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Zweifel am Billiglohnmodell

KLAGEN Nachbarländer haben sich bei der EU-Komission über das Lohndumping in Deutschland beschwert. Aus der Fleischindustrie selbst kommen Stimmen, die um das Image fürchten

Werkarbeiter

■ Bis zu 90 Prozent der Arbeit in Schlachthöfen ist laut Gewerkschaften durch Werkverträge organisiert.

■ 8.000 bis 10.000 Menschen arbeiten insgesamt in den Schlachtbetrieben.

■ In Niedersachsen hat die Branche laut Agrarministerium einen Umsatz von vier bis fünf Milliarden Euro im Jahr.

■ In der Vergangenheit sollen Dumpinglöhne zwischen drei bis sieben Euro gezahlt worden sein.

■ Seit August gilt ein branchenweiter Mindestlohn von 7,75 Euro.

Ein Kilo Schweinebraten gibt es im Supermarkt schon für Aktionspreise unter 3,50 Euro. Um das möglich zu machen, arbeiten tausende Werkarbeiter aus Osteuropa in den Kühlhallen norddeutscher Schlachthöfe. Sie sind bei Subunternehmen beschäftigt und akzeptieren niedrigste Löhne, weil sie in ihren Herkunftsländern noch weniger verdienen würden.

Frankreich und zuletzt Belgien haben sich deswegen bereits bei der EU-Kommission beschwert. Die schmale Bezahlung würde den Wettbewerb verzerren. Im Beschwerdebrief Belgiens war auch die Rede von „Sozialdumping“. Die Arbeiter aus Osteuropa würden in Deutschland nicht nur systematisch schlechter bezahlt als ihre deutschen Kollegen. Sie hätten auch keinen Zugang zum regulären Arbeitsmarkt und profitierten nicht von entsprechenden Sozialleistungen.

Gerhard Bosch, Professor für Arbeitssoziologie in Duisburg, sagt über die Werkarbeiter: „Sie sind die, die ganz unten sind, das schwächste Glied in der Prekarisierungskette.“ Die Werkarbeiter sind für ihn eines der drastischsten Zeichen einer Gesellschaft, die in den letzten 20 Jahren ihren Niedriglohnsektor beständig ausgebaut hat. Jeder Vierte arbeitet in Deutschland mittlerweile für geringste Bezahlung. Getoppt wird das EU-weit nur von Litauen. Der durchschnittliche Verdienst liegt bei rund 6,60 Euro. In der Fleischbranche soll es laut Gewerkschaften in der Vergangenheit noch deutlich billiger gegangen sein.

Was schlecht für die Arbeiter ist, ist gut für die Konzerne, sollte man denken. Der Pressesprecher von Danish Crown, Jens Hansen, bestreitet das allerdings. Sein Unternehmen ist einer der größten Schlachter und Fleischverarbeiter weltweit und mit vier Niederlassungen in Norddeutschland vertreten. Hansen sagt, die Lohnkosten seien nicht maßgeblich für die Wahl des Standortes. Zwar sei Deutschland auch wegen der Lohnkosten interessant. Das Land sei aber vor allem ein großer Markt: „Hier gibt es einfach viele Leute und die essen viel Fleisch.“ Ein Unternehmen wie Danish Crown müsse hier vertreten sein.

In Dänemark liegen die tariflich gesicherten Stundenlöhne in der Fleischindustrie bei 20 Euro. Immer wieder entlässt der Konzern deswegen Mitarbeiter im Stammland. Danish Crown ist natürlich nicht der einzige Schlachter, der in Deutschland günstige Arbeiter aus Osteuropa findet. Andere Konzerne heißen Tönnies, Vion und Westfleisch. Weil Deutschland so ein Dumpingparadies ist, sollen aber allein in Dänemark zwischen 2008 und 2013 rund 15.000 Arbeitsplätze in der gesamten Fleischbranche verloren gegangen sein, schreibt die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten in einem Bericht.

Seit August gibt es nun einen Mindestlohn in der Branche, der Dumpinglöhne verhindern soll. Mindestens 7,75 müssen die Arbeiter seither in der Stunde bekommen. Außerdem hat die Branche einen Verhaltenskodex für den Umgang mit ihren Beschäftigten verabschiedet. Darin finden sich vor allem Selbstverständlichkeiten: Die Löhne dürfen nicht mehr in bar ausgezahlt werden, Arbeitswerkzeuge – wie Messer – müssen zur Verfügung gestellt werden, die Kosten für Miete und Transport zum Arbeitsplatz sollen „angemessen“ sein. Unternehmen, die den Kodex unterschreiben, verpflichten sich, nur noch Subunternehmer zu beauftragen, die den Kodex einhalten.

Die Fleischindustrie hat offenbar aber auch vitales Interesse daran, dass die Löhne nicht absurd niedrig bleiben: Jens Hansen betont, dass sich vor allem Danish Crown für den Mindestlohn eingesetzt habe. Schließlich sei die Branche auch durch miese Löhne in Verruf geraten. „Wir sind auf unsere Licence to Operate angewiesen“, sagt er und meint damit die gesellschaftliche Akzeptanz der Fleischindustrie. Ein Mindestlohn ist gut für’s Image.

Der Arbeitssoziologe Bosch sagt, im Moment unterbiete „der schlechte Unternehmer den guten Unternehmer und der schlechteste den schlechten Unternehmer“. Zum Teil könnten sich die Unternehmen dadurch gar nicht mehr um ihre Kunden und auch nicht mehr um Innovationen kümmern. So stünden am Ende alle schlecht da.  JAKOB EPLER

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