Antisemitismus in Berlin: 30 Vorfälle in 9 Tagen

Antisemitische Vorfälle nehmen stark zu in Berlin. Die Beratungsstelle OFEK arbeitet im „Krisenmodus“, Rias zählt mehr als 3 Taten pro Tag.

Ein Pappschild steckt in einem Busch vor einer Synagoge am Fraenkelufer, darauf steht: "Gegen jeden Antisemitismus"

Nach antisemitischen Gewaltaufrufen hielten hunderte eine Mahnwache vor der Synagoge am Fraenkelufer ab Foto: imago/dts Nachrichtenagentur

Berlin taz | Die Dokumentationsstelle für Antisemitismus, Rias Berlin, hat seit dem Terrorangriff auf Israel über 30 antisemitische Vorfälle in Berlin gezählt. Das ist der Stand vom 16. Oktober, weitere Meldungen seien eingegangen, konnten bislang aber noch nicht verifiziert werden, heißt es auf taz-Anfrage. Darunter sind Angriffe, Bedrohungen, verletzendes antisemitisches Verhalten auf der Straße und in den sozialen Medien sowie verschiedene Formen antisemitischer Schmierereien.

„Wir verzeichnen derzeit ein deutlich erhöhtes Vorkommen von antisemitischen Vorfällen in Reaktion auf die Massaker in Israel“, sagt Julia Kopp von Rias Berlin. Nach den Angriffen herrsche innerhalb der jüdischen und israelischen Communitys in Berlin eine starke Verunsicherung. Es gebe Familien, die ihre Kinder nicht in die Schule schickten, ebenso Gewerbe, die ihren Laden letzten Freitag wegen Drohungen durch die terroristische Hamas geschlossen hatten. Vor diesem Hintergrund verstärkten antisemitische Vorfälle das Gefühl der Unsicherheit.

Die Polizei hatte nach zahlreichen Vorfällen auf einer verbotenen Kundgebung am Sonntag neben Bedrohungen auch diverse aufgemalte Davidsterne im Stadtgebiet bestätigt, mit denen offenbar Wohnhäuser von Israelis, Jüdinnen und Juden markiert wurden. Laut Rias sind antisemitische Markierungen von Wohnhäusern kein neues Phänomen, aber derart viele Markierungen in wenigen Tagen habe man noch nie verzeichnet, heißt es. Julia Kopp von RIAS Berlin forderte, dass es Aufgabe der Zivilgesellschaft sei, sich solidarisch mit von Antisemitismus Betroffenen zu zeigen: „Es ist nicht die Rolle von Jüdinnen, Juden und Israelis, darauf aufmerksam zu machen, das sollte die Mehrheitsgesellschaft leisten.“

Ähnliches stellt auch die in Berlin sitzende Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung, OFEK, fest. Die hat ihr Angebot aufgrund des akut gestiegenen Bedarfs ausgeweitet. Alexander Rasumny, Sprecher von OFEK, sagte der taz, dass die Anfragen seit den Angriffen aus Israel enorm angestiegen sind: „Wir arbeiten praktisch seit dem 7. Oktober im Krisenmodus.“ Die Stelle habe bereits im letzten erfassten Einjahreszeitraum bis zum Juni 2023 einen traurigen Rekord von 369 Beratungsanfragen erzielt, so Rasumny, aber gerade sei die Nachfrage um ein Vielfaches höher: „Allein in den letzten neun Tagen hatten wir bereits über 80 Anfragen.“

Sorge um Sicherheit und antisemitische Gewalt

Die Beratungsanfragen beziehen sich lauf OFEK auf akute Fälle antisemitischer Gewalt, die Sorge um Sicherheit, antisemitische Grundtöne im Umfeld und die Folgen der hochgradig traumatischen Angriffe auf die Zivilbevölkerung in Israel. Viele Menschen meldeten sich auch, weil sie durch die aktuellen Ereignisse retraumatisiert seien.

Die Beratungsstelle biete neben der psychosozialen Beratung auch Rechtsberatung und Begleitung zu Polizei und Sicherheitsbehörden an. Akut habe man ein Team von Psy­cho­lo­g*in­nen in zusätzliche Alarmbereitschaft versetzt, die professionelle erste psychologische Hilfe leisten, zudem seien die Sprechzeiten auf vier Stunden täglich verdoppelt worden.

Zusätzliche Termine gebe es derzeit auch für Formate wie Supervision und Safer Spaces, in denen sich unterschiedliche Gruppen unter Anleitung austauschen könnten, ebenso wie pädagogische Beratung und Fortbildungen für Menschen aus dem Bildungsbereich, wie man das Thema im Schulunterricht behandeln könne. Aktuell biete man zudem eine digitale Sprechstunde für Schulen bundesweit an. Razumny sagte, viele OFEK-Mitarbeitende arbeiteten derzeit am Limit und unter hoher Anspannung. Alle anderen Maßnahmen und Angebote würden aufgrund der aktuellen Lage hintangestellt. Der Krisenmodus laufe definitiv bis zum Ende dieser Woche und wird voraussichtlich um weitere zwei Wochen verlängert.

Auf die Frage, was auch Nicht-Betroffene der Mehrheitsgesellschaft tun können, sagt Rasumny: „Man sollte antisemitischen Haltungen im eigenen Umfeld entschieden widersprechen und klare Grenzen aufzeigen.“ Ebenso können man den Communities im eigenen Umkreis helfen und sich mit diesen solidarisch erklären – „es ist wichtig, dass Jüdinnen und Juden sehen, dass sie nicht alleine sind.“

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