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Der Himmel über der Heide

Wer will schon ein Bombodrom? Niemand. Aber einen Truppenübungsplatz finden Wittstocker Geschäftsleute gut: Der bringt Arbeit. Oder etwa nicht?

aus Wittstock und Fretzdorf THOMAS GERLACH

Bombodrom? Ein böses Wort. „Wenn ich das bloß höre!“ Kein Zweifel, Gerhard Behrendt würde es am liebsten auf der Stelle verbieten. Der Vorsitzende des Vereins „Pro Bundeswehr“ hasst dieses Wort, ein Wort wie eine Luftmine. „Bombodrom! Als ob hier in Wittstock ständig Bomben fallen. Der Begriff kommt doch von den Russen!“ Die Russen sind weg. Die Bundeswehr soll her. Und das möglichst schnell, sie soll die Garnison errichten. Die Russen waren Untergang, die Bundeswehr ist Auferstehung, die Garnison ein Segen. Wenn sie gebaut ist. Noch ist sie eine Verheißung aus dem Bundesministerium für Verteidigung.

Behrends Augen leuchten, als ob er eine verborgene Gewissheit in sich trägt. „Es ist ein Truppenübungsplatz“, sagt er. Neben ihm sitzt Rolf Völpel, er nickt. Truppenübungsplatz – kein Grollen, keine Bomben, kein Krieg. Eine semantische Beruhigungspille: Ein Platz für die Truppe zum Üben – das klingt neutral und sportlich. Bombodrom – das sagen die anderen: die Bürgermeister der Anrainerdörfer, der SPD-Landrat, die Leute von der Bürgerinitiative Freie Heide und die Zugereisten, die hier nicht leben müssen – kurz: all die, die am Sonntag wieder marschieren werden, weil sie das Bombodrom nicht wollen.

Die beiden Wittstocker wollen es auch nicht. Doch Behrendt und Völpel sind Geschäftsleute. Völpel hat ein Ingenieurbüro, Gerhard Behrendt ist Chef des Raiffeisenmarktes. In einer Stadt, die immer weniger Geschäfte bietet. Wer nichts hat, muss Luft und Heide vermarkten. Wenn die Bundeswehr so versessen darauf ist, warum sich dann zieren? 310 Millionen für Infrastruktur, 27 Millionen jährlich, 165 Zivilangestellte: Das hat ein Staatssekretär vom Verteidigungsministerium in Aussicht gestellt. Die Bundeswehr im Rettungseinsatz, zentnerschwere Zuckerbrote für eine ausgehungerte Region.

„Lieber ein bisschen Krach“

Wenn nur die Freie Heide endlich Schluss macht: mit ihren Mahnsäulen, Plakaten, Protestwanderungen, den Prominenten und den vielen Klagen. „Die von der Freien Heide arbeiten doch im öffentlichen Dienst.“ Gerhard Behrendt legt nach. Lehrer seien dabei, Angestellte, feste Arbeitszeit, monatliche Überweisung und Urlaubsgeld. „Die wollen ihre Ruhe haben. Ich versteh das.“ Für einen Unternehmer zähle das nicht. „Ich möchte lieber mit ’nem bisschen Krach leben als in Ruhe sterben.“

Die beiden Wittstocker werden am Sonntag ruhen. Rolf Völpel fährt an den See, Hauptsache, das Wetter wird schön. „Den Ostermarsch? Den negieren wir“, sagt er. Der Verein Pro Bundeswehr demonstriert an anderen Tagen und an anderen Orten. Gerhard Behrendt ist stolz. Er hat auch seine Bataillone: Rund 50 Vereinsmitglieder, unzufriedene Wittstocker und den Reservistenverband der Bundeswehr. Da kommt was zusammen, da braucht man manchmal Busse. Gelegentlich helfen Wagen von der Bundeswehr. „Alles bezahlt,“ sagt Behrendt. Wenn jemand als Sponsor aufteten möchte – bitte schön! Wer würde da ablehnen? Zuckerbrot auf Rädern.

Gerhard Behrendt wühlt in seinem Büro, ist in die Hocke gegangen, Papier raschelt. Er sucht die Verheißung, will sie lesen. Sie versteckt sich als Zahl, schwankt hinter Begriffen, steht in der Zeitung. „Hier.“ Gerhard Behrendt legt ein Papier auf den Tisch, Überschrift „Wirtschaftsfaktor Garnison“. Er liest: „Die Einrichtung der Garnison wird zur Stationierung von zirka 1.218 Soldaten und 165 Zivilbeschäftigten führen.“ Behrendt legt den Finger auf die Zahl. „Jetzt ist von gut 800 Soldaten die Rede, wenn die Bundeswehr zu ihrem Wort steht.“ Gerhard Behrendt blickt auf. Wird sie Wort halten? „Auf irgendwas muss man sich doch verlassen können!“, sagt Rolf Völpel. Hinter diese Frage hat noch keiner geschaut. Hier ist Schluss. Die Bundeswehr scheint aus Erz, jedes Wort ein Gelöbnis. Rudolf Scharpings Liste, die Standortdiskussion der letzten Wochen, die Schließungen? Keine Zweifel, die Bundeswehr baut.

