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Einbürgerungshemmnis Frau

Sie sollte das große Reformwerk der rot-grünen Bundesregierung werden: die doppelte Staatsbürgerschaft. Doch selbst wenn es gelingt, sie trotz des Wechsels in Hessen durchzusetzen, werden Frauen weniger davon profitieren als Männer. Denn viele Migrantinnen können die Voraussetzungen gar nicht erfüllen  ■ Von Jeannette Goddar

Wir werden in Deutschland alt werden“, sagt sie. Ayse K. ist jetzt fünfzig. In der Hand hält sie einen Antrag auf Versorgungsrente – jetzt, wo sie Deutsche ist, hat sie endlich auch Anspruch darauf, zumindest einen Teil der Gelder, die sie in die Rentenkasse eingezahlt hat, zurückzubekommen. Fast zwanzig Jahre hatte sie in einem Krankenhaus in Berlin-Neukölln geputzt und geschrubbt. Schon seit ein paar Jahren kann sie nicht mehr arbeiten.

Es ist noch gar nicht lange her, daß die türkische Berlinerin den Traum von einem Rentnerinnendasein in der Türkei aufgegeben hat. Erst vor zwei Jahren hat sie sich dazu durchgerungen, den deutschen Paß zu beantragen. „Ich hatte Angst“, erzählt sie in gebrochenem Deutsch, „und man wußte ja auch nie, ob man nicht doch zurückgeht.“ Erst als klar war, daß ihre Kinder Deutschland nie verlassen würden, akzeptierte sie den Gedanken, sich auf das Hierbleiben festzulegen. Als Deutsche fühlt sie sich deswegen aber nicht.

Für die meisten Migrantinnen, die an diesem Vormittag in den Räumen des Türkischen Frauenvereins in Berlin-Kreuzberg sitzen, war die Entscheidung für einen deutschen Paß eine rein pragmatische. „Bürokratisch ist das schon sehr nützlich“, sagt die Krankenschwester Emine G. , „aber ich habe in der Türkei auch nichts zu verlieren.“ Bei ihrer Mutter sei das völlig anders. „In der Türkei ist sie in ihrem Alter schon rentenberechtigt“, sagt sie, „als Deutsche würde sie dort aber keine Rente bekommen.“ Gerade Frauen der ersten Generation haben häufig noch in beiden Ländern jahrelang in die Rentenkasse eingezahlt.

„In der Türkei bekommen sie zwar auch wenig Geld“, sagt Aysin Yesilay- Inan, „aber dort könnten sie vielleicht eher davon leben.“ Aysin Yesilay-Inan, die im Türkischen Frauenverein als Beraterin arbeitet und vor allem beim Ausfüllen zahlloser Formulare hilft, sieht gerade für Frauen, die sich hier keine eigene Existenz aufgebaut haben, ein Problem darin, den türkischen Paß abzugeben. „Viele haben Ahnengrundstücke in der Türkei; das ist oft ihr einziger Besitz. In türkischen Ehen ist es immer noch alles andere als üblich, daß das Einkommen des Mannes geteilt wird.“ An die Grundstücke wiederum kommen die Frauen nur heran, solange sie Türkinnen sind: Ohne türkischen Paß kein türkisches Erbe. Andererseits beobachtet Yesilay-Inan aber auch, daß es Frauen oft leichter fällt als Männern, auf den Paß ihres Heimatlandes zu verzichten. „Vielleicht liegt es daran, daß sie weniger patriotisch denken.“

Vor allem den Ehefrauen, die entweder ihren Männern folgen oder nach Deutschland verheiratet werden, ohne ihren zukünftigen Lebenspartner überhaupt zu kennen, könnte eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts zumindest ein bißchen früher zur Unabhängigkeit verhelfen. Darunter fallen nicht nur türkische und arabische Frauen, die hier Türken oder Araber heiraten. „Auch immer mehr Asiatinnen werden ins Land geholt, um einen Deutschen zu heiraten“, sagt Thuy Nonnemann vom Berliner Vietnam-Haus. „Viele von ihnen enden hier völlig hilflos in katastrophalen Zuständen – eingesperrt, erpreßt oder mißhandelt.“

