: "Diskutieren kann man nur mit ein paar Grünen"
■ Für den CDU-Fraktionvorsitzende Klaus-Rüdiger Landowsky sind die umstrittenen Äußerungen von Innensenator Schönbohm ein legitimer Versuch, den rechten Rand zu integrieren. Bei der SPD vermißt
taz: Was ist Ihr Leitbild: Ist Berlin multikulturelle Metropole oder die Hauptstadt der Deutschen?
Klaus-Rüdiger Landowsky: Berlin ist sowohl Metropole als auch Hauptstadt unseres Landes. West-Berlin war immer eine internationale Stadt mit vielen Ausländern und Millionen Besuchern. Das Thema Ausländer ist deswegen in erster Linie ein emotionales Problem für ostdeutsche Länder und Ost-Berlin, weil sie wenig Erfahrungen im Zusammenleben mit Ausländern haben. Da prallen Entwicklungskulturen aufeinander. Das schafft Spannungen, Ängste und setzt Agressionen frei. Deswegen muß man aufpassen, wie man unter Bewahrung des Miteinanders diese Probleme löst.
Bedeutet das, daß die Konzeption der CDU einer liberalen Großstadtpartei nicht mehr taugt für die Lösung der Probleme?
Die taugt. Die liberale und tolerante Großstadtpartei ist die Vision des nächsten Jahrtausends. Politik muß Spannungen, die sich aus dem Zusammenleben unterschiedlicher Menschen ergeben, mildern. Die derzeitigen Vorwürfe gegen Innensenator Jörg Schönbohm beruhen deswegen auf einem Mißverständnis. Schönbohm will im Kern unsere ausländischen Mitbürger anhalten, sich mit gleichen Chancen in der Stadt zu bewegen. Das setzt nun einmal Sprachkenntnis voraus. Wer gebrochen oder gar nicht deutsch spricht, mindert seine Chancen für die Zukunft. Da unsere Gesellschaft nicht so angelegt ist, daß die vernunftsmäßige Überzeugung immer Maßstab des Handelns ist, will Schönbohm das Thema „Sprache erlernen“ unter ein staatliches Sanktionsgebot stellen.
Das gibt doch den Ton der Debatte vor, sofort auf Sanktionen zu setzen, statt Integrationsangebote zu verstärken.
Nur wenn man Schönbohm das falsche Motiv unterstellt. Es ist eine zulässige Sache, auf Menschen, die in Deutschland bleiben wollen, einen staatlichen Druck auszuüben, die deutsche Sprache zu erlernen. Denn das Nicht-Erlernen wird ein gesamtgesellschaftliches Problem, weil es hohe Arbeitslosigkeit und in der Folge auch mehr Kriminalität produziert. Daher ist es eine Präventivmaßnahme insbesondere zu Gunsten junger ausländischer Mitbürger, darauf zu drängen, die deutsche Sprache zu erlernen.
Tatsächlich entsteht aber der Eindruck, daß nicht mehr der CDU-Landesvorsitzende, sondern der Innensenator Schönbohm die politische Linie der CDU in dieser Frage bestimmt.
Nein. Es gibt immer Politiker, die aus ihrem Fachbereich eine fachspezifische Verantwortung haben. Das ist nun einmal bei der Innenverwaltung als Querschnittsreferat der Fall. Dabei ist Schönbohm kein Rechter im eigentlichen Sinne.
Und im uneigentlichen Sinne?
Schönbohm formuliert bestimmte Dinge aus seiner Sicht prägnanter. Daraus wird ihm dann der Vorwurf gemacht, er gehöre ins rechte Spektrum. Das war das Problem aller Innensenatoren. Schönbohm wird in eine Ecke gedrängt, in die er überhaupt nicht hingehört. Die CDU bleibt jedenfalls eine große, tolerante und liberale Großstadtpartei. Aber Schönbohm hat recht: Man darf Spannungen, die latent vorhanden sind, nicht ignorieren.
Besteht nicht in den politisch anfälligen Schichten der Stadt die Gefahr, daß die Äußerungen Schönbohms nicht als Verbesserung der Integrationschancen verstanden werden, sondern als Parole gegen die Ausländer?
