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BKA drängt zur Eile

Sicherheitschefs fühlen sich ohne Online-Durchsuchung „taub und blind“. Kritiker warnen vor Gesetzentwurf

WIESBADEN taz ■ Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke, sagte es am Mittwochmorgen während der Herbsttagung seiner Behörde in Wiesbaden abgefedert: „Klassische kriminalgeografische Räume werden durch den virtuellen Raum entgrenzt.“ Er nahm das Thema des dreitägigen Kongresses, „Tatort Internet – eine globale Herausforderung für die innere Sicherheit“, zum Anlass, die schleunige Verabschiedung des BKA-Gesetzes ohne Abstriche zu fordern. Der Staat laufe sonst Gefahr, durch „die Ungleichzeitigkeiten von Technik und Recht“ bei der Gefahrenabwehr vor allem des internationalen Terrorismus „blind, taub und handlungsunfähig“ zu werden. Deshalb müssten auch Online-Durchsuchungen möglich sein. Ziercke sah sich einig mit Bundesinnenmister Schäuble (CDU), der schon am Dienstag zur Eröffnung der Veranstaltung „Sympathien“ für diesen Wunsch „aller Sicherheitsbehörden“ bekundet hatte.

Online-Durchsuchungen, so Schäuble und Ziercke unisono, sollten keine Massensammelei von Daten sein, sondern nur auf Anordnung des BKA-Präsidenten und mit richterlicher Genehmigung vorgenommen werden. Kritiker hielten dagegen, dass der Gesetzesentwurf Hintertüren offen lasse. In Paragraf 20 sei vorgesehen, dass Ziercke auch Vertreter beauftragen könne und bei „Gefahr im Verzug“ sofort unbemerkt in die Rechner Verdächtiger eingedrungen werden dürfe. Die richterliche Entscheidung könne mit einer Dreitagesfrist nachgereicht werden.

Schwerpunkt der Tagung war, neben Kinderpornografie und Rechtsextremismus, die Bekämpfung des internationalen, islamistischen Terrorismus. Der Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Elmar Remberg, betonte den „völligen Einklang“ mit dem BKA. In Deutschland gebe es zwar keinen Grund zur Hysterie, aber die dezentralen, „amorphen Strukturen“ der Terroristen verlangten bessere Instrumente auch „im Vorfeld“. Er verwahrte sich gegen Vorwürfe, die Sicherheitsbehörden strebten einen Überwachungsstaat an. Man wolle nicht eine „günstige Gelegenheit“ zur Steigerung der eigenen Befugnisse ausnutzen, betonte Remberg, sondern nur eine „Anpassung an die technischen Gegebenheiten“, um die Sicherheit der Bürger zu schützen.

Der Journalist Yassin Musharbash referierte über die seit 2001 veränderten Internet-Aktivitäten von Terrororganisationen. Das Netz werde mittlerweile als „Fernuniversität“ mit den Fakultäten „Sprengsätze“ und „Selbstmordattentat“ genutzt. Es biete nicht nur Bombenbaukurse, sondern sei auch „virtuelles Trainingscamp“ bis hin zu Ernährungstipps, biete Hilfe zur Organisation von Sympathiesantengruppen und zur Rekrutierung von Kämpfern an. Für die sogewonnenen Ehrenamtsterroristen sei es nicht mehr nötig, sich vor dem Attentat den Segen ihrer religiösen Führer zu holen, so Musharbash. Jedoch sei es „vom Download bis zur Bombe immer noch ein langer Weg“. Nicht jede verbale Kraftmeierei im Internet führe wirklich zum Anschlag. Die „Online-Uni“ habe „erhebliche Mängel“, viele technische Anweisungen seien fehlerhaft. Auch al-Qaida vertraue bisher lieber auf die Ausbildung in realen Camps. HEIDE PLATEN

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