Gegen den unerträglichen Zustand wehren dürfen sie sich bisher erst nach vier Jahren – vorher bekommen sie kein eigenständiges Aufenthaltsrecht. Nach den rot- grünen Plänen könnten sie immerhin nach zwei Jahren Ehe die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Und auch wenn damit vielleicht nur „zwei Jahre Mißhandlung gespart“ werden, wie Hatice Pekyigit von der Berliner Beratungsstelle TIO zynisch anmerkt: Zwei Jahre Mißhandlung sind lang. Dennoch setzen sich sämtliche Migrantinnenverbände weiterhin dafür ein, daß Frauen mit ihrer Ankunft einen eigenen Aufenthaltsstatus bekommen.

Denn auch die Fälle, in denen Frauen von Migranten nachgeholt werden, häufen sich in letzter Zeit enorm. „Viele Männer kommen mit den Frauen der zweiten Generation überhaupt nicht klar“, beobachtet Pekyigit. „Dann werden aus der Türkei Frauen eingeflogen, die sie für gefügiger halten. Sie kommen hier an und sind völlig hilflos, weil sie kein Wort Deutsch sprechen und keine Menschenseele kennen.“

Die Männer wiederum, auf die die Mädchen und Frauen hier träfen, seien „oft noch konservativer als ihre Väter in der Türkei“, beobachtet die Saarbrücker Psychologin Ferah Aksoy, die sich schwerpunktmäßig mit jugendlichen Musliminnen beschäftigt. „Die jungen Frauen hoffen auf ein tolles Leben und stellen mit Entsetzen fest, daß ihr Leben hier schlimmer ist als in der Türkei.“ Einen Weg zurück gäbe es für die meisten nicht; wegen des Gesichtsverlusts, aber auch, weil viele alles aufgegeben hätten. Da sei es schon ein enormer Vorteil, so Aksoy, wenn der deutsche Paß in der Handtasche liege: „Sicherheit nimmt immer auch ein Stück Unterlegenheit.“

Was ein neues Staatsbürgerschaftsrecht für die Mehrheit der ausländischen Frauen, die nicht kürzlich erst zugereist sind, bedeutet, ist noch offen. Die meisten Migrantinnen, die in der Frauenarbeit tätig sind, glauben nicht an einen plötzlichen emanzipatorischen Effekt. „Die meisten Familien, die in den sechziger Jahren gekommen sind, stammen aus traditionell konservativen ländlichen Regionen“, erklärt Aksoy, „und viele haben sich von ihren Werten kaum distanziert.“ Die Töchter aus diesen Familien teilt Aksoy grob in drei Gruppen ein: Die, die völlig dem Rollenbild ihrer Eltern entsprechen; die, die sich durch Tricks und Notlügen ihre Freiheiten erkämpfen sowie eine kleine Minderheit selbstsicherer Immigrantinnen. „Die letzte Gruppe wird größer werden“, sagt Aksoy, „gerade in Berlin läßt sich das heute schon beobachten. Aber derartige Prozesse dauern sehr lange.“

Gravierend ändern könnte sich allerdings das Selbstverständnis der Generation, die nach der Einführung eines neuen Staatsbürgerschaftsrechts zur Welt kommt und ohne aktives Zutun der Eltern die deutsche Staatsbürgerschaft erhält. „Heute ist es gang und gäbe, daß Eltern ihren Kindern drohen: Wenn du nicht gehorchst, schicken wir dich in die Türkei“, sagt Sanem Kleff von der Berliner Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, „dann heißt es, deine Omi in Anatolien wollte dich schon immer bei sich haben. Oft genug werden vor allem Mädchen tatsächlich für ein paar Jahre zurückgeschickt und haben massive Probleme, wenn sie zurückkommen und immer noch gebrochen deutsch sprechen.“

Wenn Kinder automatisch im Besitz eines deutschen Passes seien, hofft Kleff, werde den Eltern dieses Druckmittel zumindest zum Teil genommen. „Für die Sozialisation der zweiten und dritten Generation ist es ungeheuer wichtig, daß dieses Schwert über ihrem Kopf verschwindet.“