Schönbohm formuliert die Ängste der Menschen und nimmt sie mit auf einen demokratischen Weg. Das finde ich legitim. Jede Partei hat die Aufgabe, die Ränder demokratisch zu integrieren.
Wie will die CDU mit dem rechten Potential umgehen?
Ich möchte nicht die marschierenden NPD-Leute überzeugen, die CDU zu wählen. Gegen NPD und Republikaner bin ich rigoros – so wie ich auch rigoros gegen extrem linke Parteien stehe. Da gibt es für mich auch keinen moralischen Kompromiß. Es ist die wichtigste Aufgabe der demokratischen Parteien, dafür zu sorgen, daß sich die Gesellschaft human und gewaltfrei entwickelt.
Wie steht es um die Große Koalition? Finden Sie es normal, daß der Koalitionspartner in der Figur des Landesgeschäftsführers der SPD, Norbert Meisner, sich dieser Tage mit dem Bündnisgrünen Wolfgang Wieland zu einem Koalitionsprojekt verabredet?
Das ist der hilflose Versuch alter Männer, eine abgewählte Konstellation Rot-Grün noch mal in Erinnerung zu rufen. Eine rot-grüne Perspektive für die Stadt halte ich für eine rückwärtsgewandte. Wenn ich mir den Inhalt dessen anschaue, was sie zu bieten haben, dann ist die SPD blutleer geworden. Sie ist unvisionär, rückwärtsgewandt und buchhalterisch veranlagt. Wo sind eigentlich die Visionen, den Beginn des nächsten Jahrhunderts zu gestalten? Das fehlt. Die Sozialdemokraten haben eine Sachbearbeiter-Mentalität. Da wird fleißig abgearbeitet.
Aber sehr haushälterisch, was nötig ist.
Aber Geld ist doch Mittel zum Zweck und nicht Zweck. Man muß doch wissen, wofür man Geld einsetzen will. Wer sich heute die Ressourcen sichert, dem wird es morgen besser gehen. Wo beispielsweise heute die Verkehrstechnik angesiedelt wird, da verbleibt sie. Verkehrstechnik ist für Berlin eine Jobmaschine für die Zukunft. Davon könnten unmittelbar und mittelbar eine halbe Million Menschen leben. Berlin lebt mehr von Forschung und Wissenschaft, Bildung, Ausbildung, Kunst und Kultur als von der Fertigung von Schrauben. Intelligenz und Wissen sind die Ansiedlungsfaktoren, die darüber entscheiden, ob die Menschen im nächsten Jahrhundert in der Stadt Arbeitsplätze bekommen oder nicht.
Die SPD glaubt möglicherweise, ihre Visionen eher mit den Grünen verwirklichen zu können?
Welche Visionen? Die Politik der SPD ist doch keine Alternative zu unserem Entwurf, sondern eher eine Kopie. Nur Momper formuliert eine Alternative. Aber wenn ich heute Politik wie Momper machen würde mit einer rigorosen Privatisierung, wo die Menschen in den Betrieben Angst um die Arbeitsplätze haben müssen, dann haben sie schlagartig fünfzig- bis hunderttausend Menschen auf der Straße. Wir als CDU achten darauf, ob es den Menschen sozial zumutbar ist, was hier an Privatisierung passiert. Auf Personalversammlungen haben wir deswegen auch in schwierigen Situationen eine viel größere Akzeptanz als Sozialdemokraten. Was heute ordnungspolitisch bei der SPD läuft, ist FDP-Programm und Wirtschaftsliberalismus. Das mache ich nicht. Und da frage ich mich, was für Visionen haben Sozialdemokraten für die Zukunft? Ich versuche, das rauszufinden: Frau Fugmann hat keine Vision, Böger ist ein fairer Händler der Koalition, Frau Bergmann hat keine Vision, Körting hat keine Vision. Frau Stahmer hat jetzt die kleine Vision, ein paar grundständige Gymnasien zuzulassen... Ich würde gerne über Visionen streiten. Ich habe mit Gregor Gysi in der Kulturkneipe zwei Stunden diskutiert und mit Lothar Bisky in der Berliner Zeitung. Da können Sie echt über inhaltliche Fragen streiten – ob Verstaatlichung der Wirtschaft oder Werte – zwischen CDU und SPD gibt es keine derartigen Diskussionen. Man kann allenfalls mit ein paar Grünen streiten.
