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Frauen, Macht und Zeichen

Sie könnten die Role-Models junger Frauen sein: die Politikerinnen Angela Merkel, Renate Künast oder Ségolène Royal. Dabei vermitteln sie unterschiedliche Bilder von Weiblichkeit und Macht: die pragmatische Chefin, die drahtige oder die betont weibliche Chefin

VON DIRK KNIPPHALS

HERAUSFORDERINNEN. Der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich hat neulich über Herrscherbilder nachgedacht. „Mit dem Rücken zur Kunst“, heißt sein Buch – Ullrich war aufgefallen, dass sich viele Politiker heutzutage gerne vor einem möglichst modernen Gemälde fotografieren lassen. Ullrichs These: Die Mächtigen wollen demonstrieren, dass sie die Wildheit der modernen Kunst – und damit der modernen Welt – souverän beherrschen. Als Urbild gilt Ullrich ein Gemälde von 1633, das „Reiterbildnis des Grafen Olivares“ von Diego Velázquez. Darauf sieht man einen Fürsten sicher auf einem sich aufbäumenden Pferd sitzen. Genauso kraftvoll wollen sich nun, sagt Ullrich, die heutigen Mächtigen vor dem Hintergrund der sich aufbäumenden modernen Welt zeigen.

Das Interessante im Zusammenhang mit dem Thema Frauen, Macht und Zeichen: Es gibt auf den vielen Abbildungen in dem Buch nur eine Politikerin, aber dieses eine Bild ist dasjenige, welches dem „Reiterbildnis“ am nächsten kommt. Denn während sich die männlichen Mächtigen möglichst gelassen präsentieren, hat sich Andrea Nahles gleich ganz in Reiterpose breitbeinig auf einen umgedrehten Stuhl gesetzt, die Arme lässig auf die Lehne gestützt und forsch direkt in die Kamera schauend – eine Geste, wie man sie aus Cowboyfilmen kennt. Im Hintergrund prangt dazu die obligatorische wilde Kunst.

Während sich die Männer also als souveräne Platzhirsche präsentieren, gibt Andrea Nahles hier die Herausforderin. Dass ausgerechnet dieses eine Foto mit einer Politikerin so aus den Aufnahmen herausfällt, verweist auf unterschiedliche strukturelle Probleme. Männer stellen sich auf modernen Herrscherbildern in eine Tradition. Sie müssen sie an die aktuellen Gegebenheiten anpassen (deshalb die Kunst), aber auch zeigen, dass sie ihr gewachsen sind (deshalb die ruhige Souveränität).

Frauen dagegen müssen einerseits demonstrieren, dass sie gewillt sind, in diese Tradition einzubrechen (deshalb die Herausforderinnenpose), andererseits zugleich aber auch andere ikonische Weiblichkeitsdarstellungen übertünchen. Man unterschätze nicht die Kraft, die die vielen Madonnendarstellungen der abendländischen Kunst im kollektiven Gedächt- nis immer noch entfalten. Deshalb bei Andrea Nahles die betont frauenuntypische Reiterpose.

FITNESS. Idealtypische Politikerinnenbilder erhält man, wenn man Fotos von Margaret Thatcher und Ségolène Royal nebeneinander hält. Die Unterschiede sind evident. Rüschenbluse, Faltenrock und Handtasche bei der Eisernen Lady – Modeltauglichkeit bei der französischen Präsidentschaftskandidatin. Die Frage ist, nach welchem Schema man diese Unterschiede interpretiert.

Erstes Schema: konservativ versus fortschrittlich. Da ist natürlich etwas dran. Margaret Thatcher affirmiert in ihrem Stil die konservative Ordnung, als deren Ausnahme sie zugleich als mächtige Regierungschefin auftritt. Ségolène Royal dagegen tritt als neuer, moderner Typus Frau auf, der keine Ausnahme, sondern Teil des gesellschaftlichen Machtspiels sein möchte. Allerdings trifft das Schema nicht voll. Es gibt mittlerweile auch im konservativen Lager sich trendig gebende Politikerinnen.

Zweites Schema: zurückgenommene versus selbstbewusste Weiblichkeit. Auch da ist etwas dran. Während Margaret Thatcher defensive Geschlechtlichkeitssignale sendet, stellt Ségolène Royal offensiv dar, dass sie als Politikerin und als Frau attraktiv sein möchte. Allerdings lässt sich Margaret Thatcher manches nachsagen, aber nicht mangelndes Selbstbewusstsein. Und Ségolène Royal fällt nur im Bereich der Politik so auf. In der Schicht des gehobenen Bürgertums, die sie repräsentiert, gehört ihr Wille zum Rollenspagat zum Standard.

Was beiden Schemata in die Quere kommt, ist ein heutiges Zauberwort: Fitness. Man muss es unbedingt mit hinzunehmen, um die Unterschiede richtig zu interpretieren. Margaret Thatcher stammt noch aus einer Zeit, in der man das Fitnessdiktat souverän ignorieren konnte. Ségolène Royal erkennt es an, als Politikerin wie als Frau. Dieser Punkt macht auf vielen Fotos von Politikerinnen längst den entscheidenden Unterschied, über die Lager – und, nebenbei, auch das Geschlecht – hinaus. Ursula von der Leyen: fit. Ulla Schmidt: egal. Renate Künast: fit. Annette Schavan: egal.