Daß ausländische Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder in einem als feindselig empfundenen Kulturkreis oft völlig überfordert sind und zu absurden Mitteln greifen, beobachtet auch die Psychologin Aksoy. Sie fürchtet aber auch, daß es vielen Mädchen nicht viel nützen wird, im Besitz eines deutschen Passes zu sein. „Der Druck der Familie wird bleiben“, sagt Aksoy, „und wenn man nie zur Selbständigkeit erzogen wurde, ist es sehr schwer, zu sagen, ätsch, das tue ich jetzt aber nicht.“

Die Lehrerin Fatma Dülger hat in einer Studie über islamische Mädchen und Frauen in Gießen und Lollar herausgefunden, daß die meisten minderjährigen Mädchen ohnehin schon mit zwei Identitäten leben: sich als Deutsche und Iranerin oder Türkin gleichzeitig fühlen. Auch sie hat festgestellt, daß es den Mädchen, von denen einige bereits die doppelte Staatsbürgerschaft besitzen, ein Gefühl der Sicherheit gibt, einen deutschen Paß zu haben. „Es bringt sie ein Stück von ihren Eltern weg“, sagt sie, „außerdem gibt es auch Eltern, die zurück in die Türkei gehen. Bis jetzt mußten die Kinder immer mit, auch wenn sie fast volljährig waren.“

Dülger hält es auch für entscheidend, daß die hier geborenen KinderDeutsche werden, ohne daß sie die Initiative ergreifen müssen. „Bis jetzt sind es eher die Gebildeten, die sich für einen deutschen Paß entscheiden und den langen bürokratischen Weg antreten. Und wenn die Eltern sich nicht kümmern, sind die Kinder aufgeschmissen.“

Allerdings steht auch zu befürchten, daß ein neues Einbürgerungsrecht, wenn es tatsächlich so verabschiedet wird, wie der erste Entwurf es vorsieht, gerade für Frauen zahlreiche Nachteile birgt. Dann nämlich wird künftig nur noch eingebürgert, wer weder Sozial- noch Arbeitslosenhilfe bezieht. Und das werden immer weniger. Alleine in der türkischen Bevölkerung liegt die Arbeitslosenquote bei 23,2 Prozent; Frauen sind hier wie auch bei der Sozialhilfe überproportional vertreten.

Neun von zehn Frauen, die hierher kommen, erhalten staatliche Unterstützung“, sagt Saadet Özulusal von TIO, „oder sie beantragen keine Sozialhilfe und wurschteln sich irgendwie durch, um keine Probleme mit ihrem Aufenthaltsstatus zu bekommen.“ Bisher allerdings spielte es zumindest bei der Anspruchseinbürgerung nach fünfzehn Jahren keine Rolle mehr, ob jemand mit oder ohne staatliche Gelder auskommt. „Wir begrüßen die Novelle natürlich sehr“, sagt Üzulusal, „aber wir sehen auch Probleme. Es spricht viel dafür, daß wir ein Zwei- Klassen-Recht bekommen: Nur wer es sich leisten kann, kann Deutscher werden. Und es werden überwiegend Frauen sein, die sich das nicht leisten können.“

Auch die Mitarbeiter von ZAPO, einem Berliner Projekt, das sich an Zuwanderer aus Osteuropa richtet, sehen für ihre Klientinnen Nachteile: „Die meisten arbeiten zu unglaublich niedrigen Löhnen oder bekommen überhaupt keine Arbeit“, sagt Hilde Hellbernd. Andere rutschen in die Sozialhilfe ab, sobald sie Kinder bekommen, lernen dann, wenn sie überwiegend zu Hause bleiben, auch die deutsche Sprache nicht, bekommen dadurch keinen besser bezahlten Job – und scheitern schließlich bei der Einbürgerung an mangelnden Sprachkenntnissen. Lediglich bei einem Kriterium für die künftige Einbürgerung werden Frauen gegenüber Männern aller Vorausicht nach im Vorteil sein: Sie sind seltener vorbestraft.

Jeannette Goddar, 30, lebt als freie Autorin in Berlin. Sie schreibt über Immigrations- und Sozialpolitik

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