Im nächsten Jahr kommt die Bundesregierung nach Berlin. Wie weit sind wir denn hier mit den Visionen, den großen Vorhaben?
Die Stadt kann ja nicht die Bundespolitik dominieren, aber wir haben uns immer als Trendsetter verstanden. Heute haben wir in Berlin eine – wenn auch eine geringe – Chance, das Verhältnis in der Republik zu Ost und West mitzubeeinflussen. Wir sind „Deutschland im Kleinen“. Wenn das Zusammenwachsen in Berlin nicht gelingt, dann wird es in der Republik nicht gelingen. Deswegen bemühen wir uns, ein Aufeinanderzugehen zu erreichen, das beispielgebend ist. Und ich glaube, daß in neun Jahren sehr viel erreicht worden ist, trotz der Probleme, die wir hier in der Stadt haben.
Die Stadt muß demonstrieren, daß sie auch mit Menschen, die anders sind und anders denken, human, möglichst gelassen und friedlich umgeht, ob das am Christopher Street Day ist oder die Schwulenwoche oder die Love Parade. Das ist auch eine Funktion der Hauptstadt. Und was hat die Stadt über die Eigenversorgung ihrer dreieinhalb Millionen Bürger hinaus eigentlich der Republik oder Europa zu geben? Das ist Wissenschaft, das ist Kultur. Die Freie Universität müßte eigentlich 25 Prozent ihrer Studienplätze für Ausländer freihalten. Das sind die Eliten, die – wenn sie nach Hause kommen – ihr Verhältnis zu Deutschland danach bemessen, was sie hier erlebt haben und wie mit ihnen umgegangen wurde.
Muß Berlin mehr tun für die Elitenbildung? Die aktuelle Diskussion um das Schulsystem ist ja grundsätzlicher Art und bezieht sich nicht nur auf Bonner Kinder.
Überhaupt nicht. Zunächst müssen wir absolute Priorität bei Ausbildung und Bildung setzen, und zwar in gefächerter Form: nicht die Gleichheit auf niedrigstem Niveau. Man braucht sich nur grüne und sozialdemokratische Eltern ansehen; auch die wollen für ihre Kinder nur die besten Schulen. Die Universitäten müssen eher ausgebaut als abgebaut werden. Die Koalition läßt leider nur ein Einfrieren zu. Wir haben mit Verträgen versucht, die Existenz zu sichern, aber das reicht nicht. Die Universitäten müßten ein unterschiedliches Profil entwicklen: die TU technisch organisiert, die HU als allgemeine Berliner Universität, die FU als internationale Universität. Die Kunsthochschulen halte ich beide für außerordentlich wichtig, wie die ganze Theater- und Kulturlandschaft. Ein unendliches Feld, das man schützen und stützen müßte. Das entscheidet darüber, ob wir morgen in der Welt ein relevanter Ort des Geistes sein werden.
Signal ist aber nicht „schützen und stützen“, sondern „stutzen“.
Wenn Sie fair sind, müssen Sie sehen, daß unser Kampf immer gegen die Haushälter und die Buchhälter geht. Wir, die CDU, kommen auch jetzt bei den Haushaltsverhandlungen wieder mit dem Plan: Wenn wir privatisieren, dürfen wir nicht nur für das große Loch privatisieren. Wir müssen einen Anteil von 10 Prozent in einen Zukunftsfonds leiten.
Aber aus dem Zukunftsfonds allein, ist alles das, was Sie immer wieder fordern, nicht finanzierbar.
Wir haben einen sehr großen Teil an Aufgaben, die nicht zu reduzieren sind. Fast alles, was wir heute an Sozialleistungen erbringen, erbringen wir aufgrund von Bundesgesetzen. Da sind wir gebunden. Ich glaube nicht, daß noch in nennenswertem Umfang gekürzt werden kann. Die Belastungsgrenze ist erreicht: „Oberkante Unterlippe“. Im Kern brauchen wir mehr Einnahmen, etwa durch eine höhere Nettoneuverschuldung oder den Verkauf toten Vermögens. Das muß man dem Bürger aber auch erklären, daß es um seine Zukunft geht. Derzeit findet die Vermittlung nicht statt. Interview: Barbara Junge und Gerd Nowakowski
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen