Architektur und Migration: 3,5 Quadratmeter Deutschland
Ein Handbuch für Flüchtlingsbauten zieht auch eine Bilanz nach zwei Jahren Veränderung in Deutschland. Es wurde in München vorgestellt.
Die Wohnräume ganz aus Holz sehen heimelig aus. Einbauschränke, Betten, eine Edelstahl-Gemeinschaftsküche. Auf den offenen Balkonen halten sich Menschen auf, über den Geländern hängt Wäsche. Eine „gepflegte, warme und ansprechende Atmosphäre“ vermittelt die Wohnanlage in Modulbauweise im oberbayerischen Zolling, so schreiben es die Architekten Seidl-Kern. Schöner wohnen?
Es ist eine Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge. 150 Menschen werden dort in 75 Doppelzimmern untergebracht – so lange, bis die deutschen Behörden über ihr Schicksal entschieden haben. Ob sie in Deutschland bleiben dürfen oder als abgelehnte Asylbewerber ohne Aufenthaltsstatus zurück in ihre Heimat müssen.
Das Projekt aus Zolling wird vorgestellt in dem Sachbuch „Flüchtlingsbauten – Handbuch und Planungshilfe“, herausgegeben von den Architekten Lore Mühlbauer und Yasser Shretah. Das richtet sich in erster Linie an Fachleute. Stadtplaner, Kommunen oder Architekten sollen darin Ideen finden, wie man mit der Unterbringung vieler Flüchtlinge am besten umgeht. Dennoch durchzieht ein Kontrast das ganze Buch: Er besteht zwischen der Absicht, guten und sinnvollen Wohnraum zu zeigen – und den häufig erschütternden Lebenslagen der Menschen, die darin leben.
Vision und Geschäft
Das Buch, das in München an der Technischen Universität vorgestellt wurde, ist aber auch eine erste Bilanz von zwei Jahren Veränderung in Deutschland. 2015 kamen eine knappe Million Asylbewerber, 2016 waren es knapp 300.000. Wer kann und soll wie wohnen? Mit welchen baulichen Mitteln ist die Herausforderung zu meistern? Welche unterschiedlichen Möglichkeiten gibt es bei der Flüchtlingsunterbringung?
Lore Mühlbauer, Yasser Shretah (Hg.): „Flüchtlingsbauten - Handbuch und Planungshilfe“, 304 Seiten; DOM publishers, Berlin 2017, 78 Euro
Doch eigentlich stellt das Buch einen weit höheren Anspruch. Es soll, so wünscht es sich Lore Mühlbauer, eine „Vision über eine Architektur der Zuflucht“ geben. Die Vorgaben des Staates: In den Erstaufnahme-Unterkünften sind Flüchtlinge durchschnittlich zu viert auf 14 Quadratmetern untergebracht. Das sind 3,5 Quadratmeter Deutschland pro Person. In der „Folgeunterbringung“ gibt es doppelt so viel Platz. Bei einer Anerkennung als Asylberechtigter liegt die Wohnfläche bei immerhin mindestens 23 Quadratmetern pro Person, so wie bei Sozialwohnungen.
Die Herausgeber haben kühne, bemerkenswerte und abschreckende Beispiele eingesammelt von Flüchtlingsbauten in Deutschland, anderen europäischen Ländern und darüber hinaus. Da ist eine Anlage im niederländischen Ter Apel mit einem großzügigen Grünbereich, die fast wie eine dichte Reihenhaussiedlung aussieht.
Grandhotel Cosmopolis
Da sind die Hallen vom Berliner Tempelhofer Feld, ein umgerüstetes altes Bahnhofsgebäude in der Oberpfalz oder das Projekt „Grandhotel Cosmopolis“ in Augsburg, wo Flüchtlinge gemeinsam mit Hotelgästen leben. Mehr Wohnraum schaffen: von Nachverdichtung bis zum Überbauen von Parkplätzen reichen die Vorschläge.
Von den riesigen Flüchtlingsstätten im Libanon und in Jordanien gibt es in dem Band bezaubernde Fotos, die teils eine morbid-romantische Stimmung vermitteln. Kinder in den Gassen, Kabelgewirr darüber. Das Problem: schöne Bilder über ein nicht schönes Thema des Lebens.
Nicht jeder Mensch in Deutschland hat das gleiche Recht auf einen Wohnmindeststandard. Deshalb wird über günstiges Bauen, Container oder das Leben an unwirtlichen Orten wie großen Gewerbegebieten diskutiert – und dies auch umgesetzt. „Flüchtlingsunterkünfte sind ein knallhartes Geschäft“, weiß Lore Mühlbauer. Die Preise auf dem Mietmarkt sind teilweise extrem gestiegen, auch die für Modulbauten.
Billig kann beim Wohnen teuer sein, meint der Münchner Architektur-Professor Johann Ebe. „Es hat keinen Sinn, Substandard zu bauen.“ Die Gebäude gehen schneller kaputt, nach der Nutzung durch Flüchtlinge haben sie auf dem Markt einen schweren Stand. Auf teuren Flächen wollen Investoren gute Qualität haben. Roman Dienersberger, Baudirektor von der Regierung in Oberbayern, sagt trocken: „Nur was sich rentiert, funtioniert.“
Am Ende geht es in der TU München nicht mehr so sehr um „Flüchtlingsbauten“, sondern darum, dass generell Wohnraum fehlt. Zu dieser Erkenntnis haben aber die Flüchtlinge geführt. Die Architekten Ina und Gunther Laux meinen, diese könnten „als Motoren eine neue, positive städtebauliche Entwicklung anstoßen“.
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