Antiziganistischer Anschlag bei Ulm: Gefährlicher als der Brandsatz
Weil sie den Wohnwagen einer Romafamilie anzünden wollten, wurden zwei Männer verurteilt. Das Urteil ist mild, die Nebenklage ist trotzdem zufrieden.
![Ein Angeklagter in Handschellen im Gerichtssaal Ein Angeklagter in Handschellen im Gerichtssaal](https://taz.de/picture/4395851/14/antiziganismus-neonazis-anschlag-ulm-urteil-1.jpeg)
Das Ulmer Landgericht hat fünf junge Männer zu Bewährungsstrafen zwischen zehn Monaten und einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Sie hatten gestanden, im Mai 2019 nachts von einem Pkw aus eine Wachsfackel in das Lager von 18 Wohnwagen einer französischen Roma-Familie geworfen zu haben, die einen Lagerplatz in dem Dorf Erbach-Dellmensingen gemietet hatte. Das Gericht war Verfahren der Einschätzung eines Gutachters gefolgt, dass der Brandsatz nicht lebensbedrohlich war, und hatte den Mordvorwurf fallen gelassen.
Doch im Kern ging es bei dem Prozess nicht um die Gefährlichkeit der Fackel: Es ging dem Gericht darum, die offensichtlich antiziganistischen Motive der Täter zu benennen und zu bestrafen. Schon vorher hatten sie Böller gezündet und einen toten Schwan vor das Camp gelegt. Die Jugendstrafkammer des Landgerichts Ulm stellt deshalb fest, die jungen Männer hätten die Taten aus „rassistischen, fremdenfeindlichen und antiziganistischen Motiven“ begangen. „Sie wollten ein Klima von Angst und Schrecken schaffen, um die Roma-Familie zu vertreiben“. Sie werden wegen vollendeter Nötigung in 45 Fällen verurteilt.
Ihre Motive hatten die Angeklagten erst gar nicht zu verschleiern versucht. Auf Handyfotos zeigten sie sich mit Hitlergruß und Reichsflaggen. Offenbar fand auch ihr Umfeld nichts Ungewöhnliches daran, wie die Angeklagten freimütig bekannten. „Wenn man nach den Bildern auf dem Handy geht, könnte man jedem Zweiten im Dorf was reindrücken“, sagte einer der Angeklagten in dem Prozess. Auch die Eltern ließen rassistische SMSen ihrer Kinder an sie unwidersprochen.
Vorurteile bekämpfen
Im Jugendstrafrecht gehe es darum, bei den Angeklagten eine Veränderung zu bewirken, betont Mehmet Daimagüler, der in dem Prozess die Interessen der Opfer als Nebenkläger vertreten hat. Er glaube nicht, dass die Angeklagten durch eine Gefängnisstrafe zu besseren Menschen würden. Er blieb deshalb in seinem Plädoyer unter der Forderung der Staatsanwaltschaft und ist mit dem Urteil jetzt zufrieden.
Immerhin hat sich einer der Angeklagten in den Augen des Gericht nach der Tat glaubhaft vom Rechtsextremismus gelöst. Zumindest in den Schlussworten bedauern alle fünf Männer ihre Tat und ein Teil von ihnen hat bereits 5.000 Euro freiwillig für einen Täter-Opfer-Ausgleich gezahlt. Am Ende aber, sagt Daimagüler, könne man nicht in die Köpfe der Angeklagten schauen.
Was bleibt, ist der Versuch aufzuklären. Schon vor dem Vorfall hat der Landesverband der Sinti und Roma zusammen mit der Stadt Ulm und anderen Partnern in der Ulmer Altstadt eine Beratungsstelle geplant. Nun soll die Zweigstelle des Landesverbands noch eine weitere Aufgabe übernehmen: politische Bildungsarbeit, um Vorurteile zu bekämpfen.
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