohnnebenkosten. Jetzt hatte ich, wie gesagt, 3,25 Prozent Arbeitgeberbeitrag zur Arbeitslosenversicherung zur Diskussion gestellt. Wenn das nicht als machbar betrachtet wird, soll aber auch die Kritik aufhören, dass der Staat diese Versicherung zu teuer organisiert. Denn offensichtlich ist ja keine eigene Regelung gewollt.
Sie wollen Wirtschaft und Gesellschaft lenken. Wohin?
Oberstes Ziel muss sein, möglichst vielen Menschen Arbeit zu geben. Die Wirtschaft soll dem Menschen dienen. Er muss im Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik stehen und nicht der Aktienkurs. Alles andere würde sich gegen die soziale Marktwirtschaft richten.
Die schlechte Stimmung im Lande dürfte daher kommen, dass solche Sätze einen begrenzten Realitätsgehalt aufweisen. Die Arbeitslosigkeit ist kaum gesunken.
Einspruch. Angesichts des lahmen Wachstums seit Mitte 1998 müsste die Erwerbslosigkeit eigentlich noch angestiegen sein. Dass sie das nicht tat, lag an unserer aktiven Arbeitsmarktpolitik – zum Beispiel dem Programm für 170.000 arbeitslose Jugendliche. Gleichwohl: Die Arbeitslosenzahl ist viel zu hoch.
Als ihr wichtigstes Ziel nannte die Bundesregierung vor einem Jahr die Reduzierung der Arbeitslosigkeit. Ex-Finanzminister Lafontaine prognostizierte die Reduzierung der Arbeitslosenzahl auf unter drei Millionen bis 2002. Realistisch?
Ich will keine Zahl nennen. Wenn die Nachfrage auf dem Weltmarkt wie in der Asienkrise wegbricht, können Sie als Bundesregierung kaum gegensteuern. Außerdem zeigt die Lafontainesche Kaufkraftheorie – so richtig sie teilweise ist – noch keine große Wirksamkeit. Die Nettolöhne sind in diesem Jahr um 3,5 Prozent gestiegen. Das müsste die Inlandsnachfrage deutlich beflügeln. Ich betone: deutlich.
Wie wollen Sie denn die Nachfrage im Inland stimulieren?
Durch die Steuerentlastung für die breite Masse. Für ein Konjunkturprogramm des Staates ist kein Geld mehr da. Die heutige Schuldenaufnahme geht bereits an die Grenzen der Verfassung.
Die SPD-Linke verlangt eine neue Vermögensteuer für großen Besitz. Eine gute Idee?
Wir haben schon genug Schaden angerichtet in den letzten zehn Jahren, indem wir viel Geld außer Landes getrieben haben.
Die Vermögensteuer in den USA ist höher, als sie hier jemals war.
Dagegen liegt dort aber die Versteuerung des Einkommens auf einem viel niedrigeren Niveau. Die Steuerbelastung in Deutschland ist insgesamt zu hoch.
Man hält der Regierung vor, die Sparpolitik sei unsozial.
Ich frage Sie: Wo müssen die Nomalverdiener denn sparen? Gut, bei den 630-Marks-Jobs haben wir für Steuerehrlichkeit gesorgt. Aber sonst? Wir haben die kleinen und mittleren Einkommen um 40 Milliarden entlastet. Bis 2002 wird jeder dieser Haushalte rund 3.000 Mark pro Jahr mehr auf dem Konto haben. Die Ökosteuer dagegen wird – falls diese Haushalte überhaupt keine Energie sparen – bis 2002 höchstens 3 Milliarden zusätzliche Belastungen bedeuten. Bleiben Einsparungen in Höhe von 37 Milliarden Mark für kleine und mittlere Einkommen.
Sie empfinden sich als Moderator unterschiedlicher Interessen. Gab es auch radikale Phasen in Ihrem Leben?
Eigentlich nicht – trotzdem hatte ich mitunter Probleme. Ich war ja mal eine Zeit lang Fachhochschullehrer für Mathematik und Statistik in Rheinland-Pfalz. Der Vertrag endete nicht mit meiner vollen Zustimmung. Zuvor hatte ich öffentlich eine Forderung des Marxistischen Studentenbundes Spartakus unterstützt. Die wollten damals den Übergang für die Studenten von der Fachhochschule auf die Universität vereinfachen. Damit habe ich mich solidarisch erklärt – was für Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes als nicht formgerecht betrachtet wurde.
Wie kommen Sie als ehemaliger Manager jetzt mit der politischen Bürokratie zurecht?
Ich empfinde mich noch nicht in vorgerücktem Alter – bin also noch lernfähig.
Interview: Hannes Koch,
Reiner Metzger, Beate Willms
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