Antisemitismus und Strafrecht: Komplexe Abgrenzungen
Wenn es um Israel geht, ist wenig einfach und eindeutig. Das sollte auch die Berliner Polizei bei ihren Ermittlungen berücksichtigen.
K ritik an der israelischen Regierungspolitik ist erlaubt, antisemitische Hetze ist verboten. Das ist weitgehender politischer Konsens in Deutschland. Allerdings ist die Grenze oft schwer zu bestimmen.
Polizei und Justiz sollten sich daher auf eindeutige Fälle konzentrieren. Es gibt leider genug und viel zu viele. Wer sich vor einer Synagoge versammelt und „Scheißjuden“ brüllt, kann sich nicht darauf berufen, dass er eigentlich die Politik von Israels Ministerpräsdent Netanjahu anprangern wollte.
Wer aber vor der israelischen Botschaft „Kindermörder Israel“ skandiert, ist Teil des politischen Diskurses zur Gewalteskalation in Nahost. Die Meinungsfreiheit schützt auch widerwärtige, extrem einseitige, dumme und polemische Äußerungen.
Dass die Abgrenzung rechtspolitisch und in der Praxis komplex ist, zeigt das Beispiel der Flaggenverbrennung, die in Deutschland erst seit einem Jahr strafbar ist. Eigentlich drückt das Verbrennen einer ausländischen Flagge die Kritik an diesem Staat aus, zwar zugespitzt und aggressiv, aber die Flagge ist eigentlich eindeutig ein staatliches Symbol.
Arabische Israelis Bürger zweiter Klasse
Allerdings enthält die israelische Flagge mit dem Davidstern auch ein Symbol für das Judentum. Und das Verbrennen dieser Flagge kann in seiner zerstörerischen Symbolik leicht auch als Verneinung des Existenzrechts Israels verstanden werden.
Zugleich ist die Definition Israels als „jüdischer Staat“ aber auch eine politische Entscheidung, die in ihrer derzeitigen Ausgestaltung arabische Israelis zu Bürgern zweiter Klasse macht und deshalb auch kritisierbar sein muss. Dass sich Deutschland zum Existenzrecht Israels bekennt, ist wegen der übergroßen Schuld des Holocaust selbstverständlich.
Aber es ist auch bequem, dasselbe von Palästinensern (und ihren Sympathisanten) zu verlangen, für die die Gründung und Expansion des Staates Israel durchaus dramatische Folgen hatte. Wenn es um Israel geht, ist wenig einfach und eindeutig. Das sollte die Berliner Polizei berücksichtigen, wenn sie gegen „israelfeindliche Parolen“ vorgeht.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alleingang des Finanzministers
Lindner will Bürgergeld kürzen
Putins Brics-Gipfel in Kasan
Club der falschen Freunde
Deutsche Asylpolitik
Die Hölle der anderen
Kritik an Initiative Finanzielle Bildung
Ministeriumsattacke auf Attac
Linke in Berlin
Parteiaustritte nach Antisemitismus-Streit
Investitionsbonus für Unternehmen
Das habecksche Gießkannenprinzip