Träume von der Garnison

„Ohne diese Garnison wäre der Widerstand auch in Wittstock bei 100 Prozent“, sagt Völpel. Aber es gibt sie, die Garnison. In den Köpfen der Menschen, in Schubladen, auf Papier. Wittstocker Visionen: Offiziere schlendern über das Pflaster, vorbei an der Marienkirche, sie tragen Geld in die Läden, lassen Familien kommen, bauen Häuser, schlecken Eis – am Himmel zieht ein Jäger seine Bahn. Die Fata Morgana zerfließt, Rolf Völpel redet. „Wir sagen Ja zum Truppenübungsplatz und die Bundeswehr errichtet dann die Garnison.“ Dann läuft’s wie am Schnürchen, dann gibt’s Arbeit und Geld, dann kommt der Aufschwung, Wittstock boomt, die Jugend bleibt, dann wird auch was für die Natur getan, dann werden die Granaten der Russen geräumt. Die Bundeswehr wird Wittstock befreien.

Und Rolf Völpel hat’s gewusst. Als SPD-Abgeordneter im Kreistag des Landkreises Ostprignitz-Ruppin. Eine Protestresolution des SPD-Landrats gegen das Bombodrom wurde vergangene Woche mit Zweidrittelmehrheit angenommen. Nur die CDU war dagegen sowie SPD-Mann Völpel und eine weitere Sozialdemokratin aus Wittstock. Das Bombodrom hat den Landkreis längst zerrissen, ganz ohne Sprengstoff. Touristen aus Berlin spazieren durchs eine halbe Autostunde entfernte Neuruppin, sie baden im Zechliner See, die Jachten schaukeln im Rheinsberger Hafen 30 Kilometer weiter östlich. Wittstock hat keinen See, Wittstock hat ein Museum. Bis 1992 war am Bombodrom die Welt zuende, für die Wittstocker und für die Rheinsberger auch. Was dahinter war, interessierte nicht. Das Bombodrom lag zwischen den Landkreisen. Seit der Kreisreform liegt es mittendrin und spaltet Menschen und Interessen. Wenn in Rheinsberg die Festtage der Alten Musik beginnen, bleibt es in Wittstock ruhig. Es sei denn, die Bundeswehr kommt. Aber wer würde in Rheinsberg dann noch die Appartements mit Seeblick kaufen?

Zehn Kilometer südöstlich von Wittstock hat es Hans- Dieter Horn schwarz auf weiß in einer Mappe. „Hier wollte jemand ein Motel bauen. Das ist uns aber durch die Lappen gegangen.“ Als der Investor von den Bundeswehrplänen hörte, zog er weiter. „Das Bombodrom hat jetzt schon Arbeitsplätze verhindert“, sagt der Fretzdorfer Bürgermeister. Hans-Dieter Horn spaziert durch sein Dorf, am Sonntag treffen sich hier die Ostermarschierer. Horst-Eberhard Richter wird eine Rede halten, Musik wird’s geben, Luftballons.

Der Investor zog weiter

Horn hat schon einiges auf die Beine gestellt, eine Garnison braucht er nicht. Fretzdorf hatte nach dem Krieg einmal Pech und einmal Glück: Pech, als die Russen hinterm Dorf für ihr Bombodrom den Wald besetzten, Glück, als in den 70er-Jahren die Autobahn gebaut wurde und das 400-Einwohner-Dorf eine Abfahrt erhielt. In Sichtweite fahren Lastwagen vorbei. Das Gewerbegebiet ist größer als das Dorf, 20 Hektar Blumen unter Glas, ein Kalksandsteinwerk, ein Autohof. Daneben Platz für das Motel, das nun woanders steht.

„85 Prozent sind gegen das Bombodrom“, sagt Horn. Es gebe eine Unterschriftenliste. Leider habe er nur eine Kopie davon, das Original liege im Verteidigungsministerium. „Das ist über den Landrat und Herrn Doktor Stolpe dorthin gelangt.“ Hans-Dieter Horn wägt seine Worte ab, er ist ein vorsichtiger Mensch, den Dienstweg hält er ein. „Ich bin kein Demonstrationsheld. Das macht einfach keinen Spaß.“

Horn ist Mitglied der Freien Heide. Seine Gemeinde hat gegen die Nutzung des Bombodroms geklagt. Ob Spaß oder nicht – Hans-Dieter Horn wird demonstrieren, seine Frau die Videokamera bedienen. Wie immer bei den Protestwanderungen und Ostermärschen der letzten Jahre. Horn mag keine Uniformen, seit er als Zehnjähriger mit angesehen hat, wie ein SS-Mann einen KZ-Häftling aus Sachsenhausen erschossen hat. Hier in Fretzdorf. Als Kind den Krieg, als Erwachsener die Russen und als Rentner die Bundeswehr? Wozu braucht sie ein Bombodrom? Werden Flugzeuge nun öfter Politik machen, wie im Kosovo? Rudolf Scharping könnte mal wieder vorbeikommen und das alles erklären.

Wie damals am 6. August 1994 im Wahlkampf, da hat Kanzlerkandidat Scharping bei der Protestwanderung alles erklärt. Dass die Politik rausmüsse aus den Amtsstuben, weil sie sonst lebensfern werde. Und dass man hier in der Heide etwas machen könnte, was viele Besucher anziehe. Und dass die kleiner werdende Bundeswehr wohl kaum zusätzliche Flächen brauche. Und wenn dann die Mehrheit da ist, dann werde eine Entscheidung getroffen: Dann wird das hier nicht mehr Truppenübungsplatz sein, versprach ein hemdsärmliger Rudolf Scharping vor fast sieben Jahren. Horn und Scharping sind heute Prozessgegner. Und die Garnison wird bestimmt gebaut.

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