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Der letzte Rest vom Schützenfest

SATT Verbrauchen, verschwenden: In Deutschland werden 20 Prozent aller produzierten Lebensmittel weggeworfen. Jeden Tag. Wohin mit dem Müll? Drei Vorschläge

Was sollen wir berichten?

■  Der Wunsch: In der sonntaz berichten wir jede Woche über ein Thema, das eine Leserin oder ein Leser vorgeschlagen hat. Diesmal kam die Anregung von Bernd Hutmacher. Er wollte gerne wissen: „Was passiert mit all den Lebensmitteln, die nicht verkauft werden? Wegen abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum, wegen nicht verkauft oder – in Restaurants – wegen nicht gegessen?“

■  Der Weg: Haben Sie auch eine Anregung für uns? Senden Sie Ihren Vorschlag an open@taz.de oder mit der Post an die tageszeitung, Redaktion sonntaz, Annabelle Seubert, Rudi-Dutschke-Straße 23, 10969 Berlin.

VON MARIE-CLAUDE BIANCO

TAFELN

Übrig

Die Tafeln gibt es seit über 16 Jahren, sie sind ein bundesweiter Verband gemeinnütziger Vereine. Ehrenamtliche sammeln bei Händlern, Supermärkten und Produzenten überschüssige, aber essbare Lebensmittel – um sie an wirtschaftlich Benachteiligte weiterzugeben. Tausende Betriebe unterstützen die Tafeln direkt mit Spenden. Ziel ist, Bedürftigen in ganz Deutschland beim Überbrücken schwieriger Zeiten zu helfen. Und zu verhindern, dass wertvolle Lebensmittel einfach weggeschmissen werden.

Wer bekommt’s? Alle, die über wenig Geld im Monat verfügen, aufgrund einer kleinen Rente, Arbeitslosengeld I und II. Oder Geringverdiener. Die Bedürftigkeit muss nachgewiesen werden, etwa durch den Rentenbescheid.

Kosten? Die Lebensmittel gibt’s umsonst oder für einen kleinen symbolischen Preis.

Hygiene? Bei der Abgabe des Essens werden die Lebensmittelhygieneverordnung und das Infektionsschutzgesetz beachtet.

Mitmachen? Darf jeder. Privatpersonen spenden entweder Geld oder ihre Zeit – als ehrenamtliche Helfer. Unternehmen können und sollen die Tafeln mit Geld oder Sachspenden unterstützen. Gibt es in der Region keine Tafel, kann zusammen mit dem Bundesverband auch eine neue Tafel initiiert werden.

BRÖTCHEN

Gestrig

Brot vom Vortag wird seit vielen Jahren bei den verschiedensten Bäckereien angeboten. Für wenig Geld. Dafür eignet sich nur traditionell hergestelltes Brot, industriell verarbeitete Ware wird hart und schmeckt nicht.Inzwischen gibt es bundesweit Geschäfte, die sich auf den Verkauf von Backwaren des Vortags spezialisieren. Sie verstehen sich nicht als Konkurrenz zum Bäcker, sondern als Erweiterung. Die Ausstattung der Läden ist schlichter, es gibt keine belegten Brötchen – und geöffnet wird auch später als beim regulären Bäcker. Davon profitieren alle: Die Bäckereien sparen sich die Entsorgungs- und Lagerkosten. Die Verbraucher bekommen gute Waren zu günstigen Preisen. Die Geschäftsleute schaffen neue Arbeitsplätze. Und die wenigen Reste, die dann noch anfallen, werden nicht gelagert, sondern gespendet. Zum Beispiel an Gnadenhöfe für Tiere.Wer bekommt’s? Jeder darf hier einkaufen. Es sind keine Sozialläden, daher muss auch niemand seine Bedürftigkeit nachweisen. Kosten? Brot und Brötchen kosten im Schnitt die Hälfte. Hygiene? Die Backwaren werden abends bei den Bäckereien eingesammelt, auf Frische kontrolliert und unter Beachtung aller Hygienevorschriften am nächsten Tag weiterverkauft. Sahnetorten und andere verderbliche Torten werden nicht angeboten. Mitmachen? Hingehen. Kaufen. Reinbeißen.

CONTAINERN

Faulig

Unter Containern, auch Mülltauschen genannt, versteht man das Mitnehmen weggeworfener Lebensmittel aus Abfallcontainern. Es ist eine schnelle, effektive und zudem ressourcensparende Methode, an Essen zu gelangen. Rechtlich liegt das in einer Grauzone. Auch Müll hat in Deutschland einen Besitzer, also ist das Mitnehmen weggeworfener Dinge eigentlich Diebstahl. Meistens werden Verfahren gegen Mülldiebe aber wegen mangelnden öffentlichen Interesses eingestellt. Wer bekommt’s? Jeder, der seine Ekelgefühle überwindet, kann die Müllcontainer der Supermärkte seiner Umgebung abklappern. Kosten? Die Lebensmittel gibt’s umsonst. Hygiene? Die Lebensmittel werden aus Müllbehältern gefischt. Für Hygiene muss jeder selbst sorgen. Waschen, faule Stellen abschneiden, durchgaren. Mitmachen? Kann jeder, der sich traut. Viele kommen aus Geldnot zum Containern, die meisten sind allerdings auch politisch motiviert. Kritik an der Konsum- und Wegwerfgesellschaft hat zu dieser Protestbewegung geführt. Weil es sich in Gemeinschaft noch besser containert, haben sich Container-Kontaktbörsen gebildet. Dort kann man sich zum kollektiven Müllfischen verabreden oder Tipps und Adressen der besten Standorte austauschen.

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