: Grüne Sinnstiftung
Das Thema war fast schon durch. Jetzt lässt der Rechtsextremismus die grüne Partei wieder zusammenrücken
von SEVERIN WEILAND
Es ist ja nicht so, dass das Thema niemand interessierte. Nein, Annelie Buntenbach, grüne Bundestagsabgeordnete, hat ihre Partei seit Jahren mit dem Thema bedrängt. Sie hat gewarnt vor den Rechtsextremisten, oft in jenem anklagendem Tonfall, der so schnell zum Weghören führen kann.
Seitdem Renate Künast, die neue Parteisprecherin, sich offiziell des Themas angenommen hat und auch Joschka Fischer, der Außenminister, auf Reisen ins Ausland mit Fragen nach deutscher Fremdenfeindlichkeit konfrontiert wird, ist Annelie Buntenbach wieder im Schoß der grünen Familie. Auch wenn sie das so nie sagen würde. Aber, betont die 45-Jährige, „ich bin natürlich froh, dass das Thema bei uns nicht mehr ausgeblendet wird“.
Dass Rechtsextremismus als gesellschaftliches Problem verstärkt debattiert wird – und selbst der Kanzler in seiner letzten Pressekonferenz darauf einging – ist zu einem gut Teil den Grünen gutzuschreiben. Hinzu kommt die Aufregung um den jüngsten Anschlag in Düsseldorf, der zwar noch ungeklärt ist. Doch allein die öffentlich geäußerten Vermutungen von Bundesinnenminister Otto Schily und anderen Politikern, die Täter seien möglicherweise im rechten Umfeld zu finden, wirken als Verstärker in der Debatte.
Dabei war das Thema, als die Partei es wieder auf ihren Schild hob, in der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend untergegangen. Andere Reizworte standen Ende Juni im Zentrum: die Bundeswehrreform, die Rente und vor allem die Entscheidung der Grünen auf ihrem Parteitag in Münster, dem Atomkonsens zuzustimmen. Dass das Thema nun forciert wird, ist nicht zuletzt Renate Künast geschuldet. Mit ihr wählte die Partei eine Frau an die Spitze, die sich seit Jahren mit dem Rechtsextremismus beschäftigt. Schon auf der ersten Sitzung des neuen sechsköpfigen Bundesvorstandes Anfang Juli, in dem das neue Führungsduo Fritz Kuhn und Renate Künast seine Sachgebiete absteckte, hatte die Juristin aus Berlin Zustimmung für ihren Vorschlag erhalten, Rechtsradikalismus wieder zu einem Schwerpunkt der Arbeit zu machen. Wenig später wurde die Linie im grünen Koalitionausschuss ausdrücklich bestätigt – einem neunköpfigen Gremium, in dem unter anderem die Führungsspitze der Partei, also Kuhn und Künast, und die drei grünen Minister Joschka Fischer, Andrea Fischer und Jürgen Trittin vertreten sind. Auf dem nächsten Länderrat, dem kleinen Bundesparteitag der Grünen, wird am 14. Oktober in Berlin der Rechtsextremismus eine zentrale Rolle einnehmen.
Aufmerksam registrierte die Partei auch, dass ihr heimlicher Übervater Joschka Fischer das brachliegende Feld parallell zu Künast neu ins Auge nahm. Auf einem Kulturforum des Auswärtigen Amtes Anfang Juli – und somit nur zwei Tage nach der Sitzung des grünen Bundesvorstandes – sprach er besorgt über die Alltäglichkeit rassistisch motivierter Überfälle, vor allem in Ostdeutschland. Kategorisch verlangte Fischer, dass der Staat die so genannten „national befreiten Zonen“ der Rechtsextremisten nicht dulden dürfe.
Die allgemeine Forderung, den Kampf gegen rechts nunmehr verstärkt wieder aufzunehmen, verdeckt bei den Grünen allerdings die Frage nach dem Wie. In ihrer Hilflosigkeit stehen sie damit zwar nicht allein – auch andere Parteien wissen kein Patentrezept. Die Grünen aber reklamieren den Rechtsextremismus als ureigenes Thema – umso stärker werden ihnen nun Antworten abverlangt.
Künast hat eine Sondersitzung der Innenminister verlangt, Buntenbach möchte die „Strategie- und Ausbildungsdefizite der Polizei“ beheben, und Christian Ströbele, das linke Enfant terrible der Bundestagsfraktion, setzt auf ein „breites Bündnis wie vor einigen Jahren in Frankreich mit der Kampagne ‚Mach meinen Kumpel nicht an‘.“ Und ausdrücklich betont er: „Unter Einschluss der linken und türkischen Antifa. Diese Gruppen sind ein wichtiger Teil des Widerstandes, die über viel Wissen und Erfahrungen im Kampf gegen Rechtsextremisten verfügen.“ Ob ihm seine Partei dabei folgen wird, darf getrost bezweifelt werden – schließlich wurden die Grünen gerade in linksradikalen Zirkeln wegen ihrer Zustimmung zum Nato-Einsatz im Kosovo attackiert und oft pauschal diffamiert.
So erscheint das Thema Rechtsextremismus, bei aller ehrlich gemeinten Sorge der Akteure um die Gefahr für Demokratie und Gesellschaft, vor allem als eines, das die Partei mit sich selbst versöhnen soll. Nachdem die Atomkraft als Bindemittel abhanden gekommen ist, wirkt der Kampf gegen rechts, mit einmal wie ein neues Sinn stiftendes grünes Projekt. Gegner, die sich noch vor einem Jahr während des Kosovo-Krieges gegenüberstanden, finden wieder zueinander. „Der Kampf gegen Rechtsextremismus“, sagt Christian Ströbele, „muss Essential grüner Politik sein. Darüber gibt es keinen Dissens zwischen mir und Fischer.“
Über die Richtigkeit der neuen innerparteilichen Gewichtung gibt es bei den Grünen keine Zweifel. Eher schon darüber, ob und auf welchem Wege man verspieltes Vertrauen zurückerobert – etwa bei jenen Nichtregierungsorganisationen, die sich enttäuscht aus dem vom Bundesinnenministerium ins Leben gerufenen Bündnis für „Demokratie und Toleranz“ vor einigen Monaten zurückzogen.
Ob „das grüne Profil geprägt werden kann, wird sich daran zeigen, ob wir in den nächsten Monaten dran bleiben und etwas bewegen können“, sagt denn auch Annelie Buntenbach. Sie verweist darauf, dass die rot-grüne Koalition durchaus nicht untätig gewesen ist. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, wurde noch vor der Sommerpause ein breit gefächertes Gesetz im Bundestag eingebracht, mit dem Programme gegen rechts gefördert werden sollen. Unter anderem wird darin verlangt, dass auch der Bund Mobile Beratungsteams fördert, die Kommunen, Schulen und sonstige Einrichtungen bei der Auseinandersetzung mit den Rechten berät. Kleine Schritte sind das, wie Buntenbach sagt. Aber eine andere Alternative sei nicht möglich. Denn Strafverschärfungen, darin sind sich die Grünen einig, will man auf keinen Fall. „Es gibt eben nicht das Law-and-Order-Gesetz, das die Probleme löst“, sagt Buntenbach. Bei aller Freude über die neue Aufmerksamkeit mischt sich bei ihr aber auch eine gehörige Portion Skepsis: „Ich habe die Sorge, dass wir uns zwar alle einig sind, dass wir mit dem Rechtsextremismus ein großes Problem haben, aber nicht wissen, was wir dagegen tun können“. Und das, sagt sie, „wäre das Schlechteste, was uns passieren könnte“.
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