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Arbeiten nach der PandemieCoworking statt Homeoffice

Kommentar von Wenzel Matiaske

Das Teilen gemeinsamer Arbeitsräume kombiniert die Vorteile von Büro und Homeoffice. Arbeitsschutz und Vereinbarkeit bleiben gewährleistet.

Coworking: Studierende und Freie bei der Arbeit in Mailand Foto: FOTOGRAMMA/imago

V or der Coronakrise wünschten sich rund 40 Prozent der ArbeitnehmerInnen, zumindest zeitweise von zu Hause aus arbeiten zu können. Realisieren konnten dies jedoch nur rund 10 Prozent. Mit der Krise wurde das Homeoffice plötzlich zum Normalfall. Das Sozialexperiment mit den in aller Eile improvisierten Heimarbeitsplätzen zeigt, dass vor der Krise Potenzial zur Dezentralisierung von Arbeit ungenutzt blieb.

Viele Arbeitgeber, insbesondere Dienstleister, Banken und Versicherungen, wollen die gewonnene Erfahrung nutzen, um ihre Arbeitsorganisation anzupassen und stärker ortsflexible Formen der Arbeit zu etablieren. Auch die Mehrheit der Beschäftigten, die Homeoffice aufgrund ihrer Tätigkeit grundsätzlich für möglich halten, wünscht sich nach der Coronakrise mehr Homeoffice als zuvor. Allerdings sind die bisherigen Erfahrungen mit Homeoffice zwiespältig.

Sicherlich sind aktuell aufgetretene Probleme der mangelnden Ausstattung und Erfahrung, des Arbeitsschutzes und der Informationssicherheit lösbar. Bereits jetzt gibt ein Teil der Beschäftigten in Befragungen an, im Homeoffice produktiver als im Büro zu sein. Andere sagen das Gegenteil. Bezüglich der Arbeitszufriedenheit zeigen sich ähnlich divergente Einschätzungen.

Die Wohnverhältnisse sind im Regelfall nicht passend für das Arbeiten in den eigenen vier Wänden und nur schwer umzugestalten. Über die Krise hinaus stellen sich damit Fragen der Vereinbarkeit von Arbeit und Familie in neuer Form. Schon jetzt ist festzustellen, dass Frauen, die die gewonnene Flexibilität häufiger für die familiäre Sorge- und Hausarbeit nutzen, stärker belastet sind.

Wenzel Matiaske

Wenzel Matiaske ist Sozial- und Wirtschafts­wissenschaftler. Er leitet das Institut für Personal und Arbeit der Helmut-Schmidt-Universität/Uni Bundeswehr Hamburg und ist Teil eines gemeinsamen Forschungsvorhabens mehrerer Institute zum Thema Coworking Space in ländlichen Re­gionen.

Zuhause sind die Frauen oft stärker belastet

Aktuelle Befragungen zeigen, dass Menschen in Ermangelung einer räumlichen Trennung zwischen Arbeit und Freizeit schlechter abschalten können. Darüber hinaus gilt soziale Isolation schon in früheren Untersuchungen als problematische Begleiterscheinung der Teleheimarbeit. Die Dichotomie zwischen Büroarbeit und Homeoffice, auf welche die Coronakrise das Erleben verengt, sollte das Denken in Alternativen nicht beschränken.

Bereits im Gefolge einer anderen Krise, des Ölschocks 1973, wurden in den USA Ideen zum „telecommuting“ entwickelt. Die Daten und nicht die damit Arbeitenden sollten pendeln. Als sich in den 1980er Jahren der PC mit Großrechnern verband, erprobten Praxis und Wissenschaft Zwischenformen der Arbeitsorganisation. Das Satellitenbüro eines Arbeitgebers sollte hohe Raummieten im Zentrum durch geringere in der Peripherie ersetzen und Pendelzeiten aus dem Umland verkürzen.

Im Nachbarschaftsbüro teilten sich ArbeitnehmerInnen verschiedener, typischerweise kleinerer Arbeitgeber oder auch Selbstständige den Büroraum. Der Laptop ermöglichte die mobile Telearbeit. Sinkende Preise für Technik und Telekommunikation und die Erfahrungen mit dem heimischen PC führten zu verstärkter Teleheimarbeit, die seit den 1990er Jahren auch im Mittelpunkt der Politik steht und in der Arbeitsstättenverordnung geregelt ist.

Die Diskussion verengte sich auf Fragen der Vereinbarkeit und der Zeitsouveränität. Ökologische Aspekte und der Gedanke gemeinschaftlicher Nutzung von Ressourcen traten in den Hintergrund. Erst im neuen Jahrtausend wird dann in Debatten um die „creative class“, die „digital nomads“ oder – hierzulande – die „digitale Boheme“ das Nachbarschaftsbüro als Coworking Space erneut propagiert.

Coworking im alten taz-Haus

Die Welt ist im digitalen Dorf zusammengerückt und im Coworking Space finden sich Kreative, Solo-Selbständige oder GründerInnen zusammen und nutzen temporär oder langfristiger den angebotenen Arbeitsraum, die Büroausstattung und die Gemeinschaftseinrichtungen vom Besprechungsraum bis zur Kaffeemaschine. Das alte taz Gebäude in der Rudi-Dutschke-Straße beheimatet heute einen Coworking Space des 2009 gegründeten Berliner Pionier-Unternehmens betahaus.

Auf dem Weg vom Nachbarschaftsbüro zum Coworking Space entfernte sich die Idee jedoch nicht nur räumlich, sondern auch sozio-kulturell von PendlerInnen in die Metropole. Auch die digitale Bohème verschafft sich Distinktionsgewinn aus der Distanz zum Normalfall des Sozialen. Berlin-Kreuzberg ist nicht, sagen wir mal, Süderbrarup. Im Politischen ist das Arbeitsministerium für die Teleheimarbeit zuständig. Der Coworking-Space startet im Wirtschaftsministerium neu.

Coworking-Space verdient gerade jetzt auch die Aufmerksamkeit im Arbeitsministerium, denn er ermöglicht wohnortnahe Telearbeit, löst aus (beengter) häuslicher Raumsituation, gewährleistet Ausstattung, kontrollierbaren Arbeitsschutz und Datensicherheit. Das könnte nicht nur für Krethi und Plethi, sondern auch für die Arbeitgeber von Interesse sein.

Die Ankündigung der Bundesregierung, den Arbeitsschutz im Homeoffice nicht zu kontrollieren, ist kein Freibrief, sich auf Dauer diesen Regelungen zu entziehen. Die Informationssicherheit liegt im wohlverstandenen Eigeninteresse der Arbeitgeber. Auch auf dem Land hat sich viel getan. Eine Reihe von Bundesländern sieht Coworking Spaces als Teil ihrer Digitalstrategien.

Einige motiviert die Pendlerproblematik, rund um die Metropolen oder auch in verkehrstechnisch problematischen Regionen innerhalb der Peripherie. Andere setzen darauf, mit Coworking Spaces Arbeitstouristen in idyllischer Lage zu beherbergen. Alle nutzen die Modernisierung der Netzinfrastruktur. Den Arbeitgebern in der Peripherie kann dies bei der Gewinnung von Fachkräften helfen. Spontane Marktlösungen stehen allerdings aus.

ArbeitnehmerInnen wie Arbeitgeber beobachten, ob sich verlässliche Angebote einstellen, bevor sie sich umstellen. Hier sind die Wirtschaftsministerien gefragt, um durch Gründungsförderungen auf dem Land die Durststrecke zu überbrücken und mangelnden Kenntnissen der Möglichkeiten entgegenzuwirken.

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