Arbeit als Nahost-Korrespondentin: Der Krieg der Konjunktive
Die Wahrheitsfindung im Krieg gegen die Hamas ist eine Herausforderung. Denn: Leid ist Leid – aber politisch und rechtlich kommt es auf Details an.
I n der Nacht zum Montag fliegt das israelische Militär einen Luftangriff auf ein Flüchtlingscamp in Tal as-Sultan im Süden des Gazastreifens. Ein Feuer breitet sich aus, Dutzende Menschen sterben. Es ist das Letzte, was ich vor dem Einschlafen lese. Am Morgen sehe ich die Meldungen der Nachrichtenagenturen: Israel habe in einer ausgewiesenen humanitären Zone bombardiert.
Moment. Israels Militär veröffentlich eine immer wieder aktualisierte Karte, die Gaza in verschiedene Zonen aufteilt. Ein Teil von ihnen ist gelb markiert – als humanitäres Schutzgebiet. Gehört Tal as-Sultan dazu? Während ich Zähne putze, suche ich auf der Seite des israelischen Militärs die Karte heraus. Meine Erinnerung ist richtig: Tal as-Sultan ist nicht Teil der gelb umrahmten Fläche. Doch sollte das Gebiet evakuiert werden? In den Beiträgen des arabischsprachigen Kanals der Armee auf X suche ich die letzten Evakuierungsaufrufe heraus – und merke: einen solchen gab es nicht.
Sind die Agenturmeldungen also falsch? Letztlich ändert das Detail, ob ein Bereich als „humanitäre Zone“ oder als Nicht-Evakuierungszone ausgewiesen war, nichts an den entstellten Toten und zerstörten Behausungen. Nichts am Leid der Menschen in Gaza, nichts an der Beklommenheit, wenn ich etwa an Sami denke, einen Journalisten aus Gaza, der immer wieder für die taz berichtet. Ist seine Familie noch in Rafah? Vielleicht sogar in Tal as-Sultan?
Trotzdem ist jedes kleine Detail in diesem Konflikt – der mit Waffen wie mit Worten geführt wird – wichtig. Noch nie habe ich in meinem Berufsalltag so häufig den Konjunktiv verwendet wie in den vergangenen acht Monaten. Wer war verantwortlich für die Raketen auf das Al-Schifa-Krankenhaus? Wie viele israelische Säuglinge starben tatsächlich am 7. Oktober? Wie viele Frauen und Kinder sind unter den Toten in Gaza?
Leid ist Leid. Auf einer menschlichen Ebene ändert eine gelb umrahmte Fläche mit der Aufschrift „humanitäres Gebiet“ auf einer Karte wenig. Auf politischer – und auf rechtlicher – schon.
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