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Henning Scherf muss auspacken

Amtsgericht benennt ehemaligen Bremer Bürgermeister als Zeugen im Prozess um Insolvenz des Expo-Projekts Beginenhof: Der Landes-Chef soll millionenschwere Geldversprechen gemacht aber nicht eingehalten haben

Einem unangenehmen Termin sieht der ehemalige Bremer Landes-Chef Henning Scherf (SPD) entgegen. Wie von der Verteidigung gewünscht, benannte gestern das örtliche Amtsgericht Scherf als Zeugen im Strafprozess um die Insolvenz des Expo-Projekts Beginenhof. Offenbar hat auch das Gericht dringliche Fragen an den Zeugen: „Für die Ladung brauche ich keinen Antrag von Ihnen“, wandte sich der Vorsitzende Hans Ahlers an die Verteidiger. Vor allem interessant: Welche Finanzierungs-Zusagen der Senat seinerzeit gemacht hat.

Die Beginenhof-Pläne hatten bundesweit für positive Schlagzeilen gesorgt. Die Misch-Anlage für Wohnen, Arbeiten und Freizeit war ausschließlich von Frauen konzipiert worden, und sie sollte auch ausschließlich Frauen als Mieterinnen, Existenzgründerinnen und Eigentümerinnen aufnehmen. Der Name stammt aus dem Mittelalter: In Beginenhöfen lebten Witwen und unverheiratete Frauen standesunabhängig in religiösen Gemeinschaften zusammen, ohne sich an einen Orden zu binden.

Weltanschaulich neutral war der moderne Beginenhof in Bremen, eines von nur drei Frauen-Projekten der „Expo 2000“. Er galt zudem als modellhaft für städtebauliches Public-Private-Partnership (PPP). Selten versäumten es Bremer Regierungsvertreter, sich in diesem Glanz zu sonnen. Zuwendungen in Höhe von 7,5 Millionen Mark wurden in Aussicht gestellt. Als im Herbst 2000 mit dem Bau begonnen wurde, floss aber kein Geld: Die Genossinnenschaft erstickte in Schulden und meldete im Sommer 2001 – kaum waren die ersten Wohnungen bezogen – Konkurs an. Opfer der Pleite auch die Baufirma W. aus Aurich.

Insolvenzverschleppung und Subventionsbetrug – gegen diese Anklage müssen sich zwei Vorstandsmitglieder der Genossinnenschaft nun wehren. Die Verteidigung führt dafür die Versprechen des Senats ins Feld. Dass Bremen Millionen zuschießt, soll Scherf noch Mitte März 2001 einem der Chefs der Firma W. zugesichert haben. Der Mann hatte das vor drei Jahren im Zivilprozess vorm Landgericht ausgesagt – und damit dazu beigetragen, dass die Klage seiner eigenen Firma gegen die Beginen zurückgewiesen wurde.

Augenzeugen zufolge reagiert Scherf seltsam auf das Thema: Während einer Lesung sei der Altbürgermeister, der mit Memoiren durch Buchsalons tingelt, auf den Beginenhof angesprochen worden. Daraufhin habe er die Hände vorm Gesicht zusammengeschlagen und geächzt: „Oh, oh, Beginen, sagen Sie nie wieder dieses Wort zu mir.“ Am 27. Juni vor Gericht wird das nicht reichen. BES

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