Antisemitismus in den Medien: Immer wieder Israel
Zum Gespräch lud die Junge Union unter anderem „Bild“-Chef Julian Reichelt nach Hamburg ein. Der gab sich überraschend ausgewogen.
Die Junge Union (JU) Hamburg-Eimsbüttel hatte aber nicht nur Wetzel eingeladen, um über „Antisemitismus in den Medien“ zu diskutieren. Ebenfalls aus Berlin angereist war – neben dem Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland, Felix Klein – Bild-Chefredakteur Julian Reichelt. Und der konnte auf die Tradition seines Hauses hinweisen: Eine Karikatur wie jene, die nach dem israelischen Sieg beim Eurovision Song Contest in der Süddeutschen Zeitung erschienen war und die nach Protesten zur Trennung von Blatt und Zeichner führte, so etwas, sagte Reichelt, würde es bei Bild in keine Entscheidungsrunde schaffen, ja nicht einmal „in den Kopf irgendeines Redakteurs“. Die Verbundenheit mit Israel, das Bekenntnis zu dessen Souveränität, das zähle „zur DNA“ des Springer-Verlags.
Überhaupt Reichelt: Der gefällt sich, nicht zuletzt als Twitter-Nutzer, ja im etwas robusterem Auftreten als Gesicht des böse zuspitzenden Boulevards. Umso überraschender vielleicht, wie ausgewogen er nun in Hamburg auftrat, und das in einem Terrain, wo er sich ja unter Freunden wissen konnte. Zwar hatte die JU-Gliederung die Veranstaltung ausdrücklich als öffentlich deklariert, aber die meisten der rund 40 Anwesenden kannten sich dann doch.
Dass sich der Antisemitismus in den Medien nicht trennen lasse von dem in der Gesellschaft insgesamt, sagte Reichelt etwa, und dass die tendenziöse, auf falsche Weise äquidistante Rede über Israel und den Nahostkonflikt auch kein Problem „eher linker“ Medien sei (und auch kein öffentlich-rechtliches): So wie Antisemitismus sich im ganzen politischen Spektrum finde – von der AfD, die Reichelt „nur einen Schritt entfernt von der Holocaustleugnung“ sieht, bis zur Linken, insbesondere „der gleichnamigen Partei“ –, finde er sich im Prinzip auch in jedem Medium. Auf Nachfragen von Moderator Johannes Weiler nannte er dann aber doch ein paar aus seiner Sicht besonders notorische Fälle: neben der SZ noch „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ sowie den Spiegel, insbesondere in seiner Online-Ausgabe.
Antworten auf die Hetze
Auch die sozialen Netzwerke mussten Thema sein, und so fiel wiederholt der Name von Facebook-Chef Mark Zuckerberg: Nicht nur war der ja auch einst Gegenstand einer problematischen SZ-Karikatur, er wäre aus Sicht seiner Kritiker auch dringend berufen, konsequenter einzuschreiten gegen das, was auf Facebook so alles gesagt wird.
Bloß: Die deutschen Vorstellungen davon, was zu sagen erlaubt ist und was nicht – sie gelten halt nicht überall, im Mutterland von Facebook etwa, den USA. Und ein Instrument wie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz? Greife einerseits zu kurz, befand Reichelt, aber andererseits wolle er es nie in den falschen Händen sehen, etwa denen von AfD oder auch der Linkspartei. Denn dann wäre alles an diesem Abend Gesagte „hate speech“ gewesen, sagte Reichelt.
Was also tun? Mehr als auf die Technik – also etwa das automatisierte Auffinden und Unsichtbarmachen bestimmter Inhalte in sozialen Netzwerken oder juristisches Vorgehen – müsse auf den Diskurs gesetzt werden, da war sich das Podium an diesem Abend unter Freunden einig: Auf Hetze sei am besten mit Gegenrede zu antworten.
Vor diesem Hintergrund äußerte der Antisemitismus-Beauftragte Klein eine interessante Idee: Ihm schwebt eine Agentur vor, die jüdische Nachrichten verbreiten könnte, analog zu denen, die sich einst die beiden großen deutschen Kirchen zugelegt haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe