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„SPD und Grüne liegen dicht beieinander“

Nach den gescheiterten Sondierungsgesprächen vor einem halben Jahr fiel zwischen Grünen und SPD lange kein gutes Wort. Nun nähern sich ihre Landesvorsitzenden Barbara Oesterheld (Grüne) und Michael Müller (SPD) wieder an. Doch Bankenskandal und Wohnungsbau bleiben umstritten

BARBARA OESTERHELD, 55, leitet seit einem Monat mit Irmgard Franke-Dressler den Grünen-Landesverband. Die Parteilinke saß von 1995 bis 2006 im Abgeordnetenhaus und stritt dort seit 2001 für die Aufklärung des Bankenskandals. Von SPD-Chef Müller fordert sie: „Übernehmen Sie Verantwortung“ Fotos: Wolfgang Borrs

MODERATION MATTHIAS LOHRE

taz: Frau Oesterheld, stellen wir uns mal vor, im Herbst wäre es zur rot-grünen Koalition gekommen. Was würden Sie an Ihrem Koalitionspartner Michael Müller und der SPD heute am meisten loben?

Barbara Oesterheld: Loben?

Michael Müller: Das ist aber eine vergiftete Frage.

Oesterheld: Ich dachte, das sei ein Streitgespräch.

Der Streit beginnt bestimmt nach Ihrem vergifteten Lob.

Oesterheld: Tja, was kann ich loben? Die Verleihung der Ehrenbürgerwürde für Wolf Biermann – die hat letztlich ja doch geklappt.

Müller: Aua!

Oesterheld: Auch stehen im rot-roten Koalitionsvertrag viele richtige Dinge. Nur werden sie nicht umgesetzt.

Herr Müller, diese Worte werden Sie sicher beruhigen. Offensichtlich haben Sie sich für den umgänglicheren Koalitionär entschieden.

Müller: Nach der Wahl verhandelten wir ernsthaft mit den Grünen, und in zwei, drei Punkten wurden wir uns nicht einig, beispielsweise bei der Frage der Privatisierung von landeseigenen Unternehmen. Mit der Linkspartei waren wir uns einig: Unternehmensverkäufe wollen wir nicht. Die Grünen sahen das anders.

Apropos Verkäufe: Der Senat will auch die 270.000 landeseigenen Wohnungen behalten, um die Bevölkerungsmischung in den Kiezen beeinflussen zu können. Wie soll das gehen? In Lichtenberg verfügen Sie über gewaltige 34 Prozent aller Wohnungen, in Steglitz-Zehlendorf aber nur über 2,3 Prozent.

Müller: Uns geht es darum, in ganz Berlin die Mietentwicklung beeinflussen zu können sowie bei Belegungsrechten und beim Quartiersmanagement mitzureden. Momentan ist der Mietmarkt entspannt. Das kann in 10, 15 Jahren aber ganz anders aussehen. Deshalb haben wir die Grundsatzentscheidung getroffen, rund 15 Prozent der Berliner Wohnungen in Landeshand zu behalten. Das ist die Quote, die auch andere Großstädte halten. Die Grünen hätten nichts dagegen, Wohnungen, die BVG, die BSR oder Vivantes zu verkaufen.

Oesterheld: Einspruch. Vor sechs Jahren besaß das Land noch fast 400.000 Wohnungen. Ein Drittel der Wohnungen sind seither verkauft worden. Ohne Konzept. Das Problem ist: Der Senat verkauft massenweise Wohnungen und und hält die Unternehmen mit Erlösen aus Wohnungsverkäufen am Leben. Nun gehen auch 3.000 Wohnungen in Spandau über den Tisch. Am Ende stehen wir ohne Wohnungen und Gesamtkonzept da. Wir Grünen wollen einen festen, entschuldeten, gleichmäßig über die Stadt verteilten Bestand. Wer heute mit einem Wohnberechtigungsschein in Friedrichshain-Kreuzberg eine Bleibe sucht, dem wird gesagt: ‚Gehen Sie doch nach Marzahn.‘ Auch Familien mit vielen Kindern werden auf der Strecke bleiben.

Müller: Bei den Wohnungsunternehmen hat sich in den vergangenen Jahren vieles geändert: durch dringend nötige Verkäufe, durch einen harten Konsolidierungskurs und durch neue Geschäftsführungen und Aufsichtsräte. Mittelfristig werden die meisten Wohnungsunternehmen sogar eine Rendite ans Land zahlen können. Wir privatisieren keine Unternehmen der Daseinsvorsorge, auch nicht Vivantes, die BVG oder die Stadtreinigung BSR. Das ist eine eindeutige Haltung – anders als bei den Grünen.

Herr Müller, könnte die SPD nicht die Grünen derzeit gut gebrauchen? Die decken das große Thema Klimaschutz perfekt ab. Anders als Umweltsenatorin Katrin Lompscher von der Linkspartei. Die hat ihr Klimaschutzreferat gerade erst zur Arbeitsgruppe degradiert.

Müller: Die Grünen haben beim Klimaschutz eine Menge Know-how, das gebe ich zu. Und in Sachen Umweltzone innerhalb des S-Bahn-Rings liegen Grüne und SPD sehr dicht beieinander. Ähnlich sieht es beim Nein zum Weiterbetrieb der innerstädtischen Flughäfen aus. Tempelhof ist nicht wirtschaftlich. Und unter Umwelt- und Sicherheitsaspekten sind beide Flughäfen eine Zumutung für die Anwohner.

Weniger eindeutig ist die SPD bei der Frage: Wie halten wir’s mit Vattenfalls Plan, in Lichtenberg ein neues Steinkohlekraftwerk zu bauen?

Müller: Es ist einfach zu sagen: Die CO2-Schleuder wollen wir nicht. Das kann die Opposition leichterhand fordern. Aber was kommt stattdessen? Wir müssen die Stromversorgung in Berlin kostengünstig und langfristig sichern. Darum geht es. Natürlich spielt auch die Sicherung von Investitionen und Arbeitsplätzen in Berlin eine Rolle.

Oesterheld: Finden Sie etwa, wir Grünen fordern immer nur irgendetwas leichterhand?

Müller: Das kann sich die Opposition erlauben.

Oesterheld: Tun wir aber nicht. Wir machen in allen möglichen Bereichen konkrete Alternativvorschläge. Manchmal sogar mehr, als mir lieb ist. Stichwort Vattenfall-Kraftwerk: Erstens muss nachgewiesen werden, wie viel Wärme notwendig ist. Den bislang angegebenen Bedarf halte ich in der Höhe nicht für realistisch. Zweitens setzen wir eher auf Gas als auf Steinkohle. Drittens wollen wir die Strom- und Wärmegewinnung mittelfristig dezentralisieren.

Dezentralisieren? Sie wollen ganz auf das Großkraftwerk verzichten?

Oesterheld: Das ist natürlich nicht im Interesse von Vattenfall, ich weiß. Bisher halten Kraftwerke hohe Effizienzmargen vor – für Zeiten extrem hohen Strombedarfs. Diese Margen werden aber nie erreicht. Bei der Planung, wie leistungsstark neue Kraftwerke werden sollen, muss das eingerechnet werden.

Herr Müller, ist der Senat bei dieser Frage machtlos gegenüber Vattenfall?

Müller: Nein. Vattenfall will ja in Berlin investieren. Hier geht es um einen großen Absatzmarkt. Einfach ein schönes großes Steinkohlekraftwerk zu bauen, wird nicht funktionieren. Aber wir müssen schauen, wie wir vorgehen. Wenn wir einfach Nein sagen, während Brandenburgs Ministerpräsident zehn Kilometer von hier entfernt verkündet, die nächsten 50 Jahre werde dort Braunkohle gefördert und verfeuert – dann haben wir für den Klimaschutz nichts erreicht. Brandenburg und Berlin müssen zusammenarbeiten.

Oesterheld: Da sind wir dabei. Und wenn Sie zudem die Forschung in diesem Bereich voranbringen, beispielsweise bei energiesparenden Baustoffen, dann haben Sie uns an Ihrer Seite, Herr Müller.

