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Arbeiten in der Post-Corona-ZeitBüro Ferienhaus

Gastkommentar von Josephine Hofmann

Die Pandemie macht Veränderungen in der Unternehmenskultur nötig. Wie entwickelt sich die Arbeitswelt der Zukunft?

Ein Angestelltentraum? Manches lässt sich im Sommer auch in der Hängematte erledigen Foto: Westend61/imago

N ach mehr als 12 Monaten Pandemie zeichnet sich breite Erschöpfung ab – auch angesichts der wohl noch bevorstehenden „Verlängerung“ wegen mangelnder Impfgeschwindigkeit und neuer Virusmutationen. Zunehmend stellt sich aber auch die Frage, welche Implikationen der erlebte „Experimentierraum Deutschland“ in Bezug auf die Arbeitswelt eigentlich für die Zeit „danach“ hat? Wenn auch keiner sagen kann, wann dieses „Danach“ tatsächlich anfangen wird, so ist dennoch die Einigkeit groß, dass es kein „Zurück“ mehr in die Zeit vor März 2020 geben wird.

Zu eindeutig ist der Beweis, dass großflächige Arbeit auf Distanz machbar ist. Dass sich Geschäftsreisen ersetzen lassen, Pendlerströme sich verändern – was bereits jetzt auf dem Markt für Gewerbeimmobilien beobachtbar ist. Dort, so unsere Erwartung, wo Digitalisierung und Tätigkeitsstrukturen es möglich machen, wird die Arbeitswelt eine hybride sein. Arbeit und Zusammenarbeit in Präsenz wird deutlich selbstverständlicher und umfänglicher mit virtuellen Formaten kombinierbar.

Virtuelles Arbeiten wird selbstverständlich: von daheim aus, aus dem Zug, in der übergreifenden Projektarbeit über verschiedenste Standorte oder gar Organisationen hinweg. Das schafft veränderte Anforderungen an die Ausstattung individueller Arbeitsumgebungen und die Erkenntnis, dass Besprechungsräume ohne Videokonferenzmöglichkeiten ihren Zweck nicht erfüllen werden. Es führt zu einer erwartbaren Debatte darüber, in welcher betrieblichen Regelung und mit welcher Ausstattung Arbeit von anderen Orten aus realisiert werden kann.

Das Konzept der Hybridität verändert generell den Blick auf die Frage, wo welche Arbeit erledigt wird und wie viel Büroraum es eigentlich noch braucht. In Zukunft werden reale und virtuelle Räume im wahrsten Sinne „übereinandergelegt“ werden müssen, was Bedarf etwa an neuen Moderationstechniken schafft. Es verändern sich möglicherweise auch wesentliche Eckpfeiler unserer Vorstellung davon, wie Arbeit und Privatleben miteinander verwoben sind – und wer was dominiert.

Die Entgrenzung von Arbeits- und Privatleben hat Vorteile, birgt aber auch das Risiko der Überlastung.
Josephine Hofmann

leitet das Team „Zusammenarbeit und Führung“ am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Stuttgart.

Wird es im jeden Fall erforderlich sein, für einen neuen Job auch in die neue Stadt zu ziehen? Wird es in Zukunft möglich, auch in strukturell eher unterausgestatteten Regionen qualifizierte Arbeit zu erledigen? Oder findet das Gegenteil statt – eine dauerhafte Verlagerung qualifizierter Arbeit ins Ausland, vorausgesetzt, die Mitarbeitenden sprechen die richtige Sprache und bringen die richtigen Kenntnisse mit? Und was sagen wir dem Kollegen, der in Zukunft gerne drei Monate im Jahr von seinem Ferienort aus zuarbeiten will? Der Möglichkeitsraum ist größer geworden, und bisher als gesetzt geglaubte Denkmuster können erstaunlich schnell obsolet werden.

Wir wissen derzeit nicht genau, in welchen quantitativen Veränderungen sich diese neue Arbeitswelt ausgestalten wird. Und es wird wohl auch Teil dieser Zukunft sein, dass es Arbeitnehmende gibt, deren Jobs weggefallen oder bedroht sind durch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten infolge der Krise, und solche, deren Tätigkeitsprofile ein Arbeiten über Distanz auch weiterhin unmöglich machen. Hier sehen nicht wenige einen neuen „Digital Divide“ zwischen privilegierteren und weniger privilegierten Beschäftigungsgruppen.

Sicher ist allerdings, dass die hybride Arbeitswelt Veränderungen in der Unternehmenskultur nötig macht. Denn wir haben gerade in der Krisenzeit ein hohes Maß an unkonventionellen Lösungsansätzen, Entscheidungsdelegation, Mut zum Ausprobieren (und Scheitern) gesehen. Vieles musste mangels Alternativen und Zeitdruck schnell und vor Ort entschieden werden. Die erweiterte Verantwortlichkeit und das dazu erforderliche Vertrauen in die Handelnden vor Ort wurden von Mitarbeitenden wie Führungskräften durchaus auch als motivierend erlebt. Der allergrößte Teil der Arbeitnehmenden hat im Homeoffice vollen Einsatz gezeigt und bewiesen, dass auch jenseits der engeren Präsenz- und Kontrollmechanismen Arbeit und Verantwortungsübernahme funktionieren.

Jetzt ist es an der Zeit, konkret über neue Formen der Teamorganisation mit mehr Autonomie nachzudenken. Es gilt, Führungsarbeit weniger als Arbeitsdelegation und Kontrolle denn als Unterstützung, Anleitung und Entwicklungsberatung zu definieren. Dabei gleichzeitig aber auch zur Kenntnis zu nehmen, wie wichtig Führung gerade in Krisenzeiten als Informations- und Kommunikationsdrehscheibe, als Anker und Orientierung, als Mutmacher und Signalgeber ist – gerade in den kommenden Monaten!

Eine Folge der Hybridisierung ist aber auch die zunehmende Entgrenzung von Arbeits- und Privatleben. Was, solange es individuell steuerbar ist und im vernünftigen Rahmen passiert, durchaus als positiv erlebt werden kann, aber eben auch die Kehrseite einer dauerhaften Überlastung mit sich bringen kann. Leistung, so wissen wir, braucht Erholung und Erholung braucht Abstand von der Arbeit. Hier kommen auf Arbeitgeber als Gesamtinstitution, Führungskräfte wie Mitarbeitende neue Aufgaben und Verantwortlichkeiten zu, um einen gesunden Mix von Arbeitszeit und in der Privatsphäre verbrachten Zeit zu erhalten und gleichzeitig Arbeitgeberfürsorge und Selbstverantwortung miteinander gut auszutarieren.

Hybridisierung der Arbeit, das heißt auch: Alle müssen sich bewegen, haben aber auch viel zu gewinnen – Reaktionsfähigkeit, Flexibilität, Vereinbarkeit und Nachhaltigkeit. Wenn die Krise eines gezeigt hat, dann, dass diese Facette der neuen Arbeitswelt nicht nur ein Wohlfühlthema für Einzelne ist, sondern einen echten Beitrag zur Krisenresilienz leistet und in Zukunft einfach dazugehört. Es wäre eindeutig verschenktes Potenzial, wenn wir die hierin liegenden Chancen nicht nutzen würden.

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3 Kommentare

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  • So toll ist homeoffice wohl doch nicht. Gemäß einem Bericht klagen 1/3 der seit der Pandemie zu Hause Arbeitenden von physischen Problemen, die von ungeeigneten Arbeitsplätzen herrühren (Rückenschmerzen, Gewichtszunahme wegen zu wenig Bewegung). Außerdem fehlen die informellen sozialen Kontakte zu KollegInnen, die (gemäß einer Studie in den USA) einen auch auf neue, kreative Ideen bringen können. Ewig im eigenen Saft zu schmoren, ist ehrlich gesagt, nicht mein Ding.

  • Schöner Artikel aus der Gutverdiener-Filterblase. All die Arbeiter, Krankenschwestern, Ärzte, Verkäuferinnen in den Supermärkten, Feuerwehrleute etc. - kurz alle die man heute als systemrelevant bezeichnet - freuen sich schon sehr auf das Homeoffice im Ferienhaus....

    Hat Fra Wagenknecht wohl doch recht.

    • @Samvim:

      Lustig, dass Sie auch Ärzte auch aus der "Gutverdiener-Filterblase" ausnehmen. Man kann halt nicht Präsenzjiobs mit Niedrigverdienst zusammentackern. Es gibt prekäre Jobs, die home-office-kompatibel sind und Gutverdiener*innen, die vor Ort sein müssen. Wobei ich Ihnen trotzdem im Grundsatz zustimme...