INSTITUTIONEN. Das Berliner Stadtmagazin Zitty stellt in seiner aktuellen Ausgabe 37 Chefinnen vor, die, so steht es auf dem Cover, die Hauptstadt „bewegen“. taz-Chefredakteurin Bascha Mika ist darunter, die Köchin Sarah Wiener, die RBB-Intendantin Dagmar Reim, die Chefin des Berliner Hauptbahnhofs Julia Theurkauf und viele andere. Man schaut sich Fotos an und achtet darauf, ob etwas auffällt. Bald möchte man Typen unterscheiden: die Mütterlicher-Typ-Chefin, die „Alles klar, Macho?“-Chefin, die drahtige Chefin, die frisch frisierte Chefin …

Was einem dann aber wirklich auffällt: Die 37 Chefinnen unterscheiden sich genau so, wie sich die 37 von ihnen geleiteten Institutionen unterscheiden. Die Hotelchefin trägt zurückhaltende Eleganz, die Bezirksbürgermeisterin von Lichtenberg kommt handfest daher, und die Mitbegründerin der Modemesse gibt sich stilsicher. Die Dresscodes der Institutionen werden eben auch von ihren Chefinnen erfüllt. Frauen sind offensichtlich nicht (mehr) das Andere der gesellschaftlichen Institutionen, sondern längst Teil von ihnen.

Eine Binsenweisheit? Nun ja. Wenn über das Verhältnis von Macht, Frauen und Zeichen reflektiert wird, wird oft noch über die großen Erzählungen reflektiert – Geschlechterdifferenz, Stand der Emanzipation, Befreiung, solche Sachen. Wie Frauen Institutionen verändern, wenn sie hineingehen (können), wird auch reflektiert. Täuscht aber der Eindruck wirklich, dass die Art und Weise, wie das jeweilige Amt die jeweilige Frau verändert und formt, noch nicht wirklich stark beachtet wird? Falls es nicht täuscht, wäre es an der Zeit, auch das zu beachten, wie die Zitty zeigt. Denn außer dass sie weiblich und dass sie Chefinnen sind, haben die 37 Frauen nichts miteinander gemein. Das ist übrigens durchaus ein Emanzipationsfortschritt, oder?

LEICHTES GEPÄCK. Der Antrittsbesuch der US-Außenministerin Condoleezza Rice bei der Nato in Brüssel war denkwürdig. Die hohen und fast verrufen aussehenden Stiefel, die sie trug, störten die angesagte Zurückhaltung im diplomatischen Ablauf. Condoleezza Rice hatte gewissermaßen ihren Brioni-Ausrutscher. So wie Gerhard Schröder zu Beginn seiner Amtszeit zeigte sie sich zu stylisch und zu geschlechtsbetont. Man spürte sofort, was sie ausdrücken wollte: Ich bin black und Frau und stolz. Aber nicht nur die anwesenden Militärs waren irritiert. Dass Macht und Sexyness so nah beieinander liegen, ist ungewöhnlich.

Dieser Antrittsbesuch war so ziemlich das Gegenteil eines Angela-Merkel-Auftritts. Die erste deutsche Kanzlerin steht unbedingt für Abrüstung in Sachen Geschlechtlichkeit, was nicht hämisch gemeint ist. Eher staunend. Mit Verwunderung stellt man fest, dass bei ihr alle hier aufgeführten Schemata nicht greifen. Schon das Image einer Herausforderin hat sie immer heruntergespielt. Nun, auf dem Gipfel ihrer Macht, legt sie weder ein ausgeprägtes Gehabe eines Platzhirsches – einer Platzhirschkuh? – an den Tag, noch tut sie das Gegenteil. Längst nimmt sie ihre Weiblichkeit auch nicht mehr zurück, stellt sie aber auch immer noch nicht dezidiert aus.

Offensichtlich ist Angela Merkel als Frau mit ziemlich leichtem Gepäck unterwegs. Bloß keinen Prinzipienballast mit sich herumschleppen. Stattdessen von Fall zu Fall mal den einen Aspekt ihrer Persönlichkeit und mal den anderen Aspekt nach vorne kehren. So pragmatisch, wie es diese Politikerin auch sonst als Chefin ihrer großen Koalition hält.

Ikonische Bilder über Weiblichkeit und Macht liegen von ihr deshalb noch nicht vor – sie werden auch, die Spekulation sei erlaubt, nicht mehr kommen. Was immer man von ihrer Politik hält: Nach der Generation Alphatier rund um Gerhard Schröder und Joschka Fischer hat es Merkel binnen kurzem geschafft, dass man bei ihr die Fragen um Geschlecht, Macht und Zeichen zurücknimmt. Schröder und Fischer waren viel mehr Mann, als Merkel jetzt Frau ist. Kann gut sein, dass das als erste Frau in diesem Amt nicht anders geht. Und kann zweitens sein, dass Merkel trotz CDU-Parteibuch damit übergeschlechtlich im Trend liegt. Herrscherbilder findet man ja inzwischen eher merkwürdig.

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