Für ein Streitgespräch ist mir das viel zu harmonisch. Wechseln wir das Thema.

MICHAEL MÜLLER, 42, führt Berlins SPD seit Juni 2004. Bereits seit 2001 ist er Fraktionschef im Abgeordnetenhaus. Bei den Sondierungsgesprächen mit den Grünen im Herbst war Müller deshalb immer dabei – und entschied sich gegen Rot-Grün. Nun lobt der gelernte Kaufmann die Verschmähten: „Die Grünen haben viel Know-how“

Oesterheld: Wir können uns gern über die Bankgesellschaft unterhalten.

Genau. Frau Oesterheld, Ihre Partei fordert eine Entschuldigung der SPD, weil auch sie Schuld trage am Bankenskandal. Fordern Sie auch eine Entschuldigung vom SPD-Chef?

Oesterheld: Ich fordere ihn auf, die Verantwortung zu übernehmen. Herr Müller, Sie waren an den Entscheidungen, die 2001 zum Banken-Zusammenbruch führten, nicht persönlich beteiligt. Aber Parteigenossen von Ihnen schon. Deshalb fände ich gut, wenn Sie sagten: ‚Unglaublich vieles bei Gründung und Führung der Bank ist schief gelaufen. Dafür übernehmen wir die Verantwortung.‘ Das finde ich nicht ehrenrührig. Ehrenrührig ist, wenn man sich wegduckt.

Müller: Sozialdemokraten tragen Mitverantwortung für die Gründung und Kontrolle der Bankgesellschaft. Dazu stehen wir, und daraus haben wir Konsequenzen gezogen. Niemand aus der damaligen Führung sitzt heute in einer herausragenden SPD-Position. Insbesondere SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin hat Geschäftsführung und Aufsichtsrat umgekrempelt, heute ist der Konzern saniert. Deshalb war es schon eine dolle Nummer vom Fraktionschef der Grünen, am Tag der Verurteilung von Klaus Landowsky eine Entschuldigung seitens der SPD zu fordern. Die Grünen stellen so Herrn Landowsky und die SPD auf eine Stufe. Das ist unerträglich.

Oesterheld: Herr Landowsky spielt eine Sonderrolle im Bankenskandal, das haben wir immer deutlich gemacht. Aber die Frage heute ist doch: Welche Konsequenzen hat Berlin aus dem Skandal gezogen? Verhalten sich die Aufsichtsräte der Landesunternehmen heute wirklich anders? Ich war entsetzt, als 2005 die Wohnungsbaugesellschaft WBM vor dem Zusammenbruch stand. Es gibt immer noch Mechanismen, die es Aufsichtsräten erlauben, Entscheidungen zu treffen, deren Folgen niemand abgeschätzt hat. Auch die Abgeordneten müssen sich bewusst werden: Wenn sie ihre Hand zur Abstimmung heben, tragen sie große Verantwortung.

Müller: Da hat Frau Oesterheld völlig recht. Deshalb haben wir in Berlin den so genannten Corporate Governance Kodex durchgesetzt. Der besagt, dass das Land nach nachvollziehbaren und transparenten Grundsätzen arbeitet. Vorneweg dabei ist der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit als Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafengesellschaft. Er hat in das gesamte BBI-Verfahren Transparency International einbezogen.

Oesterheld: Apropos Wowereit. Mit seinem Amtsantritt hat das Berlin-typische Meckern aufgehört. Er repräsentiert die Lust, in der Stadt etwas zu bewegen. Zumindest gilt das für die vergangene Legislaturperiode. Nehmen Sie das als Antwort auf Ihre Eingangsfrage, was ich an der SPD loben würde.

Vor dem Gespräch hat Frau Oesterheld ihren Antrittsbesuch bei Ihnen absolviert. Haben Sie für alle Fälle Ihre Handy-Nummer ausgetauscht?

Oesterheld: Wir hatten vorhin keine Zeit. Sie kamen ja dazu.

Müller: Wenn es wichtig ist, erreichen wir uns schon.

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